Aussicht

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Walther

Mitglied
Aussicht


Ich will davon nicht schreiben und nicht reden:
Ich will mich selber leben Tag für Tag.
Nicht dass ich diese Aussicht gar nicht mag:
Sie öffnet nur den Blick nicht auf ein Eden.

Ich bins nicht, den ich auf dem Rücken trag:
Es sind die falschen Werte und die Schäden,
Es sind die alten Häuser, schiefe Läden,
Es sind die falschen Säcke, die ich schlag.

So werde ich mich immer wieder irren,
Die Schönheit werd ich suchen in dem Wort.
Verzweifelt werde ich das Knäuel entwirren,

Den Faden, der mich führt an diesen Ort.
Wie Ochsen hängen wir in den Geschirren
Und ziehen nur uns selbst doch immerfort.

in memoriam Robert Gernhardt
 

NewDawnK

Mitglied
Hallo Walther,

Dein Gedicht spricht mich sehr an. Du fasst hier etwas in Worte, das ich gut nachvollziehen kann.
Ich denke, gerade solches Wissen um die eigene Wirklichkeit ist es, was dem Leben eine besondere Tiefe geben kann.
Aus meiner laienhaften Sicht auch technisch ein Meisterstück. Danke!

Schöne Grüße, NDK
 

Walther

Mitglied
Guten Abend, NewDawnK,

vielen lieben Dank für Deinen Eintrag. Ob es ein technisches Meisterstück ist, kann ich selbst schlecht beurteilen. Es ist ein dichterisches Kabinettstückchen mit Hintergedanken, das einem meiner Lieblingslyriker gewidmet ist, der vor kurzem mit 68 Jahren an einer langen Krankheit gestorben ist.

Ich habe Aspekte aus seinem Leben und Wirken verarbeitet und es in wenige Bilder und Allegorien gepackt. Ein solches Nachwort ist immer unvollkommen und wird dem Menschen, um den es geht, selten wirklich "gerecht". Zugleich soll es über den Tag hinausweisen, damit es nicht zu schnell sich abnützt. Das ist ein Spagat, der allzu selten gelingt.

Robert Gernhardt ist einer der ganz Großen der deutschen Gegenwartslyrik. Ihn zu lesen, kann ich nur jedem anempfehlen. Daß er nicht mehr da ist, das ist ein wirklicher Verlust. Wer ihn mit offenen Sinnen liest, wird mir das bestätigen.

Wenn es mir gelungen ist, darüberhinaus in Dir (und anderen) etwas zum Klingen gebracht zu haben, ist das auch ein Kompliment für ihn. Denn ohne ihn und den Verlust, den ich empfinde, wäre dieses kleine unbedeutende Sonett nicht entstanden.

Liebe Abendgrüße an Dich und alle Lesenden und Lupenden

W.
 
M

Melusine

Gast
Hallo Walther,
mir gefällt das auch sehr gut. Da ist dir wirklich ein Kabinettstück gelungen - alle Achtung!

LG Mel
 

Walther

Mitglied
Danke, Mel,

man(n) muss bei so viel Lob achtgeben, daß man(n) nicht abhebt. Das wäre zum Einen ungesund (tiefer Fall) und zum Anderen schlecht für die LL (Folge: schlechte Gedichte). ;)

Lieben Dank und schönen Sonnentage!

Grüße W.
 

Gerd Geiser

Mitglied
Lieber Walther,

ich finde, dieses Gedicht hat es verdient, noch einmal auf die Reise durch die LeLu geschickt zu werden. Es hat noch nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit erfahren. Ich halte es für absolut gelungen.
Danke für den Hinweis.

Lieben Gruß
GG
 

MarenS

Mitglied
Lieber Walther,

ein gutes Sonett zu schreiben ist entweder so etwas wie göttliche Eingebung oder Können...manchmal auch eine Mischung aus beidem.
Deines ist gut, denn es ist stimmig und der Inhalt macht Sinn und regt zum Denken an.
Also, Ehre wem Ehre gebührt...

Schmunzelnd binde ich vorsichtshalber ein Seil an deinen Fuß und verknote das andere Ende mit etwas Zugabe in unserer alten Trauerweide.
Auf diese Weise sollte dein Fall nicht zu tief sein *g

Es grüßt Maren
 

Walther

Mitglied
Hallo MarenS,

danke für Dein hohes Lob. Keine Angst, ich hebe nicht ab. ;)

Als Gelegenheitsdichter und bekenndem Dillettanten ist mir sehr bewußt, daß vielleicht ein Gedicht unter 50 bis 100 mehr oder minder brauchbaren (meist eher minder) Werken einige etwas über den Tag hinaus Qualiäten besitzt. Dieses scheint so eines zu sein. Da darf man sich dran freuen und dankbar sein, daß wirklich eine echte Muse geküßt hat. :)

Wer daraus ableitet, die anderen Reim- und Dichtversuche seien auch bleibende deutsche Wortkunst, der gleicht ein wenig dem Ikarus, der hoch hinauswollte und noch tiefer abstürzte. Da ich Höhenangst habe, bleibe ich lieber auf dem Teppich. :D

Lieben Dank nochmals und beste Grüße und Wünsche

W.
 
Lieber Walther,
auf dem Teppich bleiben ist immer gut. Dennoch möchte auch ich dir bescheinigen, dass dir hier wirklich ein bemerkenswertes Sonett gelungen ist. Der getragene Rhythmus des Sonetts passt auch hervorragend zur Motivation des Gedichtes. Kurzum - rundum gut!
VG Steffen
 

Walther

Mitglied
Hallo, LML!

Herzl. Dank für die Blumen. Bekennende "Kritiker" sind immer gut beraten, die eigene Monstranz, selbst ein bedeutender Autor sein zu wollen, nicht zu sichtbar vor sich herzutragen.

