Arabischer Autokauf

casagrande

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Arabischer Autokauf

Peter Hofreiter war der Projektleiter für das neue Sheraton Hotel in Jeddah in Saudi Arabien. Frisch aus Deutschland angekommen und natürlich nur mit Englisch als Fremdsprache vertraut, war er dankbar, dass ein junger Tunesier mit Deutschkenntnissen ihm seine Arabischkenntnisse zur Verfügung stellte. Haddi Kumrah, ein Schlitzohr von vielleicht fünfundzwanzig Jahren, mit weitreichender Erfahrung. Was davon tatsächlich wahr war und was seiner Phantasie und der arabischen Märchenwelt zugerechnet werden musste, das blieb zumindest Anfangs unklar. Einiges klärte sich später. So etwa seine Erzählung über die Zeit in Paris, die seinen Kollegen auf der Baustelle ungemein imponierte. Er war, so die Geschichte, für zwei Monate in einem Etablissement als männlicher Part in einer Pornodarstellung aufgetreten. Die Details und seine Potenz malte er in den buntesten Farben und die sexuell ausgehungerten Kollegen konnten nicht genug bekommen, immer neue Varianten zu hören.
Dem Hofreiter erzählte er den Hintergrund seiner Deutschkenntnisse als Resultat einer Ehe mit einer deutschen Ärztin, aus der auch eine Tochter hervorging. Zumindest ein Teil dieser Geschichte war falsch, denn Jahre später, als Haddi schon längst in Tunesien verheiratet war, klagte er darüber, dass er keine Kinder bekommen könne und das, zu seinem Bedauern, nicht an seiner Frau läge. Sonst hätte er, nach islamischem Recht, seine Frau verstoßen und sich eine andere suchen können. So war er zum Gespött des Dorfes geworden. Aber weg von der Gerechtigkeit, zurück nach Jeddah!
Haddi war über Libyen nach Saudi Arabien gekommen und das Sheraton war seine zweite Baustelle in diesem Land. Er saß auf dem 60 Meter hohen Turmdrehkran. Ob er dafür eine Qualifikation hatte, das fragte niemand. Er hatte zumindest ein entsprechendes Zeugnis und konnte den Kran bedienen.
Mit den Zeugnissen war es so eine Sache! Ob Pakistani oder Inder, ob Libanese oder Nordafrikaner, alle hatten sie Zeugnisse von Universitäten oder Fachschulen, die sie als Elektro- oder Maschinenbauingenieur auswiesen. Manche hatten gar zwei oder mehr Abschlüsse in verschiedenen Fachrichtungen dabei. Wenn das eine nicht gefragt war, dann zogen sie das andere heraus, und wenn das auch nicht gesucht war, dann wollten sie als Fahrer oder eben als Kranführer arbeiten. Manche boten sich auch an, als Teekoch einzusteigen. Zu Tests kam es selten, die fielen denn auch meist entsprechend der Qualität der Zeugnisse aus.
Haddi konnte den Kran bedienen und, obwohl er schlecht sah – das stellte sich aber auch erst später heraus, machte er seine Arbeit zur Zufriedenheit. Und, er konnte Deutsch. Darum sollte er zum Dolmetschen mitkommen, als Hofreiter einen Geländewagen kaufen wollte.
Zuerst fuhren sie zu den Neuwagenhändlern. In Jeddah kaufte niemand einen Wagen auf Bestellung. Ob Amischlitten oder Rolls, man kaufte was man sah und nahm es mit. Darum waren die Händlerhöfe voll mit den am meisten gefragten Modellen. Anderes war selten und Hofreiter und Haddi hörten öfters, sie sollten doch zum Gebrauchtwagenmarkt gehen und sich dort umsehen. Die Händler machten wohl so gute Geschäfte, dass sie einem Kunden nicht mit Aufwand entgegen kommen mussten. Sie lehnten es rundweg ab, ein Auto nach Katalog zu bestellen.
