Bärenliebe

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Zoepfer

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Den Tag, an dem ich in Schwedens Hauptstadt Stockholm das Licht der Welt erblickte, weiß ich nicht genau. Es gab weder einen Kalender noch eine Uhr in dem Raum, in dem ich von einer freundlichen Frau in Heimarbeit zusammen genäht wurde, nach dem Entwurf einer bekannten Bären-Designerin. Deren Name klang allerdings nicht schwedisch, sondern ließ auf Vorfahren aus Osteuropa schließen. Danach wurde ich eingekleidet, in einen flauschigen Bademantel. Außerdem bekam ich ein paar weiche Hauspantoffel an die Hinterpfoten und ein Tuch wie ein Haarband um den Kopf. Damit war klar ersichtlich: Ich bin ein weiblicher Teddybär.
Eigentlich wollte ich mich erst einmal gründlich umschauen, etwas sehen von der Welt, in die ich gerade ganz frisch gekommen war. Doch viel Zeit blieb mir nicht. Ehe ich mich versah, wurde ich in einen Beutel gesteckt und mit einigen Artgenossen in einen Karton gepackt. Darin ging es auf eine lange Reise, die mehrere Tage dauerte.
Als der Karton schließlich geöffnet wurde, holten flinke Hände mich und die anderen heraus. Allerdings sah ich immer noch nichts, denn ich steckte weiterhin in diesem Leinenbeutel. Damit wurde ich in einen Schrank verfrachtet und im Dunklen zurück gelassen.
Meine Dunkelhaft sollte mehrere Tage dauern. Zwar öffnete manchmal jemand den Schrank, aber ich war wohl nicht von Interesse. Doch nach ungefähr einer Woche war es soweit: Ich wurde aus dem Schrank geholt, der offenbar in einem Flur stand, und in ein Zimmer gebracht. Dort befreite man mich endlich auch aus dem Stoffbeutel.
Ich hatte mir oft ausgemalt, wie alles werden würde, wenn ich endlich den Beutel würde verlassen dürfen. Ich hatte mir vorgestellt, dass ein Kind mich auspacken und spontan in sein Herz schließen würde. Doch die Hände, die mich eher mit einer routinierten Handbewegung als mit Zärtlichkeit aus dem Beutel zogen, gehörten eindeutig zu einer erwachsenen Frau. Sie war nicht mehr ganz jung, recht klein und mager und hatte ein ernstes Gesicht. Die Frau trug eine schwarze Bluse und einen ebensolchen Rock mit einer kleinen weißen Schürze darüber. Die leicht grau melierten Haare waren zu einem Pagenkopf frisiert. Sollte das die Mutter meines künftigen Besitzers sein? Denn dass Teddybären in erster Linie an Kinder verschenkt wurden, das hatte ich bereits in Schweden aufgeschnappt.
Doch die Frau gab mich an kein Kind weiter. Es war auch gar keines da. Außer ihr und mir war überhaupt niemand in diesem Raum. Da gab es nur einen Schreibtisch mit einem Flachbildfernseher darüber, einen Sessel, einen begehbaren Wandschrank und ein Doppelbett, auf dem die Frau mich platzierte. Dann drückte sie mir noch eine Karte zwischen die Pfoten und kümmerte sich nicht weiter um mich.
So saß ich nun auf diesem Bett und sah der Frau zu, wie sie das Zimmer sauber machte. Sie leerte den Papierkorb aus, der neben dem Schreibtisch stand. Dann saugte sie den Teppich ab und verschwand anschließend im angrenzenden Bad, wo sie das Waschbecken, die Dusche und die Toilette putzte. Nachdem sie noch frische Handtücher aufgehängt hatte, verschwand sie aus dem Raum, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen.
Als die Tür hinter der Frau ins Schloss fiel, war ich verwirrt. Was sollte ich hier? Warum musste ich hier auf einem Bett sitzen, in einem Zimmer, das zwar gediegen eingerichtet war, aber völlig unbewohnt wirkte?
Während ich noch darüber nachdachte, erklangen Stimmen im Flur. Dann öffnete sich erneut die Tür. Ein junger Mann trat ein, der einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd trug. Sein Begleiter war älter als er und deutlich legerer gekleidet, in eine Jeanshose und ein Sweatshirt, das eine Art Wappen zierte. Er trug einen Metallkoffer in der Hand und hatte einen kleinen Rucksack auf dem Rücken. Der Jüngere zog einen marineblauen Koffer auf Rollen hinter sich her, den er in dem begehbaren Schrank verstaute. Er zeigte und erklärte dem Älteren die Einrichtung des Zimmers. Also waren die beiden nicht Vater und Sohn, wie ich im ersten Moment vermutet hatte. Schließlich verabschiedete sich der junge Mann mit einer angedeuteten Verbeugung. Der andere griff in die Tasche und drückte ihm mit ein paar Dankesworten eine Münze in die Hand. Der Junge bedankte sich seinerseits, wünschte einen angenehmen Aufenthalt, ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu
Der ältere der Männer blieb zurück und sah sich im Zimmer um. Als sein Blick auf das Bett fiel, entdeckte er mich. Sein erstaunter Blick ging in ein Lächeln über.
„Ja, wen haben wir denn da? Das ist doch mal ein nettes Empfangskomitee“, sagte er und zog die Karte aus meinen Pfoten. Er überflog sie und legte sie beiseite. „Von der billigen Sorte bist du ganz sicher nicht“, murmelte er. Anschließend nahm er mich hoch und betrachtete mich mit einem fast zärtlichen Blick.
