Ohrenschützer
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(vorheriger Titel: Das Haus am See)
Ein begeisterter Schwimmer war ich nie gewesen, im Gegenteil. Meine Sorgen und Ängste jedoch schon, und dem Versuch ihrer alkoholischen Ertränkung verdankte ich auch meinen derzeitigen erbärmlicher Zustand. Das beste Mittel dagegen, frisch gepresster Orangensaft und starker Kaffee, begann erst langsam zu wirken, als ich meine Stirn vom kühlen Badezimmerspiegel löste, und sich etwas hinter mir im Bett bewegte. Wanzen? Respektabel aufgefüttert, mit etwas unruhigem Schlaf und einer billigen Armbanduhr auf einem braungebrannten Unterarm? Diese Beobachtungen gingen mir im Bus durch den Kopf, nachdem ein genauerer Blick auf eben jene Uhr einen panikartigen Adrenalinausstoß verursacht hatte, der mich aus meiner Wohnung spülte.
Ich hatte tatsächlich keine Ahnung, wer oder was sich da in mein Bett verirrt hatte und musste auf gute Gesinnung hoffen. Haus und bestgehütete Intimsphäre standen dem Wesen ohne Einschränkung offen. Der Wanze. Doch damit durfte ich mich in diesem Moment nicht auseinandersetzen; dies bestätigte mir die Tatsache, dass ich meine Station versäumt hatte, an der ich hätte aussteigen sollen. Glücklicherweise hatte ich meinen Aktenkoffer bereits am Vortag vorbereitet. Somit war ich sicher, den Zettel mit der Adresse meines potentiellen Arbeitgebers vorzufinden. In der Tat erhellte die Notiz nicht nur mein Gemüt, sondern auch die Sachlage; meine Zieladresse war wohl nur wenige Gehminuten entfernt.
Die benannte Straße führte in einen Park. Dort, wo das Haus mit der angegebenen Hausnummer hätte stehen sollen, befand sich, wie ich präzise feststellen konnte, nichts. Genauer gesagt, nichts Bewohnbares. Eine kleine Wiese, dahinter ein langgezogener, großer Teich. Darauf ein Steg, an dessen Ende ein kleiner Verbau, eine Art Schuppen. Ich griff zum Stadtplan und an meinen Kopf, in genau dieser Reihenfolge. Die Lösung war bestimmt ganz simpel. Etwa: Die Adresse war falsch. Oder: Ein Fliegenschiss auf dem Papier. Oder: Erste Halluzinationen.
Ein eleganter Herr kam aus dem Schuppen am Ende des Stegs und ging mit pochenden Schritten über die Planken. Ich sinnierte. Vielleicht war das Haus mit der Nummer nur gänzlich an einer anderen Stelle, außerhalb der Reihenfolge der Hausnummerierung. Oder es gab eine zweite Straße mit demselben Namen in der Stadt. Der Mann hatte das Ufer erreicht. „Entschuldigen Sie“, sprach ich ihn an. Ob er jene Firma kenne. Am Ende des Steges, erwiderte er kurz aber freundlich und ließ mich offenen Mundes stehen. „Dritter Stock“, rief er noch im Weggehen. Der Dank entrang sich zu spät meiner gelähmten Zunge, während ich den Hals reckte. War der Schuppen das geniale Produkt moderner Architektur, die ihn nicht nur baufällig und klein, sondern auch noch nah erschienen ließ? Es schien mir von meiner Position, als könne man gerade noch aufrecht in ihm stehen, und nicht, als könnte man in ihm einen dritten Stock erreichen.
Mir war klar, dass Alkohol die Wahrnehmung beeinträchtigen kann. Also trat ich ans Ufer und setzte meinen Fuß auf den Steg. Nicht, dass ich etwa Furcht vor dem Wasser empfände. Ehrfurcht trifft es vielleicht eher, Respekt vor dem Umstand, dass es täglich neuen Opfern den Erstickungstod bringt. Dass es sich in Kleider und Gewebe krallt, sich langfristig einnistet und es beschwert, nach unten zieht, sanft und erbarmungslos. Die Holzbretter des Stegs knackten verdächtig, als ich über sie hinwegeilte. Zwischen die Ritzen nach unten zu blicken, wo das Nass gluckste und blitzend spiegelte, war mir ein Gräuel, das mir den Atem nahm.
Beim Schuppen angekommen, stellte ich fest, dass ich mich bei der Einschätzung seiner Größe nicht wesentlich getäuscht hatte. Er war gerade mal mannshoch. Schon ärgerte ich mich über den vermeintlichen Scherz des Geschäftsmanns, der vielleicht nur ein ebensolches, menschliches an dieser abgelegten Stelle verrichtet haben mochte. Da stieß ich auf einen verblüffenden Umstand. Die der offenen Wasserfläche zugewandte Fläche war aus Glas, während die Uferseite offenbar wegen Bautätigkeit mit Brettern verstellt war. Als sich die Schiebetür öffnete und ich eintrat, erkannte ich: Es war ein Lift.
Da endlich wirkte der Kaffee auf mein wie in Schraubstöcke geklemmtes Hirn: Der Aufzug war ein Abzug, er führte nach unten. Ich bewarb mich bei der „Goldmund Goldfischzucht GmbH“.
