Fäkalvernissage
Ich trete fester in die Pedalen. Sascha müsste auch so langsam auf der Party eingetroffen sein. Ich stelle mein Fahrrad in die Einfahrt und schließe es ein wenig unbeholfen ab. Dieser dämliche Gipsarm stört mich dabei jedes Mal. Schließlich muss ich immer alles mit einer Hand machen. An Abwaschen und Bieröffnen ist da nicht zu denken. Selbst onanieren kann ich nicht mehr. Die Tür ist offen. Auf der Treppe nach oben kommt mir auf einmal die kleine Snowboardlehrerin aus dem Skiurlaub entgegen.
„Hey, du hier?“, fragt sie überrascht.
„Ja, Micha hat mich eingeladen“, stammele ich unsicher.
Micha wohnt zwar hier, er hat mich aber nicht eingeladen. Das ist auch nicht so wichtig. Hauptsache Party. Irgendjemanden werde ich hier schon kennen. Im Treppenhaus höre ich Musik, die aus dem Keller zu kommen scheint.
„Hey, was ist mit deinem Arm?“ fragt die Kleine erstaunt. Ich erkläre ihr kurz die Geschichte vom Bruch, verkneife es mir aber zu sagen, dass die Sache mit dem gebrochenen Arm ihre Schuld sei, zumal sie mich unzurei-chend unterrichtet hat. Diesen Scherz hätte sie vermutlich missverstanden. Aber sie hätte sich wirklich mal etwas mehr um mich kümmern können. Da folgt ihr so ein Typ die Treppenstufen herunter. Er mustert mich wie Gammelgemüse im Kühlschrank und streckt ihr vor meiner Nase seine Zunge in ihren Hals. Der ist wohl ihr Freund, der blöde Dandy, denke ich bloß. Sonst hätte Sie mir im Urlaub bestimmt mehr Aufmerksamkeit ge-schenkt.
Als ich die Wohnung im ersten Stock betrete, kommt mir auch gleich Micha entgegen. Ich kenne ihn zwar kaum, schüttele ihm mit dem linken Arm die Hand und klopfe ihm, fast so, wie einem alten Schulfreund, den ich nach langer Zeit zufällig auf einer Party wiedergetroffen habe, feierlich auf die Schulter. Ich erzähle ihm von der Geschichte mit dem Gipsarm. Micha fühlt als überzeugter Pädagoge aufrichtig mit und beteuert meinen Unfall sehr. Er stellt mich seinem Kumpel vor, der mir gleichfalls aufrichtiges Mitgefühl entgegenbringt. Das Mitgefühl von Leuten zu ernten, die ich nicht kenne, bin ich derweil durch den Gips gewohnt. Micha lässt uns ste-hen und begrüßt zwei neue Gäste, die grade die Küche betreten. Der Bruch ist jedes Mal ein Aufhänger für einen Smalltalk, wie ich ihn jetzt mit Michas Kumpel halte. Ich kann so einen Gipsarm nur Jedem empfehlen, der unter Kontaktschwierigkeiten mit anderen Menschen leidet.
