Assekurianz

Raniero

Textablader
Assekurianz

Der Gebietsleiter der Versicherungsgesellschaft ‚Assek-Imp‘, Herr Bodo Häning, zeigte sich leicht gereizt, hatte er doch soeben einen unmöglichen Anruf erhalten, von einer Kundin.
Er möge doch, bitteschön, so lieb sein, forderte eine energische weibliche Stimme von ihm, und dafür Sorge tragen, dass sich die Wespe, die sich auf ihrem Stück Erdbeertorte niedergelassen hatte, welches sie gerade zum Gaumen führen wollte, entferne.
Bodo Häning war schon so einiges gewohnt, in seiner langjährigen Tätigkeit als Versicherungsvertreter, und das musste er auch sein, schon aufgrund der Tatsache, dass sich seine Versicherungsgesellschaft mit dem schönen Namen ‚Assek-Imp‘ schmückte, was eine Abkürzung für Assekuranzia Impossibile bedeutete, aber musste man denn alles wörtlich nehmen?
Nun gut, ein solcher Firmenname war in der Tat verlockend, und in der Kombination mit dem griffigen Werbeslogan „Wir fangen Sie nicht nur unverzüglich auf, wir zahlen auch sofort aus“, der auf die Schnelligkeit der Bearbeitung der Schadensfälle anspielte, wurden natürlich gewisse Erwartungen geweckt.
Diese Erwartungen verstiegen sich bis hin zu der absurden Idee, dass die Gesellschaft eine Person bei einem unverschuldeten Fenstersturz aus beliebiger Höhe diese nicht nur unten auffange, sondern auch gleich für den erlittenen Schaden ausbezahle.
Aber war es denn nicht tatsächlich so, fragte sich Bodo, dass, seit diese in der Tat merkwürdige Fernsehwerbung ausgestrahlt wurde, seine Kunden nicht mehr wussten, was sie von der Versicherungsgesellschaft halten sollten?
In dieser Werbung wurde eine junge Frau im eleganten Outfit gezeigt, die gerade im Begriff war, einen Löffel mit Honig, auf welchem eine fette Biene saß, zum Mund zu führen.
Zu allem Überfluss stand auch noch in ebenso fetten Lettern unter der Werbung:
„Wir versichern Sie auch gegen solche Schäden.“
‚Irgendwie haben unsere Werbetexter da oben eine Meise‘, ärgerte sich Bodo, ‚natürlich ist diese Werbung zwar symbolisch gemeint, aber wenn ein Kunde das nicht so sieht, haben wir hier unten das auszubaden, wir an der Front.‘

Aus diesem Grunde hatte er der Anruferin, die sich offensichtlich auf diese Werbung bezog, erklärt, dass seine Versicherung zwar auch im weitesten Sinne und in besonderen Ausnahmefällen für Schäden, die durch Insektenstiche hervorgerufen werden können, aufkämen, doch im Allgemeinen sei diese Werbung, die sie aus dem Fernsehen kenne, durchaus symbolisch zu verstehen, und die Mitarbeiter der
Assek-Imp hätten nicht die Aufgabe, sich im Einzelnen um Insekten, die auf Kuchenstücken saßen, persönlich zu kümmern.
„Eine gewisse Vorsorgepflicht obliegt auch Ihnen selbst, gute Frau.
„Wir kommen erst dann, wenn gestochen wurde“, versuchte er zum Schluss des Gespräches einen Scherz anzubringen, aber dieser war ihm zu seinem Leidwesen gewaltig misslungen.
„Sie werden noch von mir hören, Sie Flegel!“ donnerte die Kundin durchs Telefon und anschließend mit dem gleichen Donner den Hörer auf.
Nach der ersten Empörung über diese abrupte Art, das Telefongespräch zu beenden, machte sich bei Bodo jedoch eine gewisse Unruhe breit.
Hatte er wirklich in allen Punkten richtig gehandelt, fragte er sich nun besorgt, oder war doch ein wenig zu vorschnell, zu forsch gewesen bei der Ablehnung des Ansinnens der energischen Dame?
Hätte er nicht lieber auf diesen Scherz verzichten sollen?
Ein jeder versteht unter Humor etwas anderes, manch einer gar nichts.
Tat er nicht besser daran, sich nachträglich bei der Anruferin zu entschuldigen, bevor diese einen geharnischten Brief an die Geschäftsführung schickte, um sich über sein unfreundliches Benehmen einer langjährigen Kundin gegenüber zu beschweren?

