Aus meinem Tagebuch - Kolumbien II

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Retep

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Aus meinem Tagebuch

Kolumbien II

Der Zug stand jetzt schon eine ganze Weile in der Mittagshitze zwischen verdorrten Büschen. Hier war kein Ort, nur ein kleines Häuschen stand da. Wir waren unterwegs zu einem See im „Heißen Land“. Dort wurde nach Öl gebohrt, jemand aus unserem Lehrerkollegium kannte den Chef, er hatte uns das Gästehaus angeboten. Wir wollten uns da etwas von unserer Schularbeit erholen.
Ich schaute sehnsüchtig auf den Fluss, baden müsste man jetzt, dachte ich, sich abkühlen.
- „ Warum hält der Zug hier, wie lange werden wir noch hier bleiben?“, fragte ich meine Kollegen.
Sie schauten mich etwas verständnislos an. Jorge meinte dann, dass solche Fragen hier nicht üblich seien, es würde schon irgendwann weiter gehen. Er zeigte dann nach draußen auf einen schiefen Mast, das Zugsignal stand auf „Stop“.
Die Bullenhitze schien meinen kolumbianischen Kollegen wenig auszumachen, sie unterhielten sich und lachten oft.
„ Ich werde mal nachfragen, wie lange wir noch hier auf die Weiterfahrt warten müssen, vielleicht können wir in dem Fluss baden“, sagte ich.
Das habe wenig Sinn, meinte eine Kollegin, jetzt sei Mittagszeit. „Da schlafen alle.“
Ich stieg trotzdem aus, ging auf das Bahnwärterhäuschen zu. Als ich näher kam hörte ich jemanden schnarchen.
Die Tür war nicht verschlossen, ich ging hinein. In einer Ecke lag ein zerbrochener Stuhl neben einem kleinen Tisch. Sogar ein Telefon stand darauf. Neben dem einzigen Fenster, ragte ein Hebel aus der Wand. Auf dem Boden lag ein Mann und schlief, sein Hemd hatte er wohl wegen der Hitze ausgezogen, sein Bauch quoll aus der Hose. Er schnarchte fürchterlich.
Mehrere Male rief ich „hallo“, der Mann regte sich nicht. Dann knallte ich die Tür zu und der Mann öffnete tatsächlich ein Auge, sah mich erstaunt an.
„Entschuldigen Sie, dass ich hier störe, ich wollte nur fragen, wie lange der Zug hier noch hält.“
Der Mann stand nicht auf, schloss sein Auge wieder.
„Um diese Zeit ist hier kein Zug“, murmelte er und schlief wieder ein.
Ich wurde langsam ungeduldig, die Hitze setzte mir immer mehr zu. Etwas lauter rief ich, dass er doch einmal aus dem Fenster sehen möchte, da stände ein Zug!
Jetzt öffnete der Mann beide Augen und schüttelte den Kopf.
„Seňor, glauben Sie mir doch, hier war noch nie ein Zug um diese Zeit, zwanzig Jahre arbeite ich schon verantwortungsvoll an dieser Stelle“, meinte er. Er hatte sich etwas aufgerichtet, stützte sich auf seine Ellbogen.
„Und woher bin ich gekommen, wenn da kein Zug steht?“, fragte ich ihn.
Der Mann legte sich wieder auf den Fußboden, sagte, dass er nicht wisse, woher ich komme. Es interessiere ihn auch nicht. Ich solle nur dahin zurück gehen, wo ich hergekommen sei, er müsse jetzt seinen Mittagsschlaf machen. Seine Arbeit hier sei ziemlich anstrengend.
Ich zog meinen Geldbeutel heraus, nahm einen Geldschein, knisterte mit ihm etwas und legte ihn auf das Fensterbrett. Der Mann riss sofort beide Augen auf, erhob sich etwas, kniete vor dem Fensterbrett und nahm den Schein an sich.
Dann zog er an einem Hebel und der Zug setzte sich in Bewegung. Ich konnte gerade noch auf den letzten Wagen aufspringen.
 
S

suzah

Gast
hallo retep,
schön, wieder von dir zu lesen. eine köstliche geschichte!

liebe grüße aus berlin, suzah
 

Retep

Mitglied
Morgen susah,

ja, ich bin mal wieder kurz da, freut mich, dass dir mein Tagebucheintrag gefallen hat.

Gruß

Retep
 



 
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