Ich habe meine Möglichkeiten, gute von schlechteren Gedichten zu unterscheiden, immer für stärker ausgeprägt gehalten als meine eigene Fähigkeit zu guter Dichtung. Es tut nicht wirklich weh, wenigstens manchmal ehrlich zu sich zu sein. Bescheidenheit hat selten geschadet, jedenfalls verringert sie meist kaum je die eigene Lebensqualität.

Dabei wird es auch in Zukunft bleiben: Die eigenen Möglichkeiten sollte man tiefer hängen, sonst bleibt ein schlechtes Gefühl, nämlich das des Verkanntseins, zurück. Und das behindert eher die Kreativität und das Wohlbefinden, als daß es beiden zum Glanze aufhülfe.

Lieben Gruß

W., bekennender Kritiker und lyrischer Dillettant :)
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

den Text kannte ich noch gar nicht. Wahrscheinlich ist er entstanden, als mein PC seinen Geist aufgegeben hatte.

Du hast einen kleinen Rhythmusfehler drin.

[blue]Verzweifelt werd' das Knäuel ich entwirren
[/blue]
könnte es heißen. So würde der Rhythmus stimmen.



[red]An die Redakteure[/red]

Seit wann ist es erlaubt, dass jemand ohne Begründung einen Text mit einem Satz "erledigt"?

Allmählich fange ich an, mich zu wundern.


Liebe Grüße
Vera-Lena
 
L

label

Gast
Lieber Walther

dieses Sonnett von dir hatte ich noch nicht gelesen, mir gefällt es gut, Form wie immer mäkelfrei, inhaltlich bin ich angetan.
Texte, die ehrlich-offen-kritisch an ein Thema herangehen sind mir eine besondere Freude.
insofern kannst du in zugasts Tun ein Gutes finden, er hat es nochmal hervorgekramt, so dass sich viele daran erfreuen können.

Nur die Strophe mit dem Knäuel ist von der Aussprache für mich schwierig. Ich sage Knäu-el, weiß aber, dass viele Knäul sagen.
Vielleicht magst du da noch mal darauf rumdenken.

zugast hier hast du dich zu deinen eigen Forderungen umgekehrt proportional verhalten. Das war wohl nichts!

freundlich grüßt
label
 

Vera-Lena

Mitglied
Oh, interessant, liebe label,

dass man das Wort "Knäuel" auch einsilbig aussprechen kann, wusste ich nicht.
Im Duden ist es auch zweisilbig angegeben. Aber manchmal gibt es ja Mundarten, die ich nicht kenne, in denen die Dinge dann anders liegen.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Ach, zugast,

mit deiner [red]1[/red] hast Du Walthers Gedicht hinaufgewertet, denn jetzt ist nicht mehr der höchste Wert gestrichen, sondern der niedrigste, dadurch hat das Werk insgesamt jetzt eine höhere Bewertung.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
L

label

Gast
hallo Vera Lena

du hattest gleichzeitig mit mir geschrieben, darum sah ich deinen Eintrag nicht vorher. Zum Knäuel haben wir offenbar eine ähnliche Aussprache - im Süden wird es Knäul gesprochen.

dass dir zugasts Vorgehensweise hier nicht gefällt - das geht mir auch so. Nur dass dies ansonsten bei anderen nicht vorkäme - das ist gewiss nicht so. Ich habe lebhafte Erinnerungen an Ähnliches von akzeptierten LL-Mitgliedern.
Wie Walther schon so treffend ausführte -
Unsympathische Menschen behandelt selbst der schlechter, der sich bemüht, objektiv zu sein.
ich würde das nur insoweit relativieren wollen in - Menschen die einem unsympathisch sind -

freundliche Grüße
label
 

Vera-Lena

Mitglied
OK, label,

da hatte ich wohl etwas falsch in Erinnerung. Hier wurde ja nicht der Autor, sondern der Text kommentarlos zur Schnecke gemacht,[es wurde also niemand beleidigt] aber das kann man dann auch nur unter "spontane Leseeindrücke" posten und nicht unter konstruktive Vorschläge.

In der Nettiquette habe ich eben noch etwas gefunden, was ich gar nicht wusste, nämlich das Fettschrift als Anschreien aufgefasst wird. Oh, je, das war nun wirklich nicht meine Absicht. Wenn es Jemand so verstehen sollte, entschuldige ich mich hier in aller Form!


Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Walther

Mitglied
Lb. Vera-Lena,

der Eintrag unseres werten Mitschreibers zugast ist bereits entsprechend behandelt. :) Das war ja zu erwarten.

Wobei ich Dir Recht gebe: Damit hat er uns allen eher einen Gefallen getan, das ist also ein klassisches Eigentor.

Zum Wort Knäuel. In der Tat kann man dieses Wort wohl ein- wie zweisilbig lesen. Ich kenne es als "knoil" gesprochen. Aber darüber kann man streiten. Als Lösung könnte man eine Elision wählen.

Danke für Deine Parteinahme und lieber Gruß W.

Lb. Label,

bleiben wir beim Text, und dieser ist sicher einer meiner guten Versuche. Alles andere sollten wir einfach an anderer Stelle debattieren, der Anlaß und sein Verursacher bekämen sonst eine Aufmerksamkeit, die ihm nicht zusteht.

Danke für Deine positiven Worte zum Gedicht.:) Das "Knäu'l" Thema werden wir hier nicht ganz auflösen.

Lieber Gruß W.

Hallo Lapi,

ich kenne das Wort so wie Du, aber Google bringt hier durchaus Argumente für die Verfechter der Zweisilbigkeit. Also wäre wohl die Elision die sauberste Lösung.

LG W.
 



 
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