Bahnhof Oerlikon Nord oder: ich bin out!

Anna

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Handygeschichte

Bahnhof Oerlikon Nord“ sagt die Tramchauffeuse. Vor mir steigt ein seltsamer Mann aus, wahrscheinlich hält er mich auch für seltsam.
Zum Bahnhof rennen, da ich immer noch nicht weiss, wann genau die Züge Richtung Land fahren. Vor den Fahrplan drängeln, ein paar Leuten über die Schulter gucken, die sich auf dem Fahrplan nicht ganz zurecht zu finden scheinen. S5 geht zu lange, fährt einen riesen Umweg. Dann halt S14. 16:47 Uhr. Toll, ich hätte nicht rennen müssen. Der ewige Stress, wieso kann ich nicht fliegen?
Auf der Sitzbank ein in sich zusammengesunkenes Häufchen Mensch. Ein Natel in der Hand, ist ja klar. Aber nicht zum telefonieren, das ist aus der Mode gekommen, SMS sind der letzte Schrei.
-‚Wieso hast du mir nicht geschrieben?‘
-‚Sorry, Akku war leer!‘
-‚OK‘
-‚Ich liebe dich!‘
–‚Ich liebe dich auch!‘
Ist schon schön, geliebt zu werden, aber das kann man doch auch offen sagen!
Mit Handy telefonieren ist out. Telefonieren kann man mit einem normalen Telefonapparat, mit dem Handy schreibt man SMS.
Im Zug. Zwischen den Sitzen hindurch sehe ich zwei Mädchen, jede über ihr
Handy gebeugt, eifrig am tippen. Das mir wär zu blöd, ist doch kompliziert, aber diese Girls scheinen sowas wie ein Zehnfingersystem für Handys zu beherrschen.
Weiter hinten im Wagen klingelt eines dieser fürchterlichen mobilen Telefone. Klingeln ist untertrieben, es tönt laut durch den ganzen Wagen die Melodie von Jingle Bells! Ausgerechnet, nachdem doch jetzt endlich die Weihnachtszeit vorbei ist, und mir die Weihnachtslieder nicht mehr nachlaufen.
Bahnhof in meinem Heimatstädtchen. Jeder zweite Mensch läuft in mich hinein, nicht weil ich so klein wäre, dass man mich nicht sieht, nein, weil sie mit Handys am Ohr oder in den Händen, blind für die armen handylosen Mitmenschen, stur ihres Weges gehen und einen böse anschauen. ‚Was machst du da, geh mir aus dem Weg, hast du keine Augen im Kopf ?‘ würden sie sagen, wenn sie nicht in ihren überaus wichtigen Anruf von ihrem Schätzchen vertieft wären. ‚Doch, ich habe Augen, aber meine kleben nicht auf einem Handy-Display!‘ würde ich antworten und hätte einen Feind mehr.
Jetzt weiss ich es. Ich bin out.
 



 
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