Von den Leuten abgelenkt, werfe ich ein paar flüchtige Blicke in die ande-ren Zimmer, während mir Michas Kumpel dicht auf den Fersen hinterher-dackelt und Ausschnitte aus seinem uninteressanten Berufsleben erzählt. Die Leute unterhalten sich angeregt. Andere hocken gelangweilt daneben, verfolgen das Gespräch mit Interesse, trinken Bier. Wie schön, das wird mal wieder so eine - Wir sitzen zusammen friedlich im Kreis - stecken uns Räu-cherstäbchen in die Nase und führen intellektuelle Gespräche - Party, denke ich mir und drehe mich gelangweilt zum Gabentisch in der Küche. Ich nicke Michas Kumpel in relativ regelmäßigen Zeitintervallen zustimmend zu und reiße etwas vom Fladenbrott ab, das ich bis zum Rand mit gemisch-tem Salat ausstopfe. Michas Kumpel arbeitet in der Elektrobranche. In einem Stück erzählt er von seinen beruflichen Heldentaten, seinen Einkünf-ten und Aufstiegsmöglichkeiten, die mich von Minute zu Minute immer weniger interessieren. Falsches Interesse vortäuschend, stelle ich ihm ab und an überflüssige Fragen, auf die er ausführlich eingeht. Er bleibt dabei ganz ernst und sachlich, während ich an meinem vegetarischen Döner kaue. Ich denke jetzt an Radek, der mir in diesem Moment sehr fehlt. Er hätte mich mit Sicherheit von diesem langweiligen Gespräch erlöst und sich mit Michas Freund gut verstanden. Aber Radek ist nun mal nicht hier und der schräge Typ referiert so, als würde er vor dem Vorstand der Firma, für die er arbeitet, einen Vortrag abhalten. Wie kann er bloß einen sitzen haben und mich durchgehend mit fachchinesisch und all dem anderen Mist voll-quatschen? Das geht doch nicht, empöre ich mich innerlich. Mit dem stimmt doch was nicht. Wir sind hier auf einer Party! Da wollen die Leute Spaß haben und sich nicht über langweiliges Zeug unterhalten. Die Wahr-scheinlichkeit, dass er ein lustiges Gesicht zieht oder einen Witz reißt, ist bei ihm so hoch wie… Ach, was soll`s. Anstatt mich über ihn aufzuregen, sollte ich mir besser einfallen lassen, wie ich den Langweiler loswerde, ohne dabei unhöflich zu werden. Er ist ja ein Freund von Micha und der soll mich auch weiterhin mögen.
Da kommt mir die Idee.
Ich gebe mich als Hobbykünstler aus und erzähle ihm von meinem Wunsch, eine Vernissage zu verwirklichen, auf der ich ausschließlich groß-flächige schwarz-weiß Fotografien von menschlicher Scheiße aushänge.
„Hey, bevor du weitererzählst und ich es vergesse, lade ich dich hiermit herzlich zu meiner Fäkal-Vernissage ein. Hast du übernächste Woche Donnerstag schon was vor?“
„Hä?“
„Ach ja, das hab ich dir ja noch gar nicht erzählt“, geht mir auf.
„Ich bin freischaffender Hobbykünstler und fotografiere die Scheiße anderer Leute.“
„Wie bitte?“
„Du hast mich schon richtig verstanden. Ich fotografiere Scheiße, Kot, Mist, Dünger. Wie auch immer du es nennen magst. Auf meiner Ausstellung werden die Findlinge in ihren unterschiedlichsten Formen und Konsistenzen präsentiert. Nur so vermitteln sie dem Betrachter in ihrer Gesamtheit eine Geschichte und ein ganzheitliches Bild.“
„Vielleicht solltest du Kunst studieren“, schlägt mir Michas Freund vor.
„Nein, eher nicht. Kunst ist in der Regel ein brotloses Gewerbe, bei dem der Künstler neben herausragendem Talent sehr viel Glück haben muss. Nein, das hier mit dem Fotografieren ist nur so als Hobby gedacht.“
„Und wessen Scheiße fotografierst du so?“
„Na, Scheiße von ganz normalen Leuten. Ich begegne ihnen auf Toiletten von Bars und Kneipen. Wenn ich den Leuten von meiner Vernissage erzähle, sind sie bis auf ein paar Ausnahmen meistens bereit zu kooperieren. Ich warte bis sie sich ausgeschissen haben. Dann mache ich das Foto und betätige für sie die Spülung. So einfach geht das.“
„Hört sich interessant an, was du da machst.“
„Ja, das ist es auch. Soll ich deinen Stuhlgang auch mal fotografieren?“
„Ich weiß nicht so recht. Habe so was noch nie gemacht.“
„Na, dann wird’s mal höchste Zeit. Ich mache dir einen Vorschlag: Ruf´ mich an, falls du Lust auf ein paar Shootings hast. Gute Bilder werden definitiv aufgehängt. Hier ist meine Karte. Vielleicht ist übernächste Woche Donnerstag auch deine Scheiße dabei“, sage ich und halte dem Freund von Micha im gleichen Atemzug mit einem Augenzwin-kern meine Visitenkarte vor die Nase.
