Axt in der Brust

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JuDschey

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Axt in der Brust


Ein kleiner Sonnenstrahl fiel durch ein kieselsteingroßes Loch in der Jalousie direkt auf Manfreds Nasenspitze. Wie immer seit seinem Rausschmiss bei Langschmidt & Söhne schlief er auch an diesem Tag bis in die Puppen wie er zu sagen pflegte.
Vor dem Schlafzimmerfenster im Parterre des Mietshauses in der Droste-Hülshoff-Straße packten, eine Stunde nach Mittag, drei fleißige Männer die Resultate hemmungsloser Baum- und Strauchbeschneidungen in ihren großen Müllwagen. Man sah ihnen an, dass sie keine Lust hatten, die meist sperrigen und völlig überfüllten Eimer und Bottiche zu entleeren. Sie ließen die Behältnisse laut krachend vor den Zäunen und Fenstern der Leute, die ihnen diese unerfreuliche Arbeit aufgehalst hatten, auf den Bürgersteig krachen.
"Verflucht noch mal! Was ist denn das für ein gottverfluchter Krach da draußen?", zeterte Manfred und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Draußen brummte der schwere Dieselmotor wie ein Dinosaurier vor dem Angriff. "Verfluchte Abfälle! Verfluchte Müllmänner! Verfluchte Menschen! Verfluchte Welt!", schrie er in sein einsames Schlafzimmer und hopste mit einem Bauch voller Wut aus seinem zerwühlten Bett.
Das an ihn gerichtete "Halts Maul du Arschloch!", das gedämpft aus der Wohnung über ihm kam, bedachte er wie immer mit einem teuflischen Grinsen, das ihm aber ziemlich flott wieder verging. Petra hatte ihm erst vergangenen Sonntag erklärt, dass sie lieber mit einem anderen Mann zusammen sein wollte. Und eine Arbeit hatte er auch nicht mehr und wenn fünf Millionen Menschen keine Arbeit hatten, dann sah die Chance für Manfred verdammt schlecht aus, in der nächsten Zeit wieder Arbeit zu bekommen.
Michael aß nichts. Ihm war der Appetit vergangen. Er schüttete nur den Dreck, der sich über Nacht in seinem Körper gebildet hatte, ins Klo und stahl sich aus der erdrückenden Einsamkeit seiner Wohnung, nachdem er sich einfach die leicht müffelnden und etwas unsauberen Klamotten von gestern angezogen hatte.
Der Himmel war blau. Die Temperatur mäßig warm. Er zog sein marineblaues Sweatshirt wieder aus und warf es einfach in den Vorgarten. Er wusste, dass es niemand fortnehmen würde. Man würde sein fleckiges Shirt mit den zwei kleinen schwarzen Branntlöchern von herabgefallener Zigarettenglut für Abfall halten. Und Abfall läßt man liegen. Das ist das Ressort für niemanden. Vielleicht für Hausmeister oder Straßenreiniger. Aber eben nicht für normale Leute. Da war sich Manfred sicher, dass sich niemand drum kümmern würde. Er würde es später wieder dort vorfinden und mit rein nehmen. Seine Mutter hatte immer gesagt, seit die ganzen Ausländer hier in Deutschland wären, würde es von Tag zu Tag dreckiger in unserem einst so sauberen Land. Und niemand würde sich drum scheren. Ausländer schon gar nicht und Deutsche schon lange nicht mehr. Er glaubte ihr, denn er sah ja jeden Tag diesen Dreck, überall. Selbst Deutsche, Leute wie er selbst, kannten keine Hemmungen mehr, ihren Mist einfach irgendwohin zu werfen. Ein voller Aschenbecher wird einfach aus dem Auto genommen und auf dem Bürgersteig entleert. Das erlebte er beinahe täglich, direkt vor seinem Fenster. Und keiner machte es weg. Niemand hob eine leere Plastikflasche auf dem Bürgersteig auf. Niemand bückte sich nach herumfliegendem Papier. Alle ignorierten die Abfälle auf den Straßen und fügten selber noch etwas dazu, bis irgendwann die Kehrmaschine das Gröbste beseitigte und wieder alles von vorn begann.
Schon bald hatte Manfred seine Straße verlassen. Es schauderte ihn, als er an dem Kahlschlag in den Gärten der Eigenheimbesitzer entlang gegangen war. Er dachte: "Die Natur zu beschneiden, das sagt eigentlich schon alles. Da kann man nur jeden Abend fleißig beten, dass ein Meteorit auf die Erde kracht und diesen Irrsinn Mensch beseitigt. Vielleicht sollte ich mich aber besser einer Terroristengruppe anschließen, damit´s schneller ein Ende nimmt. Ein Meteor ist ja noch gar nicht in Sicht."