„Du bist ja eine ganz Süße“, fand er. „Dich muss ich unbedingt jemandem vorstellen!“
Also doch ein Kind, dem ich eine bärige Freundin sein darf? Das wäre mir sehr lieb gewesen. Aber was wusste ich schon…
„Robärt, da ist jemand, den du auf jeden Fall kennen lernen solltest!“ Mit diesen Worten setzte der Mann seinen Rucksack auf das Bett. Nanu, hielt er Selbstgespräche, oder unterhielt er sich mit dem Gepäckstück? Es war doch außer uns niemand im Raum!
Der Mann öffnete den Reißverschluss des größten Fachs und griff in den Rucksack. Zunächst tauchten zwei runde Ohren auf, dann ein ebenso runder Kopf mit zwei glänzenden Augen. Der Mann holte einen Teddybären hervor, den er vorsichtig unter den Schultern gefasst hielt. Das also war offensichtlich Robärt. Er war ein wenig größer als ich, und man sah ihm an, dass er schon viel erlebt hatte. Der Mann setzte den Bären auf den Nachttisch unter die Leuchte mit den blumenförmigen Schirmen. Dann nahm er mich hoch, schaute mir in die Augen und lächelte: „Hallo süßes Kleines“, begrüßte er mich nochmals.
„Wer bist denn du eigentlich?“ Woher sollte ich das wissen, es hatte sich noch niemand die Mühe gemacht, mir einen Namen zu geben. „Dann musst du wohl erst einmal einen Namen bekommen“, stellte der Mann folgerichtig fest. Sein Blick fiel erneut auf die Karte mit dem Willkommensgruß und dem Logo des Hotels, in dem wir uns offenbar befanden.
„Bollinda!“ entschied der Mann schließlich. „Oder kurz gesagt: Fräulein Bolle!“ Er grinste mich an und zwinkerte mir zu.
„So lange du bei mir bist, wirst Bollinda sein – oder eben Bolle.“
Sprach’s und setzte mich neben seinen Teddy auf den Nachttisch. Während der Mann seinen Koffer auspackte und allerhand Sachen im Zimmer und dem angrenzenden Bad verteilte, schaute ich den Teddybären Robärt an. Er hatte ein ockerfarbenes Fell und war ebenfalls bekleidet, mit einer selbstgestrickten roten Wollhose und einem weißen T-Shirt. Er war bestimmt nicht mehr neu. Obwohl sein Fell noch dicht war und seine Pfoten heil, wirkte er auf mich sehr reif. Robärts Kopf war in meine Richtung gedreht, er schaute mich ebenfalls an.
„Was für schöne schwarze Augen du hast“, sagte er zu mir in der Sprache, die nur Teddys und artverwandte Tiere untereinander wahrnehmen können. „Die blitzen richtig! Und dein goldfarbenes Fell finde ich auch klasse! Schön weich bist du obendrein, ich kann es fühlen!“
Das konnte er in der Tat, denn der Mann hatte uns so eng zusammen gesetzt, dass Robärts linker Fuß mein rechtes Bein berührte, was in mir durchaus angenehme Gefühle auslöste. Außerdem war ich – wie wohl jedes weibliche Wesen – für Komplimente und kleine Schmeicheleien empfänglich. Dennoch war mir seine Anwesenheit aus einem anderen Grund wichtig. Obwohl ich ihn sehr sympathisch fand mit seiner sonoren Bärenstimme und seinen glänzenden braunen Augen, war er mir als Informationsquelle sehr wertvoll. Er wusste bestimmt eine Menge über das Leben – und vielleicht auch, welches Schicksal mich erwartete.
Doch noch bevor ich ihm die erste der vielen Fragen stellen konnte, die meinen Kopf füllten, ging der Mann plötzlich vor dem Nachttisch in die Hocke, auf den er uns gesetzt hatte. Er betrachtete uns und lächelte: „Ihr passt ja richtig gut zusammen, ihr zwei. Das muss ich Tina und Jessy zeigen“.
„Wer ist denn das nun wieder?“ fragte ich Robärt, während der Mann sich abwandte und den eckigen Metallkoffer öffnete, den er neben dem Schreibtisch abgestellt hatte.
„Tina ist seine Frau, und Jessica heißt seine jüngere Tochter“, erklärte mir Robärt.
„Sind die auch hier?“ wollte ich wissen. Vielleicht war ja Jessica das Kind, für das ich vom Schicksal vorgesehen war.
„Nein,“ Robärt schien der Gedanke zu amüsieren, „die sind zu Hause. Georg ist beruflich im Regelfall allein unterwegs. Lediglich Tino oder ich begleiten ihn fast überall hin.“
Die Frage, wer nun wieder Tino war und wie der Mann, der also Georg hieß, Robärt und mich Menschen zeigen wollte, die weit entfernt waren, hätte ich gern gestellt. Doch da war der Mann schon wieder zurück. Er trug eine große Fotokamera mit aufgesetztem Blitzlicht um den Hals, hockte sich erneut vor uns hin und schoss einige Bilder von Robärt und mir. Dann nahm er einen tragbaren Computer aus dem Koffer, stellte ihn auf den Schreibtisch und verband ihn mit der Kamera. Anschließend griff er in seine Tasche und holte ein Handy heraus. Er drückte einige Tasten.