Ja, das ist wirklich gut. Nicht schlecht, die Idee. Aber was mache ich, wenn er meine Arbeit wertschätzt und auf mein Angebot eingeht? Dann werde ich ihn wohl nie mehr los, stöhne ich ratlos.
Noch besser wäre …
Ich erzähle ihm, dass ich mir neben dem Studium meinen Lebensunterhalt als Pornodarsteller finanziere.
„Ach ja. Jetzt, wo du von Verdienstmöglichkeiten in deinem Berufszweig sprichst: Als Pornodarsteller kann man auch gut verdienen, wenn man sich, wie du in deiner Branche, in eine Richtung spezialisiert hat. Ich sag`s dir, heutzutage ist Spezialisierung das A und O!“
„Wie meinst du das?“
„Ich habe mich auch spezialisiert. In meiner Branche bin ich mittlerweile als „Fistfu-cker“ bekannt.“
„Hä?“
„Gleich bei den ersten Drehs nach dem Unfall haben wir die üblichen Dildos, Vibrato-ren und andere spitze Gegenstände einfach weggelassen. Jetzt arbeite ich ausschließlich nur noch mit dem Arm und das mit Erfolg“, antworte ich gelassen und klopfe mit der gesunden Hand auf die Gipsschale, aus der ein hohles Geräusch dringt.
Auch ein guter Plan. Ich weiß aber nicht so Recht und entscheide mich für die letzte Möglichkeit.
Mit dem Vorwand, auf die Toilette zu müssen, schleiche ich mich davon und steige die Treppen in den Keller herab, von wo ich anfangs die Musik gehört habe. Was ich nicht wusste, ist das zu Michas WG ein Partykeller gehört, der mit einer satten Discoanlage und bunten Lichtern an der Decke ausgestattet ist. Die Mucke dröhnt aus den Lautsprechern und die Leute tanzen mit fliehenden Schweißperlen im Gesicht, als gäbe es in dieser Stadt sonst keine Diskos. Ich schaue mich um. Sascha scheint immer noch nicht da zu sein. Wo steckt er denn bloß? Vereinzelt entdecke ich doch noch ein paar bekannte Gesichter, mit denen ein Smalltalk so gut wie vorprogram-miert ist. Die Leute sind alle ganz nett hier. Ich quatsche mit Jörg und zap-pele mit seiner Schwester Nina ein wenig ab. Einvernehmlich haben sich Ricky und Nina vor ein paar Wochen voneinander getrennt. Jetzt ist sie wieder solo und offen für Neues. Ach, da ist ja auch die kleine Snowboard-lehrerin. Sie wird jetzt von ihrem Freund durch die Luft gewirbelt. Die auf der Skifahrt so verhalten und seriös wirkende Snowboardlehrerin entpuppt sich als aufgedrehte und flippige kleine Tanzmaus, die mit ihrem Dandy so richtig auf die Kacke haut. Sie tanzen eine Mischung aus Rock `n Roll und Breakdance und geben dabei ein tolles Paar ab.
