Arbeitslosenblues

4,70 Stern(e) 3 Bewertungen

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Arbeitslosenblues

Ich ging vor nem Jahr ins Arbeitsamt
da war ein langer Gang
am Eingang standen zehn Wachen da
und warteten stundenlang.

Ich wollte sie fragen: „Wo geht’s hier lang“,
da stand ein großes Schild:
„Spreche nicht die Wachen an!“
Da lächelte ich mild.

Ich fuhr dann mit mit dem Fahrstuhl hoch
und kam ganz oben an
und doch blieb ich ganz unten
und meldete mich an.

[ 6]Und das war schlimm, und das war schlimm,
[ 6]und das war wirklich, wirklich, wirklich, wirklich schlimm
[ 6]weil man da keine Arbeit hat,
[ 6]da wächst ein großer Grimm.


Ich war schon mal im Arbeitsamt
vor zwanzig Jahren dort,
das neue ist noch schrecklicher,
es ist ein Höllenort.

Ich gab meine Bewerbung ab,
da sagte man zu mir:
„was wollen Sie hier heute,
warum sind sie schon hier?

Sie melden sich nicht arbeitslos!“
„Wieso, das kann nicht sein?“
„Weil Sie nur arbeitssuchend sind,
hier nach ihrem Kündigungsschein!“

[ 6]Und das war schlimm, und das war schlimm,
[ 6]und das war wirklich, wirklich, wirklich, wirklich schlimm
[ 6]weil man da keine Arbeit hat,
[ 6]da wächst ein großer Grimm.


Da sagte die Dame am Empfang:
Drei Monate bevor
sie richtig arbeitslos dann sind,
kommen Sie wieder durch unser Tor.

Und sagen Sie wie alt sie sind:
Mit siebenundfünfzig wird das schwer,
nun füllen Sie hier die Formulare aus,
und geben Sie sie wieder her.

Ich füllte alles aus und dann
bekam ich ein Angebot,
ich konnte mich bewerben,
doch keine Arbeit droht.

[ 6]Und das war schlimm, und das war schlimm,
[ 6]und das war wirklich, wirklich, wirklich, wirklich schlimm
[ 6]weil man da keine Arbeit hat,
[ 6]da wächst ein großer Grimm.


Dann blickte die Dame in ihren Computer und sagte, kommen Sie wieder her,
denn ich bin hier nur die Vertretung, und helfen kann ich ihnen nicht,
doch ich weiß, es wird ganz ganz schwer.
Und da wollte ich wissen, wie es mit Ausbildung steht: „In ihrem Alter nein!“
Und sie gab mir noch ein Angebot und dann schickte sie mich wieder heim.
Ich schrieb jetzt Bewerbungen zu Hauf,
ich kam zum Vorstellungsgespräch, es nahm dann seinen Lauf.
Im Marketing bin ich nicht gut, in Selbstdarstellung schwach,
„Ich Opfer, ich!“ - so fühle ich mich,
und die Ministerin lacht,
denn es sei alles wirklich wirklich gut.
Und so kam ich wieder hin und hatte eine neue Betreuerin,
sie wird im Dezember ebenfalls entlassen,
denn dann sind ihre zwei Jahre vorbei,
die sie befristet im Arbeitsamt schaffen darf.
Und es ist ein teuflisches System,
denn man wird überall und immer wieder
als faul und Schmarotzer beschimpft.
„Die fleißigen, die 45 Jahre gearbeitet haben.“
Und das Studium wird nicht anerkannt.
Und die Weiterbildung wird nicht anerkannt.

Ich schreibe also Bewerbungen
und schicke sie dann ab,
und jede Absage ist ein Schlag,
mein Kopf ist fast schon ab.

[ 6]Und das ist schlimm, und das ist schlimm,
[ 6]und das ist wirklich, wirklich, wirklich, wirklich schlimm
[ 6]weil man da keine Arbeit hat,
[ 6]da wächst ein großer Grimm.


So stehe ich oft am Arbeitsamt
seit anderthalbem Jahr,
den älteren Leuten ginge es gut,
so höre ich immerdar.