Je mehr Bodo darüber nachdachte, umso mehr beschlich ihn ein ungutes Gefühl, ein Gefühl, das allmählich an Panik zu grenzen schien.
All die in der Vergangenheit sich häufende Prozesse standen ihm vor Augen, die amerikanische Anwälte im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und leider nicht nur dort , angestrengt hatten. Sammelklagen war der treffende Ausdruck für diese Mammutklagen. Verfahren, die nach Ansicht vieler Nichtamerikaner an den Haaren herbeigezogen schienen, die aber offenbar immer mehr von Erfolg gekrönt waren und immense Schadensersatzforderungen nach sich zogen.
Prozesse, in welchen Personen gegen riesige Konzerne zu Felde zogen, wie einst David gegen Goliath, und denen Recht zugesprochen wurde, weil sie beispielsweise vom permanenten Konsum eines bestimmten Produktes einen Fettbauch bekamen und der Konzern vorab nicht deutlich genug auf eine solche mögliche Konsequenz hingewiesen hatte.
War es denn nicht etwa wirklich so, dass die Fernsehwerbung seiner Gesellschaft manch einen Zeitgenossen praktisch ermunterte, seinen Kuchen mit einer Biene als Beilage zu verspeisen?

Schweißperlen unverhohlener Angst traten auf Bodos Stirn.
Nur zu deutlich sah er ihn vor sich, den Anwalt der resoluten Kundin, im Gerichtssaal, wie dieser sich vor ihm aufbaute, massiv und immer größer werdend, während er selbst sich in der Anklagebank, in der es vor Wespen nur so brummte, immer kleiner machte:
„Dieser Mann, hohes Gericht, meine Damen und Herren Geschworenen, trägt die alleinige Schuld an dem verheerenden Ereignis, dem meine Mandantin fast zum Opfer gefallen wäre! Hätte dieser Mann seinerzeit gehandelt statt es zu unterlassen, dann ständen Sie und ich, wir allesamt heute nicht hier!“

Bebend vor Entsetzen griff Bodo Häning zum Telefonhörer und wählte die Nummer der Versicherungsnehmerin seiner Gesellschaft, der Dame mit der Wespe auf der Erdbeertorte.
Er war bereit, sich umfangreich für sein Nichthandeln zu entschuldigen, bereit, sofort persönlich zu ihr zu eilen und zur Tat zu schreiten, bedingungslos.
Es dauerte eine Zeitlang, bis am anderen Ende der Leitung der Hörer abgenommen wurde.
„Hier Knüper, wer spricht?“
„Hallo Frau Knüper“, fiel Bodo ein Stein vom Herzen, „Gott sei dank, dass ich Sie noch erreiche. Bodo Häning hier, Sie wissen schon, von Ihrer Versicherungsgesellschaft, der Assek-Imp .Ich wollte mich nur noch einmal nach Ihrem werten Befinden erkundigen und mich gleichzeitig bei Ihnen entschuldigen, für den schlechten Witz, vorhin am Telefon. Wie kann ich das jemals nur wieder gutmachen? Am besten wird es sein, ich eile sofort zu Ihnen, um sie von der wilden Bestie auf Ihrem Tortenstück zu befeien!“
„Ach Sie sind’s, Herr Häning. Lieber Herr Häning, vielen Dank für Ihr Angebot, aber Sie brauchen sich nicht mehr herzubemühen. Die Feuerwehr ist bereits hier, seit einer Stunde. Sie werden es nicht glauben, aber die sind mit drei Löschzügen angerückt!“
„Mit drei Löschzügen? Ja, dann ist ja alles in Ordnung, Frau Knüper. Schicken Sie uns dann bitte die Rechnung über den Feuerwehreinsatz zu, bitte.“

Mit einem Gefühl grenzenloser Erleichterung legte Bodo Häning den Hörer auf.
 