Was macht der Idiot denn jetzt? Er klemmt sich eine Bierflasche zwischen Kopf und der niederen Kellerdecke ein und klatscht zum Takt der Musik in die Hände. Anschließend dreht er sich schunkelnd zum Rhythmus um die eigene Achse und fixiert die Flasche mit den Augen. Er zwinkert nach oben und dreht sich dabei konzentriert und vorsichtig, damit die Flasche nicht herunterfällt. Die Snowboardlehrerin und seine Freunde stehen staunend im Kreis um ihn herum und klatschen mit. Wie kreativ von ihm! „Wo hat er bloß diesen tollen Partygag her?“ frage ich mich und schüttele vor Entset-zen den Kopf. Der Dandy hat wahrscheinlich zu viele US-Collagekomödien, die auf ihn abfärben, gesehen. Das ist ganz großes Kino, was er da spielt. Der blöde Collegeboy macht einen auf Party-animal, was seine Leute ihm auch noch durch Beifall quittieren. Um den Idioten besser verarbeiten zu können, greife ich nach einer der frischen Limos aus einer der unzähligen Bierkisten, die in allen Kellerecken zu mehreren Türmen aufgestapelt stehen und wechsele ein paar belanglose Gesprächsfetzen mit Arne, den ich meistens betrunken auf Parties treffe. Er ist erst vor kurzem aus Südafrika wiedergekommen und lässt momentan die Sau raus, bevor es, so sagt er, mit seiner Diplomarbeit ernst wird. Er gibt sich als Beach Boy und hat damit Erfolg. Es scharen sich am heutigen Abend um ihn gleich zwei Damen von denen er, behauptet er zuversichtlich, nur eine, aber er wisse noch nicht welche, mit nach Hause nehme. Seine Sorgen hätte ich jetzt auch gerne, denke ich mir und kratze mich verzeifelt am Sack.
Schnell füllt sich der relativ kleine Keller mit Leuten. Die Feier hat sich schon bald zu einer richtigen Veranstaltung verwandelt. Ich bemühe mich, mit meinem Partygipsarm, so gut es geht zu tanzen, aber die Kunsthoffkral-le fliegt im Gedränge der pogenden Meute hin und her und ich unfreiwillig mit. Geschickt lenke ich die Hartschale an den wild zappelnden Leuten vorbei und rette mich nur mit großer Mühe an den Rand der Tanzfläche. Bereits ein leichter Stoß gegen die Finger meiner Gipskralle würde höllisch wehtun. Die Nervenbahnen im Handgelenk sind noch nicht gänzlich ver-heilt. Ich stehe am Rand, wie ein frustirerter Außenseiter. Die Leute flippen völlig aus und springen fast die Wände hoch, während die Discolichter in verschiedenen Farben im Wechsel aufleuchten.
Ich trete fester in die Pedalen. Sascha müsste auch so langsam auf der Party eingetroffen sein. Ich stelle mein Fahrrad in die Einfahrt und schließe es ein wenig unbeholfen ab. Dieser dämliche Gipsarm stört mich dabei jedes Mal. Schließlich muss ich immer alles mit einer Hand machen. An Abwaschen und Bieröffnen ist da nicht zu denken. Selbst onanieren kann ich nicht mehr. Die Tür ist offen. Auf der Treppe nach oben kommt mir auf einmal die kleine Snowboardlehrerin aus dem Skiurlaub entgegen.
„Hey, du hier?“, fragt sie überrascht.
„Ja, Micha hat mich eingeladen“, stammele ich unsicher.
Micha wohnt zwar hier, er hat mich aber nicht eingeladen. Das ist auch nicht so wichtig. Hauptsache Party. Irgendjemanden werde ich hier schon kennen. Im Treppenhaus höre ich Musik, die aus dem Keller zu kommen scheint.
„Hey, was ist mit deinem Arm?“ fragt die Kleine erstaunt. Ich erkläre ihr kurz die Geschichte vom Bruch, verkneife es mir aber zu sagen, dass die Sache mit dem gebrochenen Arm ihre Schuld sei, zumal sie mich unzurei-chend unterrichtet hat. Diesen Scherz hätte sie vermutlich missverstanden. Aber sie hätte sich wirklich mal etwas mehr um mich kümmern können. Da folgt ihr so ein Typ die Treppenstufen herunter. Er mustert mich wie Gammelgemüse im Kühlschrank und streckt ihr vor meiner Nase seine Zunge in ihren Hals. Der ist wohl ihr Freund, der blöde Dandy, denke ich bloß. Sonst hätte Sie mir im Urlaub bestimmt mehr Aufmerksamkeit ge-schenkt.