Bis sechsundsechzig Jahren
vielleicht bis achzig gar,
so soll ich arbeiten dürfen,
doch das ist gar nicht wahr.

Nicht mal bis sechzig ist Arbeit da,
trotz Studium und Arbeitsglut,
verhöhnt und verspottet wird man,
die Minister fühlen sich gut.

[ 6]Und das ist schlimm, und das ist schlimm,
[ 6]und das ist wirklich, wirklich, wirklich, wirklich schlimm
[ 6]weil man da keine Arbeit hat,
[ 6]da wächst ein großer Grimm.


Und da hatte ich nun eine gute Idee und fragte, ob ich nicht in einem Kindergarten anfangen könne.
„Dafür brauchen Sie eine Ausbildung von drei Jahren und dann sind Sie 61. Das ergibt keinen Sinn. Und wenn sie die Ausbildung nebenher machen, dauert es fünf Jahre.“ Das also wird nichts.

Und man findet nichts. Gar nichts. Niemand möchte einen. Wie Aussatz.
Ich lächle trotzdem und bin freundlich.

Es wissen ja viele, dass ich arbeitslos bin,
an Ratschlägen kriege ich viel.
Ich höre fast schon weg, ich bin
noch lange nicht am Ziel.

Uns wird ein Possenspiel verpasst,
man teilt und man belügt,
man liest, das läge an Griechenland
weil man und dort betrügt.

[ 6]Und das ist schlimm, und das ist schlimm,
[ 6]und das ist wirklich, wirklich, wirklich, wirklich schlimm
[ 6]weil man da keine Arbeit hat,
[ 6]da wächst ein großer Grimm.


Mein Blues ist längst noch nicht vorbei,
es ist ein altes Lied,
Zynismus verschleißt das Einerlei,
soweit das Auge sieht.

Man spielt die Leute gegeneinander aus,
Hartz eins, zwei, drei und vier,
die FDP spendet Applaus
Herrn Schröder und seiner Gier.

Man verteilt die Arbeit nicht,
es wäre ja gut, vielleicht, aber alles ist auf Kurzzeiteffektivität ausgerichtet, und es geht ein Gespenst um in Europa, das Gespenst des Neoliberalismus.

[ 6]Und das ist schlimm, und das ist schlimm,
[ 6]und das ist wirklich, wirklich, wirklich, wirklich schlimm
[ 6]weil man da keine Arbeit hat,
[ 6]da wächst ein großer Grimm.
 

Thylda

Mitglied
Lieber Bernd

Eine treffliche Darstellung der Rentenbezugssenkung durch die Hintertuer. Wer nicht arbeitet ist also faul.... aber nur, solange er kein Geld hat. Das ist schoenster Finanz-Darwinismus. Und wen man mit einEuro-Jobs erst einmal des Stolzes beraubt hat, auf den laesst es sich ganz besonders schoen hinuntersehen. Da fragt man sich schon, warum wir uns es als Gesellschaft gefallen lassen, dass unsere Schwaechsten so wuerdelos behandelt werden. Wegsehen, bis man selbst betroffen ist. Es ist fuenf vor zwoelf.

Ich kann nicht sagen, dass ich Deinen Text gerne gelesen habe, weil mich die Gedanken an den Hintergrund aufbringen. Ein fein gesponnener Text und die Ohnmacht gut eingefangen. Zu gut.

Liebe Gruesse
Thylda
 
I

Inky

Gast
Hallo, serge - Dein Arbeitslosenblues ist die beste Re-Aktion auf soziale Härte und politische Katastrophen. Mögen die Namenlosen alle wieder eine Stimme und ein Gesicht bekommen.



Manchmal
muß man
dem Leben
eins in die Fresse
lachen
und
weitermachen!

Lieben Gruß, Inky
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Inky,
dank Dir sehr für das Lob, aber das Werk war von mir.
Alles ist nicht rein zufällig.

Liebe Grüße von Bernd
 
I

Inky

Gast
Uuuups, hab`mich verschreiben, sorry. Das kömmt davon, wenn frau eben noch schnell den letzten Beitrag liest...
 



 
Oben Unten