Auszüge von 1932 - 1945 wenn Mutter erzählte:

anonyma-b

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Euer Vater und mein Vater, also euer Großvater mochten sich von Anfang an.

Beide sahen ja gut aus, Opa Max trug ein Oberlippenbärtchen, euer Vater wurde auf einem Foto in Uniform der SA im Schaufenster eines Fotoladens ausgestellt, da war ich sofort verliebt, denn paar Tage später in der „Tanne“ forderte er mich zum Tanz auf. - Also das kam so, wir d.h. Tante Änne und ich gingen Dienstagsabend zum Faschingsball. Schön kostümiert saßen wir Freundinnen an einem Tisch neben der Tanzfläche, als Änne ihren Fächer auf meinen Arm klatschte: „Guck, der sieht aber gut aus!“ und ich, mich umschauend, das lebendige Foto sah, nur nicht in Unform, sondern im schicken Frack. Nun stellt euch vor, paar Minuten später kam er zu unserem Tisch und forderte mich höflich zum Tanz auf.

Er konnte gut tanzen, Foxtrott am liebsten.

Dann später, es ging alles sehr schnell; nachdem ich ihn den Monat darauf meinen Eltern vorstellte, er als junger Unternehmer und mein Vater Meister bei Hoesch in der KPD und euer Vater schon Nazi, also Nationalsoziallist. Das Soziale für die Arbeiterschaft verband sie aber irgendwie.

Natürlich gab es zwischen den beiden heiße Diskussionen, meine Mutter hielt sich aber, genau wie ich, daraus. Wir sagten immer Männersache. Eure Oma fand euren Vater auch sympathisch und nach 3 Monaten wurde geheiratet.

Wir hatten eine glückliche Zeit, fuhren oft nach Dresden in die Semperoper, kehrten in den schönen Restaurants an der Prager Straße ein, ihr wurdet geboren.

Bis der Krieg kam mit all seinen Widrigkeiten.
Euer Opa blieb durch seine Position im Werk von Diskriminierungen verschont, bis Anfang 1941, als durch betriebsbedingte Infektionen er plötzlich ein großes Furunkel am Hals bekam, es wurde ihm oft schwindelig und er wurde krankgeschrieben. Aber wie Männer ebenso sind, wollte er auch manchmal raus und Oma begleitet ihn ans Elbufer, damit er frische Luft schnappen konnte. Eines Tages vor dem Abendessen
- es geht schon allein - ging er wieder an die Elbe durch das „Dohnaische Tor“, aber es wurde später, immer später. -
Er kam nicht zurück.

Als man ihn nach Tagen, an einem Brückenpfeiler angeschwemmt, bei Copitz in der Elbe fand, war der offizielle Befund „Tod durch einen Schwindelanfall,“ aber die Wahrheit war eine andere.

Im Februar 1945 wurde dann unser schönes Dresden zerstört. Im Mai war Gott sei Dank der Krieg vorbei, genau am 8. Mai, der Tag der Befreiung. Aber jetzt kam erst für uns die Not, denn euer Vater wurde von den Russen verhaftet, aber das ist ein andres Kapitel.

Unsere Marienkirche bekam im Sommer 1945 einen jungen Pfarrer, der sich seelsorgerisch für uns sehr einsetzte. In den Wirren der Nachkriegszeit wurden etliche Leichen bei uns auf der Elbe sichtbar und der junge Pfarrer; der euch ja auch später konfirmierte, half vor der Elbbrücke die angeschwemmten Körper zu bergen, die sich in einem schrecklichen Zustand befanden. Erschossen, stranguliert, zum Teil die Augen ausgestochen, Gliedmaßen fehlten, alle in einem furchtbaren Zustand, auch Frauen und Kinder, unvorstellbar Grausam.

Er erhielt die Genehmigung sie ordentlich in einem Gemeinschaftsgrab bei uns in Pirna zu beerdigen.
Pfarrer Hähnlein, so hieß er, erzählte mir übrigens später, dass mein Vater von hinten erschlagen wurde, wie es ihm ein angeblicher Zeitzeuge schilderte, aber darüber gibt es keinen Aktenbefund.

Wahrscheinlich waren es die Nazis, oder er wußte was.
 



 
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