Als ich die Wohnung im ersten Stock betrete, kommt mir auch gleich Micha entgegen. Ich kenne ihn zwar kaum, schüttele ihm mit dem linken Arm die Hand und klopfe ihm, fast so, wie einem alten Schulfreund, den ich nach langer Zeit zufällig auf einer Party wiedergetroffen habe, feierlich auf die Schulter. Ich erzähle ihm von der Geschichte mit dem Gipsarm. Micha fühlt als überzeugter Pädagoge aufrichtig mit und beteuert meinen Unfall sehr. Er stellt mich seinem Kumpel vor, der mir gleichfalls aufrichtiges Mitgefühl entgegenbringt. Das Mitgefühl von Leuten zu ernten, die ich nicht kenne, bin ich derweil durch den Gips gewohnt. Micha lässt uns ste-hen und begrüßt zwei neue Gäste, die grade die Küche betreten. Der Bruch ist jedes Mal ein Aufhänger für einen Smalltalk, wie ich ihn jetzt mit Michas Kumpel halte. Ich kann so einen Gipsarm nur Jedem empfehlen, der unter Kontaktschwierigkeiten mit anderen Menschen leidet.
Von den Leuten abgelenkt, werfe ich ein paar flüchtige Blicke in die ande-ren Zimmer, während mir Michas Kumpel dicht auf den Fersen hinterher-dackelt und Ausschnitte aus seinem uninteressanten Berufsleben erzählt. Die Leute unterhalten sich angeregt. Andere hocken gelangweilt daneben, verfolgen das Gespräch mit Interesse, trinken Bier. Wie schön, das wird mal wieder so eine - Wir sitzen zusammen friedlich im Kreis - stecken uns Räu-cherstäbchen in die Nase und führen intellektuelle Gespräche - Party, denke ich mir und drehe mich gelangweilt zum Gabentisch in der Küche. Ich nicke Michas Kumpel in relativ regelmäßigen Zeitintervallen zustimmend zu und reiße etwas vom Fladenbrott ab, das ich bis zum Rand mit gemisch-tem Salat ausstopfe. Michas Kumpel arbeitet in der Elektrobranche. In einem Stück erzählt er von seinen beruflichen Heldentaten, seinen Einkünf-ten und Aufstiegsmöglichkeiten, die mich von Minute zu Minute immer weniger interessieren. Falsches Interesse vortäuschend, stelle ich ihm ab und an überflüssige Fragen, auf die er ausführlich eingeht. Er bleibt dabei ganz ernst und sachlich, während ich an meinem vegetarischen Döner kaue. Ich denke jetzt an Radek, der mir in diesem Moment sehr fehlt. Er hätte mich mit Sicherheit von diesem langweiligen Gespräch erlöst und sich mit Michas Freund gut verstanden. Aber Radek ist nun mal nicht hier und der schräge Typ referiert so, als würde er vor dem Vorstand der Firma, für die er arbeitet, einen Vortrag abhalten. Wie kann er bloß einen sitzen haben und mich durchgehend mit fachchinesisch und all dem anderen Mist voll-quatschen? Das geht doch nicht, empöre ich mich innerlich. Mit dem stimmt doch was nicht. Wir sind hier auf einer Party! Da wollen die Leute Spaß haben und sich nicht über langweiliges Zeug unterhalten. Die Wahr-scheinlichkeit, dass er ein lustiges Gesicht zieht oder einen Witz reißt, ist bei ihm so hoch wie… Ach, was soll`s. Anstatt mich über ihn aufzuregen, sollte ich mir besser einfallen lassen, wie ich den Langweiler loswerde, ohne dabei unhöflich zu werden. Er ist ja ein Freund von Micha und der soll mich auch weiterhin mögen.
Da kommt mir die Idee.
Ich gebe mich als Hobbykünstler aus und erzähle ihm von meinem Wunsch, eine Vernissage zu verwirklichen, auf der ich ausschließlich groß-flächige schwarz-weiß Fotografien von menschlicher Scheiße aushänge.
