Arnulf Morgenweckers großen Tage.

pleistoneun

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Arnulf Morgenweckers großen Tage seines Lebens waren längst vorbei. Früher, damit meinte er die Kriegszeit, ja früher galt er als der Dienstmann der Nation, wurde lieblich "Feldhase" genannt und fühlte sich sogar bei der Bezeichnung "Zettelbote" nicht unwohl. Arnulf war Feldpostbriefträger, der sich anschickte, seine Arbeit mit Schnelligkeit und Mustergültigkeit zu erledigen, weil er wusste, dass viele Worte auf den Blättern seiner Briefe Sehnsüchte und Herzenswünsche von Menschen waren, die sich vermissten.

Arnulf Morgenweckers großen Tage umfassten eine Zeit von zwei Jahren, von 1941 bis gut 1943. Es war die Zeit, in der die Frontsoldaten, die lange von zuhause fort waren, Briefe an ihre Frauen ins Heimatland schickten. Das einzige, worauf man sich in diesem Krieg verlassen konnte, war die klirrende Kälte des Nordens und das alle Wochen wiederkehrende Motorengeräusch von Arnulfs Kettenfahrzeug aus dem Hinterland. Das Geräusch bedeutete für die Frontkameraden neue Post von daheim, von seiner Liebsten, den Schwestern und Brüdern und für ganz junge Männer auch von seinen Eltern. Die Briefeverteilung war jedesmal wie eine Siegerehrung, bei der jeder gewonnen hatte - bis auf einen: Major Dietrich Schwindsack. Dieser Mann war das Abbild blinden Hasses gegen alles was nicht unmittelbar zum Sieg einer Schlacht führte. Er wäre aber viel lieber ein Kommandant mit goldenen Abzeichen, der mit Spielzeugpanzern die Gefechte aus seinem warmen Büro lenkte. Der ewige Schnee und die Kälte kotzten ihn an. Arnulf Morgenwecker war ihm schon lange ein Dorn im Auge, nicht nur, weil er seine Leute ablenkte, sondern weil er als Oberhaupt und Anführer noch nie Post bekam. Für diese Schmach sollte Arnulf eines Tages bezahlen.

Arnulf Morgenweckers großen Tage waren gezählt; wäre der Krieg einmal zu Ende, müsste er wieder zurück kehren in den Kohleschacht. "Von der Schlacht in den Schacht", meinte er oft. Major Schwindsack wollte ihn aber im Grab sehen, so sehr hasste er diese Postgaben. Arnulf wusste von dieser Animosität allerdings nichts und war deshalb immer bester Dinge, wenn er mit seinem motorisierten Schneeschlitten freudig Richtung Schützengräben tuckerte.

Arnulf Morgenweckers großen Tage hatten ihren Zenit und zugleich Nadir, als tatsächlich einmal Post für Major Dietrich Schwindsack dabei war, denn das freute auch den Feldpostler. Mit seinem vollen Briefsack näherte er sich der Front, an der es wieder mal Gefechte gab. Unerschrocken setzte er die Fahrt fort, denn er wusste, auf Sanitäter, Saniopfer und Feldbriefträger durfte man ja nicht schießen. Und gerade während er das dachte, durchfuhr ihn ein brennender Schmerz an der linken Schulter, sodass er den Halt verlor und rücklängs über seinen Schlitten kippte. Vom hämmernden Schmerz gepeinigt, blieb er im Schnee liegen. Major Schwindsack war ein guter Schütze, damit war nicht das Sternzeichen gemeint. Der Major wollte dem guten Arnulf Morgenwecker auch mal Post zukommen lassen, aber in Form eines Denkzettels und in den Gefechtswirren würde es gar nicht auffallen, wenn mal ein Schuss nach hinten losging. Im Krieg passiert sowas nun mal. Mit einer zerrissenen Schulter war der Dienst und somit auch die großen Tage für Arnulf Morgenwecker vorbei. Seine letzte Lieferung konnte er nicht mehr zustellen. In alle Winde verstreuten sich die Schriftstücke, darunter auch der Brief an Major Dietrich Schwindsack. Wenn er gewusst hätte, dass dies seine schriftliche Beförderung war und ihn das umgehend in die Heimat zurück gebracht hätte ... Ein Schuss, der beiden die Karriere kostete.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
etwas

unklar: kam es heraus, dass der major geschossen hatte oder ist er gefallen, dass die beförderung nicht noch auf anderem wege erfolgte? wenn der beförderte in der heimat erwartet wurde, hätte man doch nachgefragt, oder? ich war leider gottseidank nicht im krieg . . .
lg
 

pleistoneun

Mitglied
äh, ja, tschuldigung

Der Major hatte geschossen... auf Arnulf. Es ist abzusehen, dass diese schriftliche Beförderung des Majors einen sehr weiten Weg nehmen musste und deshalb umso wertvoller war. Bis nun ein neuer Feldpostler die Arbeit ins Lot bringt, vergehen wieder einige Wochen oder Monate. Folglich entging der Major seiner Beförderung. In der Heimat geht man dann beim Ausbleiben des Majors davon aus, dass er gefallen sei. Aber diese Spekulationen sind der Raum, den jeder Leser anders ausfüllt.
 



 
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