„Hallo Tina, mein Schatz“, sprach er dann in das mobile Telefon. „Wollte dir nur sagen, dass ich im Hotel angekommen bin. Allerdings wartete in meinem Zimmer bereits jemand auf dem Bett sitzend auf mich: weiblich, in Bademantel und Hauspantoffeln....“
Georg lauschte einen Moment auf die Stimme am anderen Ende.
„Nein, du musst dir keine Gedanken machen!“ beruhigte er seine Frau. „Ich schicke dir mal eben ein Bild per E-mail.“
Er setzte sich an den Schreibtisch vor sein Notebook. Während Georg telefonierte und gleichzeitig seinen Computer bediente, wandte ich mich wieder an Robärt, der meine Nähe durchaus zu genießen schien. „Was ist dieser Georg denn für ein Mensch?“ wollte ich wissen.
„Einer, der ein großes Herz hat – für Teddybären und auch sonst“, antwortete Robärt.
„Dann bist du schon von Kind an sein Teddy“, mutmaßte ich. Robärts Augen wurden plötzlich dunkel, und sie zeigten einen Ausdruck von Trauer.
„Nein“, brummte er leise. „Wir kennen uns erst seit wenigen Jahren“.
Oh, das hatte ich nicht gedacht. Die beiden schienen sehr vertraut miteinander zu sein. In diesem Moment hatte Georg das Telefongespräch beendet. Anschließend schaltete er das Notebook aus und wandte sich zu uns um.
„Ich gehe mich jetzt mit den Kollegen aus dem Testteam treffen“, kündigte er an. „Wir werden was essen gehen und den Ablauf der nächsten Tage besprechen. Lasst euch die Zeit nicht lang werden. Bis später!“ Er langte nach seiner Jacke, nahm den Zimmerschlüssel vom Schreibtisch, und draußen war er.
„Sprechen alle Menschen so mit ihren Teddybären?“ Ich war verwundert.
„Nein, beileibe nicht alle!“ Robärt schaute noch immer etwas melancholisch drein. „Kinder, ja, die unterhalten sich mit uns und spielen mit uns. Aber wenn sie älter werden, ist es den meisten peinlich, mit einem Teddy zu reden. So werden wir immer unwichtiger, bis wir nur noch als Dekoration herumsitzen und verstauben. Und dann ist der Zeitpunkt nicht weit, bis wir weg gegeben werden.“ Seine letzten Worte klangen traurig und enttäuscht.
Das hörte sich ja schrecklich an – so, als hätte ein Teddybär kein Anrecht auf ein bleibendes Zuhause.
„War das bei dir so?“ fragte ich und hätte Robärt gern getröstet. „Hat man dich weg gegeben?“
Ich war mir einen Moment lang nicht sicher, ob Robärt mich überhaupt gehört hatte. Er schien unendlich weit fort, in seinen Erinnerungen. Doch dann sprach er weiter.
„Einst gehörte ich einem Jungen. Stefan hieß er, und als er mich zur Einschulung bekam, war er sehr glücklich. Anfang der 1970er Jahre muss das gewesen sein. Damals hieß ich auch noch nicht Robärt, sondern Petzi. Stefan nahm mich überall hin mit, außer in die Schule, denn das war nicht erlaubt. Und weil er der Meinung war, ich dürfe genauso wenig wie er nackig das Haus verlassen, hat seine Mutter mir diese Hose gestrickt.“
Robärt schwieg eine Weile. „Für die nächsten Jahre war ich Stefans engster Vertrauter. Wir spielten zusammen, und er vertraute mir alle seine Träume und Sorgen an. Aber aus dem kleinen Stefan wurde ein großer Junge, während ich blieb, was ich war – sein Teddybär. Irgendwann schrieb er seine Träume und Sorgen lieber seinem Brieffreund Olaf, bis er sie schließlich seiner ersten Freundin Britta erzählte. Ich saß in einer Ecke seines Zimmers auf dem Regal, und ich war nur noch aus Gewohnheit da.“ Robert seufzte leise.
Ich versuchte zu verstehen, was Robärt da erzählte. Wieso Stefan, der Mann hieß doch anders? Aber ich fragte nicht, denn Robärt war immer noch in seinen Erinnerungen gefangen und hätte mich womöglich nicht einmal gehört.
„Eines Tages zog Stefan aus, zu seinem Patenonkel in eine andere Stadt, weil er da seine Ausbildung machen sollte. Ich blieb zurück, in der Wohnung von Stefans Eltern. Dort saß ich auf dem Regal in diesem Zimmer, in dem mir nun alles wie tot vorkam. Wie lange das gedauert hat, weiß ich nicht, aber es müssen viele Jahre gewesen sein. Ich wurde nur noch angefasst, wenn Stefans Mutter herein kam und alles im Zimmer sauber machte. Dann nahm sie mich immer vom Regal, hielt mich aus dem Fenster und bürstete mir den Staub aus dem Fell. Das waren die einzigen Gelegenheiten, dass ich mal ein bisschen von der Welt um mich herum zu sehen bekam. Vom Regal aus konnte ich nur auf die gegenüberliegende Zimmerwand sehen mit einem Poster von Musikern, deren Stücke Stefan inzwischen bestimmt nicht mehr hören mochte. Ihn selber sah ich kaum noch, denn er kam selten, um seine Eltern zu besuchen.“
Oje, das klang ja entsetzlich. Ich hoffte inständig, dass mir ein solches Schicksal erspart bleiben würde.