M

Minotaurus

Gast
Hallo Raniero,
nun habe ich bereits mehrere von Deinen Geschichten gelesen, aber alle haben sie Eines gemeinsam:
Alle haben ein interessantes Thema, sind gut aufgebaut und stilistisch in Ordnung. Auch die Charaktere kommen gut und bildhaft rüber. Die Spannung steigt immer mehr, man wartet auf eine ungewöhnliche Wendung und trotzdem hat man am Schluß immer das Gefühl, um die Pointe betrogen worden zu sein. :confused:
Die Auflösung ist einfach zu banal, als daß man darüber lachen könnte.
Es mag schon sein, daß dies nun einmal Dein persönlicher Stil ist, aber als Leser finde ich das sehr unbefriedigend. Es ist wie bei einem Witz, bei dem die Pointe fehlt, wenn Du verstehst, was ich damit meine? (kalter Kalauer)
Sorry, aber ich kann es Dir nur so sagen, wie es bei mir ankommt.
Grüße vom Minotaurus.
 
Minotaurus: meine Meinung zu Ranieros Stil ist ähnlich, auch wenn es mir in meinem bisherigen Feedback zu seinen Geschichten bisher nicht gelungen ist, das so auszudrücken (siehe mein Kommentar zu Unterwegs). Allerdings hat mir Dein Feedback jetzt die richtigen Worte gegeben, das weiter zu erklären, warum ich mit dem Stil einfach nicht warm werde.

Ich dachte, es liegt nur an mir und habe deshalb fairerweise keine Bewertungen gegeben (obwohl ich alle Geschichten lese).

Lass mich Minotaurus Worte weiter ausführen:
Ich stimme zu, die Themen und Ideen sind gut, die Ausführung mag ich nicht. Je länger man um die Pointe "herumeiert", desto grösser wird die Erwartungshaltung der Leser. Man erwartet eine Superpointe. Je länger und ausführlicher die Vorgeschichte, desto mehr vermutet der Leser, dass jetzt was kommt, dass es jetzt richtig knallen wird, dass es sich gelohnt hat.
Diese Länge kommt bei Raniero sowohl durch die Länge der Sätze, der teils sehr sperrigen Wortwahl, aber auch durch das Hinauszögern des Endes.

Nur am Ende kommt nicht viel, es gibt keine wirkliche Pointe, teilweise wird diese durch Zwischen-, Neben- und Beisätze zerstört oder zumindest entschärft.

Wenn im Text mal zwischendurch eine Pointe käme, dann würde sich die Spannung gezielt abbauen und man zum Ende nicht die Superpointe erwarten. Diese Zwischenpointen gibt's aber auch nicht so wirklich oder leiden unter dem selben Symptom, wie die Endpointe.

Schmunzeln würde ich, wenn der Stil leicht und locker wär. So bin ich irgendwie immer wieder enttäuscht, weil schon wieder nicht wirklich was kam.

Ich weiss ich bin jetzt unfair, aber das ist meine persönliche Einstellung, mein Gefühl dazu.

Vielleicht wäre ich fairer, wenn Raniero mal völlig anderes bringen würde, einen Text, wo man sieht dass er länger daran gearbeitet hat und die Pointen scharf herausarbeitet, sie aus seinen Texten herausmeiselt. So sehen die Texte ein bisserl nach Meterware aus. Ich seh's bei meinen eigenen Texten. Wirklich gute Texte kann man nur machen, wenn man sich Tage dafür Zeit lässt. Ein Text pro Woche, aber nicht 2 pro Tag.

Marius
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

habt ihr schon mal einen feuerwehreinsatz bezahlen dürfen? ich halte das durchaus für ne bombenpointe.
lg
 
Persönlich Gott sei dank nicht, es gibt aber jede Menge Fälle, was das so war. Auch ist das z.B. bei Rettungshubschraubern oder eben seit neuestem den Geiselbefreiungen (siehe die deutschen Geiseln in Algerien?) der Fall gewesen. Also nicht sehr überraschend und deshalb eher ein Pointerl, den Bombe.