Ein begeisterter Schwimmer war ich nie gewesen, im Gegenteil. Meine Sorgen und Ängste jedoch schon, und dem Versuch ihrer alkoholischen Ertränkung verdankte ich auch meinen derzeitigen erbärmlicher Zustand. Das beste Mittel dagegen, frisch gepresster Orangensaft und starker Kaffee, begann erst langsam zu wirken, als ich meine Stirn vom kühlen Badezimmerspiegel löste, und sich etwas hinter mir im Bett bewegte. Wanzen? Respektabel aufgefüttert, mit etwas unruhigem Schlaf und einer billigen Armbanduhr auf einem braungebrannten Unterarm? Diese Beobachtungen gingen mir im Bus durch den Kopf, nachdem ein genauerer Blick auf eben jene Uhr einen panikartigen Adrenalinausstoß verursacht hatte, der mich aus meiner Wohnung spülte.
Ich hatte tatsächlich keine Ahnung, wer oder was sich da in mein Bett verirrt hatte und musste auf gute Gesinnung hoffen. Haus und bestgehütete Intimsphäre standen dem Wesen ohne Einschränkung offen. Der Wanze. Doch damit durfte ich mich in diesem Moment nicht auseinandersetzen; dies bestätigte mir die Tatsache, dass ich meine Station versäumt hatte, an der ich hätte aussteigen sollen. Glücklicherweise hatte ich meinen Aktenkoffer bereits am Vortag vorbereitet. Somit war ich sicher, den Zettel mit der Adresse meines potentiellen Arbeitgebers vorzufinden. In der Tat erhellte die Notiz nicht nur mein Gemüt, sondern auch die Sachlage; meine Zieladresse war wohl nur wenige Gehminuten entfernt.
Die benannte Straße führte in einen Park. Dort, wo das Haus mit der angegebenen Hausnummer hätte stehen sollen, befand sich, wie ich präzise feststellen konnte, nichts. Genauer gesagt, nichts Bewohnbares. Eine kleine Wiese, dahinter ein langgezogener, großer Teich. Darauf ein Steg, an dessen Ende ein kleiner Verbau, eine Art Schuppen. Ich griff zum Stadtplan und an meinen Kopf, in genau dieser Reihenfolge. Die Lösung war bestimmt ganz simpel. Etwa: Die Adresse war falsch. Oder: Ein Fliegenschiss auf dem Papier. Oder: Erste Halluzinationen.
Ein eleganter Herr kam aus dem Schuppen am Ende des Stegs und ging mit pochenden Schritten über die Planken. Ich sinnierte. Vielleicht war das Haus mit der Nummer nur gänzlich an einer anderen Stelle, außerhalb der Reihenfolge der Hausnummerierung. Oder es gab eine zweite Straße mit demselben Namen in der Stadt. Der Mann hatte das Ufer erreicht. „Entschuldigen Sie“, sprach ich ihn an. Ob er jene Firma kenne. Am Ende des Steges, erwiderte er kurz aber freundlich und ließ mich offenen Mundes stehen. „Dritter Stock“, rief er noch im Weggehen. Der Dank entrang sich zu spät meiner gelähmten Zunge, während ich den Hals reckte. War der Schuppen das geniale Produkt moderner Architektur, die ihn nicht nur baufällig und klein, sondern auch noch nah erschienen ließ? Es schien mir von meiner Position, als könne man gerade noch aufrecht in ihm stehen, und nicht, als könnte man in ihm einen dritten Stock erreichen.
Mir war klar, dass Alkohol die Wahrnehmung beeinträchtigen kann. Also trat ich ans Ufer und setzte meinen Fuß auf den Steg. Nicht, dass ich etwa Furcht vor dem Wasser empfände. Ehrfurcht trifft es vielleicht eher, Respekt vor dem Umstand, dass es täglich neuen Opfern den Erstickungstod bringt. Dass es sich in Kleider und Gewebe krallt, sich langfristig einnistet und es beschwert, nach unten zieht, sanft und erbarmungslos. Die Holzbretter des Stegs knackten verdächtig, als ich über sie hinwegeilte. Zwischen die Ritzen nach unten zu blicken, wo das Nass gluckste und blitzend spiegelte, war mir ein Gräuel, das mir den Atem nahm.
Beim Schuppen angekommen, stellte ich fest, dass ich mich bei der Einschätzung seiner Größe nicht wesentlich getäuscht hatte. Er war gerade mal mannshoch. Schon ärgerte ich mich über den vermeintlichen Scherz des Geschäftsmanns, der vielleicht nur ein ebensolches, menschliches an dieser abgelegten Stelle verrichtet haben mochte. Da stieß ich auf einen verblüffenden Umstand. Die der offenen Wasserfläche zugewandte Fläche war aus Glas, während die Uferseite offenbar wegen Bautätigkeit mit Brettern verstellt war. Als sich die Schiebetür öffnete und ich eintrat, erkannte ich: Es war ein Lift.
Da endlich wirkte der Kaffee auf mein wie in Schraubstöcke geklemmtes Hirn: Der Aufzug war ein Abzug, er führte nach unten. Ich bewarb mich bei der „Goldmund Goldfischzucht GmbH“.