„Eines Tages kam Stefan doch wieder einmal in sein Zimmer. Er holte mich und anderes Spielzeug aus dem Regal, baute uns auf dem Tisch auf und machte Fotos. Danach packte er mich in einen Karton. Es sollte das letzte Mal sein, dass ich ihn sah.“
Robärt stieß einen wehmütigen Seufzer aus. Ich konnte es ihm nachfühlen, denn ein Karton bedeutete eine Reise im Dunklen, das kannte ich ja schon.
„Stefan hat mich im Internet zur Versteigerung frei gegeben. Seine Eltern wollten die Wohnung aufgeben, um an die See zu ziehen. Weil ich auf dem Bild nicht sehr vorteilhaft getroffen war und er nicht angeben konnte, aus welcher Manufaktur ich kam, hat niemand für mich geboten. Nur Georg, weil ihm meine Herkunft egal war.“
So, wie Robärt das erzählte, hörte sich sein Schicksal wirklich traurig an. Ich hätte ihn gern getröstet, aber im Trösten hatte ich noch keine Erfahrung. So hörte ich einfach weiter zu.
„Eigentlich hatte Georg mich gekauft, um mich als zeitgenössisches Accessoire in einen seiner klassischen Wohnwagen zu setzen. Deshalb brachte er mich zuerst zu einer Bärendoktorin. Die hat den beschädigten Filz an meinen Pfoten erneuert und dafür gesorgt, dass mein Fell nicht mehr so zerzaust aussah.“
Als Robärt das erzählte, klang er schon weniger betrübt. „Als er mich nach dieser Kur abholte, begann er, sich im Auto mit mir zu unterhalten. Georg ist der festen Überzeugung, dass nicht nur Lebewesen eine Seele haben können, sondern dass es auch beseelte Gegenstände gibt. Danach wurde ich mehr und mehr zu seinem Vertrauten, der ihn auch auf seinen Reisen und Testfahrten begleiten durfte. Nur manchmal hat Tino mich als Begleiter abgelöst.“
Das war ein Stichwort für mich. „Wer ist denn Tino?“ wollte ich wissen.
„Tino ist auch ein Teddy, ein junger Kollege von mir. Bei Georg und Tina gibt es übrigens eine ganze Menge Teddybären. Tino ist kleiner als wir beide und heißt so, weil Tina ihn ihrem Mann geschenkt hat. Er darf immer dann mit, wenn für mich einmal kein Platz ist.“
Das klang nach einem interessanten Leben. Als Begleiter von jemandem, der viel in der Welt unterwegs war, wurde einem bestimmt nicht langweilig. So etwas hätte ich mir auch vorstellen können. Aber noch wusste ich ja nicht einmal, ob ich jemals dazu gehören würde. Doch ich begann, es mir zu wünschen. Denn je länger Robärt sprach, desto wärmer wurde mir um mein junges Bärinnenherz. Die Stelle, an der er mein Bein berührte, schien allmählich in Flammen zu stehen. Was war das? Sollte ich etwa dabei sein, mich zu verlieben? In einen anderen Teddybären? Ja, war das denn möglich? War das erlaubt?
Noch wahrend ich darüber nachdachte und mir überlegte, ob Robärt wohl ähnlich fühlte wie ich, öffnete sich die Zimmertür. Georg kam herein und verschwand sofort im Bad. Als er kurz darauf ins Zimmer zurückkehrte, fiel sein Blick auf Robärt und mich. Er ging vor uns erneut in die Hocke.
„Na, da scheinen sich ja zwei gesucht und gefunden zu haben“, stellte er fest. Sah man uns das etwa so deutlich an? Das würde ja bedeuten, dass Robärt auch für mich etwas empfinden musste. Gesagt hatte er noch nichts dergleichen. Ich sah ihm in die dunklen Augen. Sein Blick zeigte deutlich, dass er mit dem, was Georg gesagt hatte, absolut einverstanden war.
„Eine Partnerin, nach all den Jahren – das wäre schön!“ Robärt schaute mich intensiv an. „Wenn wir jetzt noch Georg dazu bringen, dass er dich kauft…“
Gerade als ich fragen wollte, wie das denn anzustellen sei, richtete sich der Mann auf und ging zum Telefon, das auf dem Schreibtisch stand. Er drückte eine kurze Tastenfolge und wartete einen Augenblick, bis sich am anderen Ende jemand meldete.
„Ist dort die Rezeption? Gut! Schreiben Sie die niedliche Teddybärin, die auf meinem Bett saß, bitte mit auf meine Zimmerrechnung. – Ja, danke!“
Er drehte sich zu uns um. „So, das wäre geklärt! Bolle, du gehörst ab sofort zu uns. Willkommen in der Familie. Aber, Robärt, glaube nicht, dass du künftig immer mit Partnerin reisen wirst. Du weißt, mein Gepäckvolumen ist oft recht begrenzt. Also erkläre Bolle bitte, dass sie – ebenso wie meine Tina – zeitweise das Leben einer ‚grünen Witwe‘ führen wird. Doch es gibt bestimmt schlimmere Schicksale.“
Ja, dachte ich, vergessen in einer Ecke zu sitzen und zu verstauben. Doch diese Gefahr schien mir bis auf weiteres gering zu sein. Ich begann, mich auf die Zukunft zu freuen: Darauf, Georgs Familie kennen zu lernen, Tino und die anderen Teddybären, die dort beheimatet waren, und auf ein gemeinsames Leben mit Robärt. Ein Leben mit einem Partner an seiner Seite – welcher Teddybär hat das schon?
