Auf der Ausfallstraße

murmeltier

Mitglied
Auf der Ausfallstraße 9. 3. 1982

Um die Stadt schnellstens zu verlassen
die neu gebaute Autobahn genommen
wo früher noch Bäume standen
ein richtiger Wald gar
im Scheinwerferlicht taucht
die Gestalt eines Menschen auf
ein Tramper setzt sich neben mich
und erzählt mir was von
mit geschlossenen Augen schreiben und von
mit geschlossenen Augen leben
und dem Toten im Graben neben der Fahrbahn
auch der nächste Ort
ist nicht groß genug, um nicht von
einer süßen kleinen Bombe
in Schutt und Asche
Blut und Tränen
Schmerz und Verzweiflung
gelegt zu werden
Ge- und Verbobotsschilder
sicherheitshalber an beiden Rändern der Straße
aufgestellt, um beachtet zu werden
die festgelegte Richtung aufzuzeigen
die man einschlagen darf
so wie eine Glasscheibe in Angst vor der nächsten
Machtdemanstration
Der Tramp ist ausgestiegen
und ich kann wieder Selbstgespräche führen
von Positionslichtern an der Landebahn
beim Anflug auf Menschenschatten
und dabei an Schattenboxen
und Schattenbeziehungen
und den eigenen Schatten denken
im Autoradio lösen locker servierte Nachrichten
die tosende Rockmusik ab
und die Ansagerin mit ihrer weichen Stimme
wird durch einen seriösen Tonfall ersetzt
um den strengen Glauben an die Meldungen
leicht zu machen
außerdem teilen sie noch mit, daß es
morgen kälter werden soll bei
vereinzelten Aufheiterungen und
vereinzelten Niederschlägen
und man auf eine allgemeine
Wetterbesserung warte
kein Grund, sich in voller Fahrt
eine Kugel in den Kopf zu jagen, um so
um das Jucken der Narbe betrogen zu werden
von sich selber betrogen
ist wie täglicher Selbstmord im täglichen Leben
und genauso überflüssig und nutzlos
(man ist nie richtig fertig und am Ende,
nur weil man wieder mal mit der Schnauze
auf dem Boden liegt und nicht sehen will
wie es weitergehen kann und das einfache
natürliche Weiterleben verleugnet,
das keine Probleme kennt, wie
auch die Natur sprachlos ist.)
Auch hier immer mehr Polizei,
um immer mehr Ruhe und (Ver)Ordnung zu bewachen
die Autobahnpolizei
wird für ihre Zusammenarbeit mit den
Verkehrsüberwachungshubschraubern
in den Kurznachrichten vorm Verkehrshinweis anerkennend erwähnt
um das Polizeibewußtsein in den Gehirnen
zu beeinflussen
und so jeden verängstigten Menschen
zum Spitzel umzufunktionieren
die Maschine läuft wie
geschmiert (e) Meinungsverbreiter
in Funk - und Druckhäusern
es ist schon dunkel, und in der Raststätte
sind LKW-Fahrer und blaßgesichtige
gestreßte Leute, die in Urlaub fahren
und mich nicht beim Kaffeetrinken stören
auch nicht merken, daß ich Worte in mein Gedichtbuch schreibe
ein Kontrast zwischen den braungebrannten LKW-Fahrern
und den blaßgesichtigen Urlaubsreifen
der auch im näheren Kontakt mit ihnen
durchbricht wie der Unterschied zwischen
geschlossener Bürotür
und Weltoffenheit
Wieder in der nächtlichen Stadt zurück
gehe ich in einen Schuppen mit
lauter Musik und lauter jungen Leuten
bei Schuppen fallen mir Fische ein,
die ohne Schuppen nicht leben können
und verdammt gut schwimmen
und die Fischer, die ihre Netze auswerfen
sehen die Zunahme der krebskranken Fische
die vielen Gesichter waren
nach der Autofahrt das richtige
um zu wissen, daß man unter Menschen lebt
deren Augen auch leuchten können
die genauso lachen wie ich
die genauso ein Recht auf
eigene Sorgen und
eigenes Leben haben
Die lebendige Musik und die echten Texte der
Musiker hielten wach
und brachten mit
den "Geschichten vom Alltäglichen Schrecken"
wie sie es nannten
manche Leute manchmal ins eigene Denken
und sie wurden mit einer überraschenden
eigenen Meinung konfrontiert
die Front der Bullen bei der
Demonstration war streng geschlossen
als mal wieder Präsidenten und deren Jünger
Front gegen die eigenen Meinungen gemacht hatten
und ein Demonstrant mit offenem Schrecken in den Augen
vor den prügelnden Bullen davonlief
und nur in die geschlossene Front
entkommen konnte, um dort geschlossen
niedergeknüppelt zu werden
und in einem geschlossenen Wagen
weggebracht zu werden
und man selber Angst und Wut hat
weil man gesehen hat, was geschah
und nicht weiß, was dem Weggebrachten weiter passiert
und der Blues dröhnt durch den ganzen Schuppen
selbst auf dem Klo noch deutlich hörbar,
wenn man sich Wasser ins Gesicht wirft und dann
sein vertrautes Gesicht im Spiegel sucht
sichtbarer Blues in den Bewegungen der Leute
die mit geschlossenen Augen tanzen,
um für einen kurzen Moment zu vergessen
daß morgen der Kampf weitergeht
in den Büros, hinter der Ladentheke, mit den
Bevormundern, mit den eigenen Träumen,
mit dem ganzen Apparat,
ums Überleben
für die Fahrten auf den Ausfallstraßen
 

TC

Mitglied
Hi murmeltier,

Respekt! Was für eine Nacht!
Und was für ein Gedankenuniversum!
Du hattest keine Handgranaten dabei, damals - oder warst du nur zu beschäftigt, um sie zu werfen?
 



 
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