Auf der Insel

3,00 Stern(e) 1 Stimme

mugwump

Mitglied
Traum von einer kreisrunden Insel, auf die es mich als Schiffbrüchiger verschlagen hatte. Auf der Insel gab es keinen Baum und keinen Strauch, nur feinen, gelben Sand und hier und da eine große, weiße Muschel, die halbvergraben und mit seltsamen Farben an den Rändern zwischen dürren Gräsern lag. Die Insel war so klein, dass ich dachte, ich könnte sie mit nur wenigen Schritten vollständig abgehen.

Gemeinsam mit mir hatte es den Kapitän an den Strand gespült, der offenbar außer mir der Einzige war, der die Havarie unseres Schiffes überlebt hatte. Seine altmodische Uniform war nass und rissig; ihr Blau bildete für das Auge eine angenehme Gelegenheit, sich von dem Gleißem der Sonne auf dem winzigen Eiland zu erholen. Mit uns am Strand lag eine Frau in viktorianischen Kleidern und mit verschleiertem Gesicht: Ich konnte mich nicht daran erinnern, sie auf dem Schiff jemals gesehen zu haben und konnte mir nicht erklären, wie sie hierher gekommen war. Ehe ich sie aber darüber noch befragen konnte, richtete sie sich rasch auf, strich den schweren Damast ihres Kleides glatt, so als sei unsere Havarie nur eine geringfügige Unterbrechung ihrer Reise gewesen, zupfte ihren Schleier zurecht und lief über den Strand davon in einen Torweg hinein, hinter dem das Licht rasch schwächer wurde, sodass man nicht sehen konnte, wohin sie verschwand.

Ich ging ihr nach und geriet in eine Gassengewirr niedriger Häuser und hinter diesen Häusern gelangte ich auf einen befestigten Küstenstreifen. Es war eine Art Kaimauer, aus der, knapp oberhalb der Wasserlinie, schwarze, angespitzte Stäbe herausragten. Ich ergriff eine dieser Lanzen, zog und zerrte daran, bis ich sie endlich frei in Händen hielt. Daraufhin brach - scheinbar aus der Mauer selbst - ein fürchterliches Geschrei los. Ich kniete mich nieder, und beugte mich über die Wehr, wo ich nun zwei Fuß über der Wasserlinie eine Reihe von vergitterten Fenstern erblickte, die sich über die gesamte Länge des Kais hinzogen. Aus jedem dieser Fenster ragte eine Lanze so wie die, die ich jetzt in Händen trug. Ich hatte sie einem Schwarzen entrissen, der hinter den Gitterstäben in einer fremden Sprache tobte und gestikulierte und immer wieder auf die Lanze zeigte. Ich entschuldigte mich daher wortreich, beschrieb ihm meine Neugier und meine Unkenntnis der hiesigen Gepflogenheiten, und mein peinliches Unwissen über Zweck und Wichtigkeit des Stocks, den ich ihm dann durch die Stäbe zurückgab. Ich wusste auch gar nichts mit dem Stab anzufangen. Der Schwarze lächelte mich darauf hin mit großen, blinkenden weißen Zähnen an und streckte mir die Hand durch die Stäbe entgegen, die ich ergriff und herzlich schüttelte und wir versprachen einander, nunmehr gut freund zu sein.

(Das alles geschah in einer merkwürdig verrenkten und alle Sehnen und Muskeln des Körpers anstrengenden Haltung, mit der ich versuchte, mich auf der Kaimauer zu halten. Meine Knöcheln waren weiß von der Anstrengung, mit der ich mich in einer der schmalen Fugen des Mauerwerks festgekrallt hatte, um nicht wieder in das ungnädige Meer zu fallen, dass mich hier angeschwemmt hatte. Und am Morgen ist von dem Traum nichts mehr übrig, außer einem Nachhall dieser Verrenkung und einem dumpfen, von dieser Anstrengung herrührenden Schmerz in den Fingerspitzen.)
 



 
Oben Unten