 

Zoepfer

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Den Tag, an dem ich in Schwedens Hauptstadt Stockholm das Licht der Welt erblickte, weiß ich nicht genau. Es gab weder einen Kalender noch eine Uhr in dem Raum, in dem ich von einer freundlichen Frau in Heimarbeit zusammen genäht wurde, nach dem Entwurf einer bekannten Bären-Designerin. Deren Name klang allerdings nicht schwedisch, sondern ließ auf Vorfahren aus Osteuropa schließen. Danach wurde ich eingekleidet, in einen flauschigen Bademantel. Außerdem bekam ich ein paar weiche Hauspantoffel an die Hinterpfoten und ein Tuch wie ein Haarband um den Kopf. Damit war klar ersichtlich: Ich bin ein weiblicher Teddybär.
Eigentlich wollte ich mich erst einmal gründlich umschauen, etwas sehen von der Welt, in die ich gerade ganz frisch gekommen war. Doch viel Zeit blieb mir nicht. Ehe ich mich versah, wurde ich in einen Beutel gesteckt und mit einigen Artgenossen in einen Karton gepackt. Darin ging es auf eine lange Reise, die mehrere Tage dauerte.
Als der Karton schließlich geöffnet wurde, holten flinke Hände mich und die anderen heraus. Allerdings sah ich immer noch nichts, denn ich steckte weiterhin in diesem Leinenbeutel. Damit wurde ich in einen Schrank verfrachtet und im Dunklen zurück gelassen.
Meine Dunkelhaft sollte mehrere Tage dauern. Zwar öffnete manchmal jemand den Schrank, aber ich war wohl nicht von Interesse. Doch nach ungefähr einer Woche war es soweit: Ich wurde aus dem Schrank geholt, der offenbar in einem Flur stand, und in ein Zimmer gebracht. Dort befreite man mich endlich auch aus dem Stoffbeutel.
Ich hatte mir oft ausgemalt, wie alles werden würde, wenn ich endlich den Beutel würde verlassen dürfen. Ich hatte mir vorgestellt, dass ein Kind mich auspacken und spontan in sein Herz schließen würde. Doch die Hände, die mich eher mit einer routinierten Handbewegung als mit Zärtlichkeit aus dem Beutel zogen, gehörten eindeutig zu einer erwachsenen Frau. Sie war nicht mehr ganz jung, recht klein und mager und hatte ein ernstes Gesicht. Die Frau trug eine schwarze Bluse und einen ebensolchen Rock mit einer kleinen weißen Schürze darüber. Die leicht grau melierten Haare waren zu einem Pagenkopf frisiert. Sollte das die Mutter meines künftigen Besitzers sein? Denn dass Teddybären in erster Linie an Kinder verschenkt wurden, das hatte ich bereits in Schweden aufgeschnappt.
Doch die Frau gab mich an kein Kind weiter. Es war auch gar keines da. Außer ihr und mir war überhaupt niemand in diesem Raum. Da gab es nur einen Schreibtisch mit einem Flachbildfernseher darüber, einen Sessel, einen begehbaren Wandschrank und ein Doppelbett, auf dem die Frau mich platzierte. Dann drückte sie mir noch eine Karte zwischen die Pfoten und kümmerte sich nicht weiter um mich.
So saß ich nun auf diesem Bett und sah der Frau zu, wie sie das Zimmer sauber machte. Sie leerte den Papierkorb aus, der neben dem Schreibtisch stand. Dann saugte sie den Teppich ab und verschwand anschließend im angrenzenden Bad, wo sie das Waschbecken, die Dusche und die Toilette putzte. Nachdem sie noch frische Handtücher aufgehängt hatte, verschwand sie aus dem Raum, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen.
Als die Tür hinter der Frau ins Schloss fiel, war ich verwirrt. Was sollte ich hier? Warum musste ich hier auf einem Bett sitzen, in einem Zimmer, das zwar gediegen eingerichtet war, aber völlig unbewohnt wirkte?
Während ich noch darüber nachdachte, erklangen Stimmen im Flur. Dann öffnete sich erneut die Tür. Ein junger Mann trat ein, der einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd trug. Sein Begleiter war älter als er und deutlich legerer gekleidet, in eine Jeanshose und ein Sweatshirt, das eine Art Wappen zierte. Er trug einen Metallkoffer in der Hand und hatte einen kleinen Rucksack auf dem Rücken. Der Jüngere zog einen marineblauen Koffer auf Rollen hinter sich her, den er in dem begehbaren Schrank verstaute. Er zeigte und erklärte dem Älteren die Einrichtung des Zimmers. Also waren die beiden nicht Vater und Sohn, wie ich im ersten Moment vermutet hatte. Schließlich verabschiedete sich der junge Mann mit einer angedeuteten Verbeugung. Der andere griff in die Tasche und drückte ihm mit ein paar Dankesworten eine Münze in die Hand. Der Junge bedankte sich seinerseits, wünschte einen angenehmen Aufenthalt, ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu
Der ältere der Männer blieb zurück und sah sich im Zimmer um. Als sein Blick auf das Bett fiel, entdeckte er mich. Sein erstaunter Blick ging in ein Lächeln über.
„Ja, wen haben wir denn da? Das ist doch mal ein nettes Empfangskomitee“, sagte er und zog die Karte aus meinen Pfoten. Er überflog sie und legte sie beiseite. „Von der billigen Sorte bist du ganz sicher nicht“, murmelte er. Anschließend nahm er mich hoch und betrachtete mich mit einem fast zärtlichen Blick.