„Hey, bevor du weitererzählst und ich es vergesse, lade ich dich hiermit herzlich zu meiner Fäkal-Vernissage ein. Hast du übernächste Woche Donnerstag schon was vor?“
„Hä?“
„Ach ja, das hab ich dir ja noch gar nicht erzählt“, geht mir auf.
„Ich bin freischaffender Hobbykünstler und fotografiere die Scheiße anderer Leute.“
„Wie bitte?“
„Du hast mich schon richtig verstanden. Ich fotografiere Scheiße, Kot, Mist, Dünger. Wie auch immer du es nennen magst. Auf meiner Ausstellung werden die Findlinge in ihren unterschiedlichsten Formen und Konsistenzen präsentiert. Nur so vermitteln sie dem Betrachter in ihrer Gesamtheit eine Geschichte und ein ganzheitliches Bild.“
„Vielleicht solltest du Kunst studieren“, schlägt mir Michas Freund vor.
„Nein, eher nicht. Kunst ist in der Regel ein brotloses Gewerbe, bei dem der Künstler neben herausragendem Talent sehr viel Glück haben muss. Nein, das hier mit dem Fotografieren ist nur so als Hobby gedacht.“
„Und wessen Scheiße fotografierst du so?“
„Na, Scheiße von ganz normalen Leuten. Ich begegne ihnen auf Toiletten von Bars und Kneipen. Wenn ich den Leuten von meiner Vernissage erzähle, sind sie bis auf ein paar Ausnahmen meistens bereit zu kooperieren. Ich warte bis sie sich ausgeschissen haben. Dann mache ich das Foto und betätige für sie die Spülung. So einfach geht das.“
„Hört sich interessant an, was du da machst.“
„Ja, das ist es auch. Soll ich deinen Stuhlgang auch mal fotografieren?“
„Ich weiß nicht so recht. Habe so was noch nie gemacht.“
„Na, dann wird’s mal höchste Zeit. Ich mache dir einen Vorschlag: Ruf´ mich an, falls du Lust auf ein paar Shootings hast. Gute Bilder werden definitiv aufgehängt. Hier ist meine Karte. Vielleicht ist übernächste Woche Donnerstag auch deine Scheiße dabei“, sage ich und halte dem Freund von Micha im gleichen Atemzug mit einem Augenzwin-kern meine Visitenkarte vor die Nase.
Ja, das ist wirklich gut. Nicht schlecht, die Idee. Aber was mache ich, wenn er meine Arbeit wertschätzt und auf mein Angebot eingeht? Dann werde ich ihn wohl nie mehr los, stöhne ich ratlos.
Noch besser wäre …
Ich erzähle ihm, dass ich mir neben dem Studium meinen Lebensunterhalt als Pornodarsteller finanziere.
„Ach ja. Jetzt, wo du von Verdienstmöglichkeiten in deinem Berufszweig sprichst: Als Pornodarsteller kann man auch gut verdienen, wenn man sich, wie du in deiner Branche, in eine Richtung spezialisiert hat. Ich sag`s dir, heutzutage ist Spezialisierung das A und O!“
„Wie meinst du das?“
„Ich habe mich auch spezialisiert. In meiner Branche bin ich mittlerweile als „Fistfu-cker“ bekannt.“
„Hä?“
„Gleich bei den ersten Drehs nach dem Unfall haben wir die üblichen Dildos, Vibrato-ren und andere spitze Gegenstände einfach weggelassen. Jetzt arbeite ich ausschließlich nur noch mit dem Arm und das mit Erfolg“, antworte ich gelassen und klopfe mit der gesunden Hand auf die Gipsschale, aus der ein hohles Geräusch dringt.
Auch ein guter Plan. Ich weiß aber nicht so Recht und entscheide mich für die letzte Möglichkeit.