Er blickte einem über die Straße fliegendem Werbeplakat nach, dessen kreiselndes Dahinschweben von einem Maschendrahtzaun auf der anderen Straßenseite beendet wurde. Dort fanden ebenfalls Zeitungen, Bonbonpapier, Zigarettenschachteln, Dosen und Plastikfalschen ihr vorläufiges Ende. Manfred dachte an das letzte Gespräch mit seiner Mutter. Es war vor zwei Wochen, da hatte sie Geburtstag und er war ihr einziger Gast. "Einen Hitler will niemand. Aber einen kleinen, das wäre nicht schlecht. Ein kleiner Hitler, der würde aus diesem verdreckten Drecksland wieder was Ordentliches machen", hatte sie gesagt und er hatte genickt.
Während er mechanisch weiterging überlegte er, dass auch ein großer Hitler sicher kein Fehler wäre. In der Demokratie gäbe es viele Meinungen und einen Haufen Bürokratie und keiner hätte Macht und niemand sei für irgendwas zuständig und schon gar nicht verantwortlich. Man sähe überall, dass die Demokratie an ihrem Ende angelangt wäre.
Die Gesetze und vor allem die Ahndung von Gesetzesbrechern wären viel zu lasch. Ein Raser sollte ohne viel Federlesen erschossen werden und wer die Scheiße von seinem Köter nicht auf der Stelle beseitigt, ebenfalls.
Manfreds Weg führte hinaus aus der Stadt. Fort von zivilisierten Menschen, hinaus in die Natur. Sein Unbewusstes hatte ihn diesen Weg gehen lassen und als er am letzten Haus vorbeikam, stellte er fest, dass er instinktiv den richtigen Weg gefunden hatte, obwohl er keine Ahnung davon hatte, was er draußen auf dem Land und dem nahegelegenen Wald tun sollte.
Zu seiner Linken graste eine Herde Schafe und spontan erinnerte er sich an den Spruch seiner Mutter: "Schafe zur Linken, dann wird Freude dir winken."
Manfred grinste. "Was für ein Unsinn", dachte er, "Aberglaube. Ein Blödsinn wie jeder Glaube ein Schwachsinn ist. Glaube heißt nicht wissen. Und was man nicht weiß, darüber kann man nichts sagen und auch keine Schlüsse draus ziehen und schon gar keine Prophezeiungen davon ableiten. Wie kann man heute noch einem idiotischen Glauben anhängen. Die Christen, alle die noch religiös sind, die sind doch echt geisteskrank. Ab in die Gaskammer würde ich sagen. Damit wenigstens dieser Schwachsinn ein Ende hat."
Als er an einem Elektrozaun halt machte, schob sich eine Wolke vor die Sonne. "Na, du Kuh", sagte er und kam sich sofort bescheuert vor, mit einem Rindvieh zu reden, das ihn wiederkäuend und recht dumm anglotzte. "Ist das nicht öde, den ganzen Tag hier auf der Wiese rumstehen, Gras fressen und blöd rumschauen und abends in den Stall gebracht werden, um gemolken zu werden?"
Manfred schaute noch eine Weile zu und als er feststellte, dass die Kuh und ihre Artgenossen offensichtlich keinen Kummer über ihr Gefängnis und die schamlose Ausnutzerei hatten, ging er nachdenklich weiter. Hätte er wirklich den Zaun eingerissen, wenn die Kuh traurig gewesen wäre, wenn er in ihren großen schwarzen Augen eine Sehnsucht nach Freiheit entdeckt hätte?
Nach einer Weile kam er in den Wald und er sagte sich, dass er ein verdammtes Glück gehabt hatte, weil es nun leicht zu regnen begann. Die Luft war frisch und feucht. Der Boden weich und federnd. "Was für ein Kontrast zu diesen dämlichen Straßen", dachte er und hatte im selben Augenblick das Gefühl, als würde ganz entfernt jemand rufen. Er blieb stehen und lauschte. "Hilfe! Hilfe!", kam es leise aus der Richtung in die er gehen wollte. Er war zu neugierig, als sich noch über die Abfälle in Mutter Natur zu ärgern, die auf dem Weg und im Gebüsch schmutzige Bilder des modernen, umweltzerstörenden Lifestyls lieferten.
Manfred überlegte, ob er nicht lieber umkehren sollte. Schwierigkeiten hätte er wohl genug, da könnte er jetzt gut drauf verzichten. Aber hier im Wald würde er kaum nass und das wäre sowieso seine Richtung, meinte er und ging etwas langsamer weiter, den leisen Hilferufen entgegen.