„Du bist ja eine ganz Süße“, fand er. „Dich muss ich unbedingt jemandem vorstellen!“
Also doch ein Kind, dem ich eine bärige Freundin sein darf? Das wäre mir sehr lieb gewesen. Aber was wusste ich schon…
„Robärt, da ist jemand, den du auf jeden Fall kennen lernen solltest!“ Mit diesen Worten setzte der Mann seinen Rucksack auf das Bett. Nanu, hielt er Selbstgespräche, oder unterhielt er sich mit dem Gepäckstück? Es war doch außer uns niemand im Raum!
Der Mann öffnete den Reißverschluss des größten Fachs und griff in den Rucksack. Zunächst tauchten zwei runde Ohren auf, dann ein ebenso runder Kopf mit zwei glänzenden Augen. Der Mann holte einen Teddybären hervor, den er vorsichtig unter den Schultern gefasst hielt. Das also war offensichtlich Robärt. Er war ein wenig größer als ich, und man sah ihm an, dass er schon viel erlebt hatte. Der Mann setzte den Bären auf den Nachttisch unter die Leuchte mit den blumenförmigen Schirmen. Dann nahm er mich hoch, schaute mir in die Augen und lächelte: „Hallo süßes Kleines“, begrüßte er mich nochmals.
„Wer bist denn du eigentlich?“ Woher sollte ich das wissen, es hatte sich noch niemand die Mühe gemacht, mir einen Namen zu geben.
„Dann musst du wohl erst einmal einen Namen bekommen“, stellte der Mann folgerichtig fest. Sein Blick fiel erneut auf die Karte mit dem Willkommensgruß und dem Logo des Hotels, in dem wir uns offenbar befanden.
„Bollinda!“ entschied der Mann schließlich. „Oder kurz gesagt: Fräulein Bolle!“ Er grinste mich an und zwinkerte mir zu.
„So lange du bei mir bist, wirst du Bollinda sein – oder eben Bolle.“
Sprach’s und setzte mich neben seinen Teddy auf den Nachttisch. Während der Mann seinen Koffer auspackte und allerhand Sachen im Zimmer und dem angrenzenden Bad verteilte, schaute ich den Teddybären Robärt an. Er hatte ein ockerfarbenes Fell und war ebenfalls bekleidet, mit einer selbstgestrickten roten Wollhose und einem weißen T-Shirt. Er war bestimmt nicht mehr neu. Obwohl sein Fell noch dicht war und seine Pfoten heil, wirkte er auf mich sehr reif. Robärts Kopf war in meine Richtung gedreht, er schaute mich ebenfalls an.
„Was für schöne schwarze Augen du hast“, sagte er zu mir in der Sprache, die nur Teddys und artverwandte Tiere untereinander wahrnehmen können. „Die blitzen richtig! Und dein goldfarbenes Fell finde ich auch klasse! Schön weich bist du obendrein, ich kann es fühlen!“
Das konnte er in der Tat, denn der Mann hatte uns so eng zusammen gesetzt, dass Robärts linker Fuß mein rechtes Bein berührte, was in mir durchaus angenehme Gefühle auslöste. Außerdem war ich – wie wohl jedes weibliche Wesen – für Komplimente und kleine Schmeicheleien empfänglich. Dennoch war mir seine Anwesenheit aus einem anderen Grund wichtig. Obwohl ich ihn sehr sympathisch fand mit seiner sonoren Bärenstimme und seinen glänzenden braunen Augen, war er mir als Informationsquelle sehr wertvoll. Er wusste bestimmt eine Menge über das Leben – und vielleicht auch, welches Schicksal mich erwartete.
Doch noch bevor ich ihm die erste der vielen Fragen stellen konnte, die meinen Kopf füllten, ging der Mann plötzlich vor dem Nachttisch in die Hocke, auf den er uns gesetzt hatte. Er betrachtete uns und lächelte: „Ihr passt ja richtig gut zusammen, ihr zwei. Das muss ich Tina und Jessy zeigen“.
„Wer ist denn das nun wieder?“ fragte ich Robärt, während der Mann sich abwandte und den eckigen Metallkoffer öffnete, den er neben dem Schreibtisch abgestellt hatte.
„Tina ist seine Frau, und Jessica heißt seine jüngere Tochter“, erklärte mir Robärt.
„Sind die auch hier?“ wollte ich wissen. Vielleicht war ja Jessica das Kind, für das ich vom Schicksal vorgesehen war.
„Nein,“ Robärt schien der Gedanke zu amüsieren, „die sind zu Hause. Georg ist beruflich im Regelfall allein unterwegs. Lediglich Tino oder ich begleiten ihn fast überall hin.“
Die Frage, wer nun wieder Tino war und wie der Mann, der also Georg hieß, Robärt und mich Menschen zeigen wollte, die weit entfernt waren, hätte ich gern gestellt. Doch da war der Mann schon wieder zurück. Er trug eine große Fotokamera mit aufgesetztem Blitzlicht um den Hals, hockte sich erneut vor uns hin und schoss einige Bilder von Robärt und mir. Dann nahm er einen tragbaren Computer aus dem Koffer, stellte ihn auf den Schreibtisch und verband ihn mit der Kamera. Anschließend griff er in seine Tasche und holte ein Handy heraus. Er drückte einige Tasten.
„Hallo Tina, mein Schatz“, sprach er dann in das mobile Telefon. „Wollte dir nur sagen, dass ich im Hotel angekommen bin. Allerdings wartete in meinem Zimmer bereits jemand auf dem Bett sitzend auf mich: weiblich, in Bademantel und Hauspantoffeln....“
Georg lauschte einen Moment auf die Stimme am anderen Ende.
