Aschermittwoch

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Aschermittwoch

Weihnachten war seltsam. Ich hatte meine Wohnung dekoriert, über und über, und der Kühlschrank war voll mit allem, was die Feinkosttheke von Kaufhof hergegeben hatte. Im Kerzenlicht saßen wir uns gegenüber, er und ich, und wir schwiegen uns an. Wir saßen auf unseren Sesseln als wären wir mitten in einer Prüfung und nicht in meinem Wohnzimmer. Ich stand auf und legte eine Weihnachts-CD ein, nur um sie sofort wieder auszumachen. Zu sehr hallte Stille Nacht in der Stille zwischen uns wieder. Am Ende des Abends gingen wir miteinander ins Bett. Schließlich wollten wir ein Kind zeugen.
Zwischen Weihnachten und Neujahr wurde es nicht wirklich besser zwischen ihm und mir. Wir hüllten uns beide in Einsilbigkeit und schliefen einmal täglich miteinander.
Silvester drohte zum Problem zu werden. Normalerweise ging ich zu Silvester ins Theater, aber das ging mit ihm noch nicht, obwohl er täglich Stunden über den Deutsch-Lehrbüchern saß, die ich ihm gekauft hatte. Also blieben wir zu Hause und stießen um Mitternacht mit Orangensaft an; er weil er Moslem war und ich weil ich hoffte schwanger zu sein. Vom Schlafzimmerfenster aus sahen wir uns das Feuerwerk an. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mich um Mitternacht küssen würde, und er hatte es auch nicht getan. Wenn es geklappt hatte, würde das Kind Mitte September geboren werden.
Am Neujahrstag saß er wieder über seinen Büchern, und ich saß mit meinem Laptop am Küchentisch. Es galt, Neujahrsgrüße an Fatoumata zu verfassen. Ich wusste nicht, was ich ihr schreiben sollte.
Ich lernte Fatoumata auf Arbeit kennen. Sie war Krankenschwester, auf Fortbildung in Deutschland und für den Praxisteil meiner Station zugeteilt. Fatoumata war Senegalesin und sie war ein seltsamer Mensch. Sie trug Jeans, sie war geschminkt und sie hörte Hip-Hop, aber sie war der Meinung, dass eine Frau ohne Mann und Kinder keine richtige Frau war. Als sie hörte, dass ich mit Ende 20 noch nicht mal verlobt war, war sie ehrlich entsetzt. Und so beschloss sie zu handeln. An ihrem letzten Arbeitstag sagte sie, dass sie meine Handynummer einer ganz bestimmten Person geben würde, wenn ich denn einen schwarzen Mann akzeptieren könnte. Ich zuckte mit den Schultern.
Eine Woche später piepste mein Handy, es war kurz vor Mitternacht. „Bonjour, je suis Francois.“ Mehr stand nicht in der angekommenen SMS. Auf einmal war mir die ganze Sache furchtbar peinlich, und so antwortete ich nicht. Ein paar Tage später bekam ich eine E-Mail. Er habe in Frankreich studiert, teilte er mit, und er sehe im Senegal keine Perspektive für sich. Also suche er eine Frau in Europa, die er heiraten könne, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Im Austausch biete er mir Kameradschaft und Respekt, auch wenn es sich nicht um eine Liebesheirat handeln würde. Ich schrieb ihm zurück, dass ich ein Kind wollte, und er antwortete, dass ihm das nur recht sei, da uns so niemand eine Scheinehe unterstellen könne.
Anfang Dezember holte ich ihn schließlich vom Flughafen ab. Er war ein attraktiver Mann, und als er aus der Passkontrolle kam, war ich der festen Meinung, dass unsere Vernunftehe glücklich werden würde.
Ich schrieb also an Fatoumata, dass Francois fleißig Deutsch lernen würde und hielt mich ansonsten bedeckt. Fatoumata antwortete mir am selben Abend. Francois finde mich ganz hübsch, aber schwierig und verklemmt, das hätte er jedenfalls in seiner letzten Mail geschrieben. Wie konnte er mich verklemmt finden, wenn er kaum ein Wort mit mir sprach? Idiot.