Schon bald wurden sie lauter und eindringlicher. Manfred meinte, es hörte sich an, als wäre dort jemand am verrecken. Eine Frau, daran gab es keinen Zweifel. Vielleicht geschändet und schwer verletzt liegen gelassen. Aber was ginge ihn das an?
Es wäre zu schön, wenn es Petra erwischt hätte, dachte er und stellte sich vor, wie sie da mit zerrissenen und blutbesudelten Klamotten im Dreck liegt. Vergewaltigt und brutal mit dem Messer verletzt. Er war neugierig. Es wäre wirklich zu schön, wenn es so sein sollte, sinnierte er und ging forsch voran.
Und tatsächlich, es war eine Frau, die dort über und über voller Blut unter einem Baum im Dreck lag. "Hilfe! Helfen sie mir!", flehte sie. Manfred kam näher und sah die Axt in ihrer Brust.
"Pech gehabt, was?", fragte er grinsend. Doch die Frau war nicht mehr in der Lage, sich über seine dumme Frage zu mokieren. "Krankenwagen. Sie haben doch ein Handy, nicht wahr?", fragte die verstümmelte Frau. Manfred spuckte auf den Boden, als er gerade den abgeschlagenen Arm und das bewegungslose Bein neben der Blutverschmierten sah.
"Da kann man nichts mehr machen", sagte Manfred, "sie sind doch eh gleich verblutet. Was soll ich da noch jemand bemühen. Und außerdem: Nachher bin ich noch verdächtig. Ne, ne. Probleme hab ich schon genug. Außerdem würde ich sowieso niemandem helfen. Menschen sind nämlich Dreckschweine. Die machen die Welt kaputt, die verdrecken alles, sogar dieses Fleckchen Natur hier und da soll ich helfen, wenn´s einen von diesen Drecksäcken erwischt hat? Ne, ne. Das kann niemand von mir erwarten und schon gar nicht verlangen. Da sag ich nur: Tschüss. Und ein fröhliches Abtreten. Haha."
Er drehte sich um und machte ein paar Schritte in die Richtung aus der er gekommen war. "Du Schwein! Du kannst mich doch hier nicht verbluten lassen! Du Sauhund! Du musst mir helfen! Sonst machst du dich auch strafbar!"
"Ach ja? Wenn du immer so ausfallend, erpresserisch und fordernd bist, kann ich gut verstehen, dass einer ´ne Axt genommen hat. So´n dämliches Weib wie du hat ja auch nix anderes verdient. Und jetzt leck mich!"
Manfred machte sich davon. Aber er war nachdenklich geworden. Nach dreißig Metern kehrte er um und nahm sein Handy in die Hand. "Ja. Ja. So ist gut", röchelte die Frau. "Hilf mir! Ruf Hilfe!"
Manfred machte ein erstauntes Gesicht und dann war ihm klar, dass die Frau nicht verstand, was er vorhatte. "Du blöde Kuh! Ich ruf die Bullen an, wenn du abgekratzt bist. Kapierst du´s jetzt endlich. Ich kann doch hier nicht weg ohne die Bullen zu verständigen. Nachher sieht mich einer aus dem Wald spazieren und dann bin ich es gewesen, was? Ne, ne. Ich bin doch nicht blöd. Und jetzt stirb endlich, damit ich den Bullen einen Leichenfund melden kann!"
"Du Drecksack", röchelte sie, "du Schwein! Ruf endlich den Notarzt! Ich geb dir einen Haufen Geld, wenn ich durchkomme."
"Menschen, die glauben sie könnten sich von ihrem Tod freikaufen, finde ich zum Kotzen. Und jetzt mach ´nen Abgang. Bei den Verletzungen kann das Sterben doch nicht so lange dauern. Begreif doch endlich: du bist hier auf der Erde unerwünscht und da werde ich den Teufel tun und deinem Schlächter einen Strich durch seine Rechnung machen. Niemand haut ohne Grund mit ´ner Axt auf jemanden. Da hab ich doch kein Recht zu, dein Ende zu verhindern. Kapiert?"
Die Frau öffnete noch einmal ihren Mund, um etwas zu sagen, aber es kam nur noch ein leises Röcheln heraus. Dann erschlaffte sie, ihre Augen brachen und Manfred zählte im Geist bis Hundert, dann zündete er sich eine Zigarette an und wählte den Notruf.
 

coxew

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axt

hallo,

harter tobak. der beisst sich mit der bewertung "dieses werk ist flüssig und mit freude zu lesen". der text ist aber tatsächlich sehr gut.

karin
 



 
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