„Nein, du musst dir keine Gedanken machen!“ beruhigte er seine Frau. „Ich schicke dir mal eben ein Bild per E-mail.“
Er setzte sich an den Schreibtisch vor sein Notebook. Während Georg telefonierte und gleichzeitig seinen Computer bediente, wandte ich mich wieder an Robärt, der meine Nähe durchaus zu genießen schien.
„Was ist dieser Georg denn für ein Mensch?“ wollte ich wissen.
„Einer, der ein großes Herz hat – für Teddybären und auch sonst“, antwortete Robärt.
„Dann bist du schon von Kind an sein Teddy“, mutmaßte ich. Robärts Augen wurden plötzlich dunkel, und sie zeigten einen Ausdruck von Trauer.
„Nein“, brummte er leise. „Wir kennen uns erst seit wenigen Jahren“.
Oh, das hatte ich nicht gedacht. Die beiden schienen sehr vertraut miteinander zu sein. In diesem Moment hatte Georg das Telefongespräch beendet. Anschließend schaltete er das Notebook aus und wandte sich zu uns um.
„Ich gehe mich jetzt mit den Kollegen aus dem Testteam treffen“, kündigte er an. „Wir werden was essen gehen und den Ablauf der nächsten Tage besprechen. Lasst euch die Zeit nicht lang werden. Bis später!“ Er langte nach seiner Jacke, nahm den Zimmerschlüssel vom Schreibtisch, und draußen war er.
„Sprechen alle Menschen so mit ihren Teddybären?“ Ich war verwundert.
„Nein, beileibe nicht alle!“ Robärt schaute noch immer etwas melancholisch drein. „Kinder, ja, die unterhalten sich mit uns und spielen mit uns. Aber wenn sie älter werden, ist es den meisten peinlich, mit einem Teddy zu reden. So werden wir immer unwichtiger, bis wir nur noch als Dekoration herumsitzen und verstauben. Und dann ist der Zeitpunkt nicht weit, bis wir weg gegeben werden.“ Seine letzten Worte klangen traurig und enttäuscht.
Das hörte sich ja schrecklich an – so, als hätte ein Teddybär kein Anrecht auf ein bleibendes Zuhause.
„War das bei dir so?“ fragte ich und hätte Robärt gern getröstet. „Hat man dich weg gegeben?“
Ich war mir einen Moment lang nicht sicher, ob Robärt mich überhaupt gehört hatte. Er schien unendlich weit fort, in seinen Erinnerungen. Doch dann sprach er weiter.
„Einst gehörte ich einem Jungen. Stefan hieß er, und als er mich zur Einschulung bekam, war er sehr glücklich. Anfang der 1970er Jahre muss das gewesen sein. Damals hieß ich auch noch nicht Robärt, sondern Petzi. Stefan nahm mich überall hin mit, außer in die Schule, denn das war nicht erlaubt. Und weil er der Meinung war, sein Petzi dürfe genauso wenig wie er nackig das Haus verlassen, hat seine Mutter mir diese Hose gestrickt.“
Robärt schwieg eine Weile. „Für die nächsten Jahre war ich Stefans engster Vertrauter. Wir spielten zusammen, und er vertraute mir alle seine Träume und Sorgen an. Aber aus dem kleinen Stefan wurde ein großer Junge, während ich blieb, was ich war – sein Teddybär. Irgendwann schrieb er seine Träume und Sorgen lieber seinem Brieffreund Olaf, bis er sie schließlich seiner ersten Freundin Britta erzählte. Ich saß in einer Ecke seines Zimmers auf dem Regal, und ich war nur noch aus Gewohnheit da.“ Robert seufzte leise.
Ich versuchte zu verstehen, was Robärt da erzählte. Wieso Stefan, der Mann hieß doch anders? Aber ich fragte nicht, denn Robärt war immer noch in seinen Erinnerungen gefangen und hätte mich womöglich nicht einmal gehört.
„Eines Tages zog Stefan aus, zu seinem Patenonkel in eine andere Stadt, weil er da seine Ausbildung machen sollte. Ich blieb zurück, in der Wohnung von Stefans Eltern. Dort saß ich auf dem Regal in diesem Zimmer, in dem mir nun alles wie tot vorkam. Wie lange das gedauert hat, weiß ich nicht, aber es müssen viele Jahre gewesen sein. Ich wurde nur noch angefasst, wenn Stefans Mutter herein kam und alles im Zimmer sauber machte. Dann nahm sie mich immer vom Regal, hielt mich aus dem Fenster und bürstete mir den Staub aus dem Fell. Das waren die einzigen Gelegenheiten, dass ich mal ein bisschen von der Welt um mich herum zu sehen bekam. Vom Regal aus konnte ich nur auf die gegenüberliegende Zimmerwand sehen mit einem Poster von Musikern, deren Stücke Stefan inzwischen bestimmt nicht mehr anhören mochte. Ihn selber sah ich kaum noch, denn er kam selten, um seine Eltern zu besuchen.“
Oje, das klang ja entsetzlich. Ich hoffte inständig, dass mir ein solches Schicksal erspart bleiben würde.
„Eines Tages kam Stefan doch wieder einmal in sein Zimmer. Er holte mich und anderes Spielzeug aus dem Regal, baute uns auf dem Tisch auf und machte Fotos. Danach packte er mich in einen Karton. Es sollte das letzte Mal sein, dass ich ihn sah.“
Robärt stieß einen wehmütigen Seufzer aus. Ich konnte es ihm nachfühlen, denn ein Karton bedeutete eine Reise im Dunklen, das kannte ich ja schon.