Am Dreikönigstag fuhren wir zum Hauptbahnhof. In der Bahnhofspassage war die einzige Drogerie, die an einem Feiertag geöffnet hatte, und eine Drogerie brauchte ich, denn meine Regel war ausgeblieben. Er hatte meine eventuelle Schwangerschaft ohne eine sichtbare Regung zur Kenntnis genommen und zog sich kommentarlos Mantel und Schuhe an, als ich ihn aufforderte, mit mir zum Bahnhof zu fahren. Er kam auch mit in die Drogerie, obwohl ich erwartet hatte, dass er draußen bleiben würde, weil es ihm peinlich sei. Wir bezahlten und verließen die Drogerie wieder. Auf dem Bahnhofsvorplatz begegneten wir einer jungen Frau, einer Afrikanerin, die nicht älter als 20 und wirklich hübsch war. Ich hörte Francois leise pfeifen und sah zu Boden.
Der Test war positiv. Er sagte, dass wir dann ab heute nicht mehr miteinander schlafen müssten. Ich protestierte: Sex in der Schwangerschaft sei ungefährlich für das Kind. Er schüttelte nur den Kopf. Ich hatte erwartet, dass wir trotzdem weiterhin im gleichen Bett schlafen würden, aber er zog das Sofa vor.
Er kam mit mir zum Frauenarzt, und ich stellte ihn dort als meinen Verlobten vor. Auch dort sprach er kein Wort, nicht mit mir und nicht mit dem Arzt. Ich buchte ein Hotel in Dänemark, für April, denn wir mussten heiraten, bevor sein 6-Monats-Visum auslief. Er sagte nichts.
Am Valentinstag platzte mir der Kragen. Keine Rosen, keine Pralinen, nichts. Das Geld dazu hätte er gehabt: Ich gab ihm jede Woche ein mehr als großzügiges Taschengeld.
Ich platze ins Bad, als er gerade dabei war, sich zu rasieren. Er mochte es nicht, wenn ich ihm dabei zusah.
-Wir werden in zwei Monaten heiraten. Ich bin mit deinem Kind schwanger. Du hättest wenigstens an eine Rose denken können.
Er antwortete nicht, und das machte mich erst recht wütend.
-Einen Verlobungsring habe ich auch noch keinen.
Er gab einen Laut von sich, der kein Lachen aber auch noch kein Schnauben war.
-Du bekommst auch keinen. Jedenfalls nicht von mir. Ich gehe zurück in den Senegal.
Ich schwieg eine Weile um nichts Unüberlegtes zu sagen.
-Wann?
-Der Flug geht heute Abend um zehn. Morgen früh bin ich in Dakar.
Ich brachte ihn zum Flughafen. Am nächsten Tag, dem Rosenmontag, tätigte ich einen Anruf, reservierte ein Hotelzimmer und buchte einen Flug. Am Dienstagabend flog ich nach Amsterdam. Am Aschermittwoch hatte ich eine Abtreibung.
 

IDee

Mitglied
Hallo,
habe eben Deine Geschichte gelesen. Finde sie sehr gut, vom Schluss war ich allerdings enttäuscht. Irgendwie hatte ich mir vorgestellt das da noch ein bisschen mehr kommt.
LG
IDee
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo enfantterrible,

hast da eine mitreißende, nachdenklich stimmende Geschichte geschrieben. Im Gegensatz zu IDee finde ich auch den Schluss okay.

Ich wünsche Dir hier auf der Lelu viel Vergnügen und einen regen Austausch!

Haremsdame
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo enfantterrible,

diese trockene Art, in der Du diese eigentlich herzzerreissende Geschichte schreibst, ist einfach großartig. Anders kann man soetwas gar nicht schreiben - da muss man sich als Autor zurück halten können und das ist Dir prima gelungen.
Ich grübel noch, ob das eine Generationsfrage ist, auf welche Weise man 'leer' ist, wie sich das äußert, woran man es erkennt.
Viel Stoff zum Nachdenken für mich.

Liebe Grüße
Petra
 



 
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