Mit dem Vorwand, auf die Toilette zu müssen, schleiche ich mich davon und steige die Treppen in den Keller herab, von wo ich anfangs die Musik gehört habe. Was ich nicht wusste, ist das zu Michas WG ein Partykeller gehört, der mit einer satten Discoanlage und bunten Lichtern an der Decke ausgestattet ist. Die Mucke dröhnt aus den Lautsprechern und die Leute tanzen mit fliehenden Schweißperlen im Gesicht, als gäbe es in dieser Stadt sonst keine Diskos. Ich schaue mich um. Sascha scheint immer noch nicht da zu sein. Wo steckt er denn bloß? Vereinzelt entdecke ich doch noch ein paar bekannte Gesichter, mit denen ein Smalltalk so gut wie vorprogram-miert ist. Die Leute sind alle ganz nett hier. Ich quatsche mit Jörg und zap-pele mit seiner Schwester Nina ein wenig ab. Einvernehmlich haben sich Ricky und Nina vor ein paar Wochen voneinander getrennt. Jetzt ist sie wieder solo und offen für Neues. Ach, da ist ja auch die kleine Snowboard-lehrerin. Sie wird jetzt von ihrem Freund durch die Luft gewirbelt. Die auf der Skifahrt so verhalten und seriös wirkende Snowboardlehrerin entpuppt sich als aufgedrehte und flippige kleine Tanzmaus, die mit ihrem Dandy so richtig auf die Kacke haut. Sie tanzen eine Mischung aus Rock `n Roll und Breakdance und geben dabei ein tolles Paar ab.
Was macht der Idiot denn jetzt? Er klemmt sich eine Bierflasche zwischen Kopf und der niederen Kellerdecke ein und klatscht zum Takt der Musik in die Hände. Anschließend dreht er sich schunkelnd zum Rhythmus um die eigene Achse und fixiert die Flasche mit den Augen. Er zwinkert nach oben und dreht sich dabei konzentriert und vorsichtig, damit die Flasche nicht herunterfällt. Die Snowboardlehrerin und seine Freunde stehen staunend im Kreis um ihn herum und klatschen mit. Wie kreativ von ihm! „Wo hat er bloß diesen tollen Partygag her?“ frage ich mich und schüttele vor Entset-zen den Kopf. Der Dandy hat wahrscheinlich zu viele US-Collagekomödien, die auf ihn abfärben, gesehen. Das ist ganz großes Kino, was er da spielt. Der blöde Collegeboy macht einen auf Party-animal, was seine Leute ihm auch noch durch Beifall quittieren. Um den Idioten besser verarbeiten zu können, greife ich nach einer der frischen Limos aus einer der unzähligen Bierkisten, die in allen Kellerecken zu mehreren Türmen aufgestapelt stehen und wechsele ein paar belanglose Gesprächsfetzen mit Arne, den ich meistens betrunken auf Parties treffe. Er ist erst vor kurzem aus Südafrika wiedergekommen und lässt momentan die Sau raus, bevor es, so sagt er, mit seiner Diplomarbeit ernst wird. Er gibt sich als Beach Boy und hat damit Erfolg. Es scharen sich am heutigen Abend um ihn gleich zwei Damen von denen er, behauptet er zuversichtlich, nur eine, aber er wisse noch nicht welche, mit nach Hause nehme. Seine Sorgen hätte ich jetzt auch gerne, denke ich mir und kratze mich verzeifelt am Sack.
Schnell füllt sich der relativ kleine Keller mit Leuten. Die Feier hat sich schon bald zu einer richtigen Veranstaltung verwandelt. Ich bemühe mich, mit meinem Partygipsarm, so gut es geht zu tanzen, aber die Kunsthoffkral-le fliegt im Gedränge der pogenden Meute hin und her und ich unfreiwillig mit. Geschickt lenke ich die Hartschale an den wild zappelnden Leuten vorbei und rette mich nur mit großer Mühe an den Rand der Tanzfläche. Bereits ein leichter Stoß gegen die Finger meiner Gipskralle würde höllisch wehtun. Die Nervenbahnen im Handgelenk sind noch nicht gänzlich ver-heilt. Ich stehe am Rand, wie ein frustirerter Außenseiter. Die Leute flippen völlig aus und springen fast die Wände hoch, während die Discolichter in verschiedenen Farben im Wechsel aufleuchten.