„Stefan hat mich im Internet zur Versteigerung frei gegeben. Seine Eltern wollten die Wohnung aufgeben, um an die See zu ziehen. Weil ich auf dem Bild nicht sehr vorteilhaft getroffen war und er nicht angeben konnte, aus welcher Manufaktur ich kam, hat niemand für mich geboten. Nur Georg, weil ihm meine Herkunft egal war.“
So, wie Robärt das erzählte, hörte sich sein Schicksal wirklich traurig an. Ich hätte ihn gern getröstet, aber im Trösten hatte ich noch keine Erfahrung. So hörte ich einfach weiter zu.
„Eigentlich hatte Georg mich gekauft, um mich als zeitgenössisches Accessoire in einen seiner klassischen Wohnwagen zu setzen. Deshalb brachte er mich zuerst zu einer Bärendoktorin. Die hat den beschädigten Filz an meinen Pfoten erneuert und dafür gesorgt, dass mein Fell nicht mehr so zerzaust aussah.“
Als Robärt das erzählte, klang er schon weniger betrübt. „Als er mich nach dieser Kur abholte, begann er, sich im Auto mit mir zu unterhalten. Georg ist der festen Überzeugung, dass nicht nur Lebewesen eine Seele haben können, sondern dass es auch beseelte Gegenstände gibt. Danach wurde ich mehr und mehr zu seinem Vertrauten, der ihn auch auf seinen Reisen und Testfahrten begleiten durfte. Nur manchmal hat Tino mich als Begleiter abgelöst.“
Das war ein Stichwort für mich. „Wer ist denn Tino?“ wollte ich wissen.
„Tino ist auch ein Teddy, ein junger Kollege von mir. Bei Georg und Tina gibt es übrigens eine ganze Menge Teddybären. Tino ist kleiner als wir beide und heißt so, weil Tina ihn ihrem Mann geschenkt hat. Er darf immer dann mit, wenn für mich einmal kein Platz ist.“
Das klang nach einem interessanten Leben. Als Begleiter von jemandem, der viel in der Welt unterwegs war, wurde einem bestimmt nicht langweilig. So etwas hätte ich mir auch vorstellen können. Aber noch wusste ich ja nicht einmal, ob ich jemals dazu gehören würde. Doch ich begann, es mir zu wünschen. Denn je länger Robärt sprach, desto wärmer wurde mir um mein junges Bärinnenherz. Die Stelle, an der er mein Bein berührte, schien allmählich in Flammen zu stehen. Was war das? Sollte ich etwa dabei sein, mich zu verlieben? In einen anderen Teddybären? Ja, war das denn möglich? War das erlaubt?
Noch wahrend ich darüber nachdachte und mir überlegte, ob Robärt wohl ähnlich fühlte wie ich, öffnete sich die Zimmertür. Georg kam herein und verschwand sofort im Bad. Als er kurz darauf ins Zimmer zurückkehrte, fiel sein Blick auf Robärt und mich. Er ging vor uns erneut in die Hocke.
„Na, da scheinen sich ja zwei gesucht und gefunden zu haben“, stellte er fest. Sah man uns das etwa so deutlich an? Das würde ja bedeuten, dass Robärt auch für mich etwas empfinden musste. Gesagt hatte er noch nichts dergleichen. Ich sah ihm in die braunen Augen. Sein Blick zeigte deutlich, dass er mit dem, was Georg gesagt hatte, absolut einverstanden war.
„Eine Partnerin, nach all den Jahren – das wäre schön!“ Robärt schaute mich intensiv an. „Wenn wir jetzt noch Georg dazu bringen, dass er dich kauft…“
Gerade als ich fragen wollte, wie das denn anzustellen sei, richtete sich der Mann auf und ging zum Telefon, das auf dem Schreibtisch stand. Er drückte eine kurze Tastenfolge und wartete einen Augenblick, bis sich am anderen Ende jemand meldete.
„Ist dort die Rezeption? Gut! Schreiben Sie die niedliche Teddybärin, die auf meinem Bett saß, bitte mit auf meine Zimmerrechnung. – Ja, danke!“
Er drehte sich zu uns um. „So, das wäre geklärt! Bolle, du gehörst ab sofort zu uns. Willkommen in der Familie. Aber, Robärt, glaube nicht, dass du künftig immer mit Partnerin reisen wirst. Du weißt, mein Gepäckvolumen ist oft recht begrenzt. Also erkläre Bolle bitte, dass sie – ebenso wie meine Tina – zeitweise das Leben einer ‚grünen Witwe‘ führen wird. Doch es gibt bestimmt schlimmere Schicksale.“
Ja, dachte ich, vergessen in einer Ecke zu sitzen und zu verstauben. Doch diese Gefahr schien mir bis auf weiteres gering zu sein. Ich begann, mich auf die Zukunft zu freuen: Darauf, Georgs Familie kennen zu lernen, Tino und die anderen Teddybären, die dort beheimatet waren, und auf ein gemeinsames Leben mit Robärt. Ein Leben mit einem Partner an seiner Seite – welcher Teddybär hat das schon?


Konstruktive Kritik ist natürlich gern gesehen!
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Zoepfer,
wunderschöne Geschichte und toll geschrieben. Ich hoffe ich kriege dass auch irgendwann mal so gut hin.
Liebe Grüße Ilona B
 



 
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