Der Automarkt war hinter dem Donkey circle – einem Kreisverkehr, der nach den dort herumstehenden Esel benannt war, auf der Spagetti road. Ob die im Arabischen ebenso hieß war fraglich. Aber alle nannten sie so, weil dort eine Nudelfabrik eingerichtet war. Jedenfalls versteigerten am Straßenrand versierte Saudis die verschiedensten Fahrzeuge. Wenn kein besonderer Wunsch vorlag, dann verhökerten sie eines nach dem anderen der in Kommission dort stehenden Autos an den Meistbietenden. Sie achteten darauf, dass nicht ein Nachbar zur gleichen Zeit eine Versteigerung abhielt. Ungefähr ein Dutzend solcher Anbieter reihte sich mit Abständen von 50 Metern an dieser Straße. Die Interessierten, oft über hundert, wanderten von einem zum anderen. Nur die Wenigsten hatten vor, ein Auto zu ersteigern. Viele waren hier, um sich unterhalten zu lassen. Die Versteigerungen begannen gegen 20 Uhr und zogen sich hin bis nach Mitternacht. Das Fehlen von Kino oder Bars tat ein Übriges, um den Versteigerungen Zulauf zu bringen. Mit geringen Unterschieden in der Methode brachten die Versteigerer die Ware an den Mann. Zu sagen, dass natürlich nur Männer dort vertreten waren, erübrigt sich. Die Frauen durften in Saudi sowieso kein Auto lenken, eines kaufen darum auch nicht. Also ein reiner Männerspaß.
Der Ablauf war folgender:
Ein Auto wurde etwas vorgeschoben, der Versteigerer lobte das Fahrzeug. Egal ob das nun eine Rostlaube oder ein Neuwagen war, es hieß, dass es ein Auto wäre mit fast keinen Kilometern drauf, nahezu ungebraucht, mit fließendem Kalt- und Warmwasser, Toilette und großzügigem Wohnzimmer. Gemütliche Polstermöbel wären logischerweise vorhanden und natürlich eine Teeküche eingebaut. So ging das weiter, je nach Talent und Phantasie, Zurufe wurden mit verarbeitet. Kabarett auf hohem Niveau. Es wurde viel gelacht und gespottet und wenn der Zuschlag erteilt war, dann lief der Verkäufer zur Höchstform auf. „Es tut mir in der Seele weh, aber ich muss dir sagen, dass du soeben die lausigste Kiste gekauft hast, die ich jemals gesehen habe. Nichts funktioniert, der Motor ist ausgebaut, die Bremsen blockiert, die Räder drehen sich nicht und der Auspuff fehlt“. So ging das eine Weile weiter und schlussendlich fragte der Verkäufer dann den Bieter, ob er weiter zu seinem Gebot stehe und dann bekam der mit Handschlag die Kiste. Erst wenn er einstieg und den Motor startete merkte er, ob das Vehikel tatsächlich einen solchen hatte. Denn unter die Haube schauen oder gar Probefahren, das gab’s nicht.
Haddi übersetzte und amüsierte sich köstlich. Er konnte nicht genug kriegen und lieferte sich die tollsten Streitgespräche mit den Händlern. Ob das war, um, wie er zu Hofreiter sagte, zum Schluss einen besonderen Preis bei dem Auto zu bekommen, das sie dann ersteigen wollten, oder nur, um möglichst lange auf dem Markt herum zu streunen und nicht auf der Baustelle arbeiten zu müssen, das blieb unklar. Nach ein paar Stunden waren sie bekannt, Haddi hatte der begleitenden Gruppe eingebläut, nicht mitzusteigern wenn er ein Gebot abgäbe. Und falls jemand Fremder mitsteigern würde, dem zu bedeuten, dass die Kiste eine totale Niete wäre und man den früheren Besitzer kenne und, und, und. Jedenfalls erklärte er es so dem Hofreiter.
Um es kurz zu machen, Hofreiter, oder vielmehr Haddi erstand einen Chevrolet Blazer, zwei Jahre alt, zu einem Preis, bei dem der Motor hätte fehlen können. Der Wagen tat den Dienst anderthalb Jahre, dann riss die hintere Antriebswelle. Da Reparaturbetriebe nicht existierten, entfernte man die Welle und das Auto fuhr mit dem permanenten Allradantrieb nur über die Vorderräder angetrieben noch ein weiteres halbes Jahr. Dann war das Sheraton fertig, Hofreiter beendete sein Engagement in Jeddah und Haddi ließ den Chevi versteigern. Er brachte nicht viel mehr, als die Taxifahrt zurück in die Stadt. So berichtete Haddi.
 



 
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