Marius
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

siehste, hier kommt der unterschied zwischen ost und west zum vorschein. wir DDRler wußten kaum, was so ein einsatz kostet, konnte ihn kostenlos in anspruch nehmen. für mich ist es noch immer ein hammer, wenn jemandem aus der not geholfen wird und er darf dafür eine summe zahlen, die er kaum aufbringen kann.
und wenn sich eine versicherung - wie in obiger geschichte - selbst in eine situation hineinmanövriert, die ihr statt gewinn kosten einbringt, dann finde ich das urkomisch, besonders, da es durch die von mir gehaßte werbung geschieht.
du siehst, nicht nur schönheit liegt im auge des betrachters, sondern auch humor.
lg
 

Raniero

Textablader
'Nicht nur Schönheit liegt im Auge des Betrachters, sondern auch Humor'
Danke,
das hast Du sehr treffend ausgedrückt, nur manche wollen es nicht wahrhaben.

Gruß Raniero

Quot homines, tot sententiae
 

Raniero

Textablader
Hallo Gabi,

eigentlich ist der Titel als Wortspiel gedacht, in Anlehnung
an eine ähnlich klingende Versicherungsgesellschaft. Im Hintergrund steht für mich als 'Halbitaliener'der Ausdruck 'assicurazione'. Allerdings bin ich nun auch nicht mehr so von diesem Titel überzeugt; vielleicht fällt mir da was Besseres ein.
:)

Gruß Raniero
 

Mortimer

Mitglied
Moin Raniero,
ich kann mich der Kritik - einiger - meiner Vorschreiber nicht anschließen. Ich finde deine Story witzig. Insbesondere hast du die Thematik mit gutem Gespür für Satirepotential ausgewählt. Versicherungen und ihre vollmundigen Versprechungen im Kontrast zur tatsächlichen Auszahlungspraxis. Allerdings nimmst du deinem Text durch z.T. stark verschachtelten Sätzen den "Flow". Soll heißen: An manchen Stellen tritt durch Verschachtelung und Satzelementsumstellung ein rhytmischer Bruch ein. Ich reagiere dann als Leser so, dass ich versuche, diesen Satz schnellstmöglich zu "überwinden" und dadurch oftmals den Inhalt vernachlässige. Wenn das dann mehrmals passiert und ich - wie diesmal allerdings nicht - keine Lust habe, alles nochmal zu lesen, fehlen mir am Ende die Informationen, um deine Pointe zu kapieren.
Beispiele:

"Er möge doch, bitteschön, so lieb sein, forderte eine energische weibliche Stimme von ihm, und dafür Sorge tragen, dass sich die Wespe, die sich auf ihrem Stück Erdbeertorte niedergelassen hatte, welches sie gerade zum Gaumen führen wollte, entferne."

"All die in der Vergangenheit sich häufende Prozesse standen ihm vor Augen, die amerikanische Anwälte im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und leider nicht nur dort , angestrengt hatten. [...] Verfahren, die nach Ansicht vieler Nichtamerikaner an den Haaren herbeigezogen schienen, die aber offenbar immer mehr von Erfolg gekrönt waren und immense Schadensersatzforderungen nach sich zogen."

"Prozesse, in welchen Personen gegen riesige Konzerne zu Felde zogen, wie einst David gegen Goliath, und denen Recht zugesprochen wurde, weil sie beispielsweise vom permanenten Konsum eines bestimmten Produktes einen Fettbauch bekamen und der Konzern vorab nicht deutlich genug auf eine solche mögliche Konsequenz hingewiesen hatte."

Versuch einfach mal, deine Schachtelkonstruktionen zu entflechten und sie durch (mehrere) kürzere Sätze zu ersetzen. Liest sich besser, stellt kein schlechtes Zeugnis für dein Schreibtalent dar und ist vielleicht auch für dich mit weniger Knobelarbeit um den (vermeintlich) perfekten Satzbau verbunden.
In der Kürze liegt die Würze!
Gruß Mortimer
 

Raniero

Textablader
Hallo Mortimer,

moin, moin!
Genauso, wie Du es auch siehst, war es mein Anliegen, Versicherungen und deren vollmundigen Versprechungen ein kleines 'Denkmal' zu setzen.
Lange verschachtelte Sätze sind eine Marotte von mir; ich werde mal versuchen, mich kürzer zu fassen. ;)

Gruß Raniero
 



 
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