Baumblick

Runa Phaino

Mitglied
Baumblick
Ich bin ein Baum und dies ist mein Raum. Seit einhundert Jahren schon. Mit meinen Wipfeln spielt der Wind, fliegt sie durchpflügend über die Wellen, die plätschern unten an den Stamm.
Herum um mich ist Weite, ist Wasser, ist eine Wand. Gräser und Blumen, ein schmaler Weg und ein Backsteinhaus, dabei: ein kleiner Streifen Land. Nicht alles war schon immer da. Ach, - die Blumen. Doch sind sie anders, jedes Mal.
Neben mir geht die Sonne auf, Tag für Tag. Und neben mir geht sie unter, auf der anderen Seite und dann ist es Nacht. Mal ist´s der Schnee, mal die Blätter, die meine Zweige nach unten beugen. Es geht vorüber, es schmilzt, mit der Zeit wird alles anders.

Doch die Blätter, meine Kinder, sie streiten. Sie rascheln und rauschen, sie fliegen fort und zerzausen. So sprechen sie, die das Wasser sehen:
„Dieser See, das einzig Wahre, das Ewige, das Beständige. Auch regnet es auf uns herab, auf uns alle. Also glaubt dem Wasser.“
Und so antworten jene, welche das Backhaus sehen:
„Es gibt wohl Wasser von oben, doch keines von unten. Eine Sammlung von Wasser existiert nur in kleinen Flächen, niemals aber ist es so, wie ihr es sagt. Bestand hat nur dieses Haus, sein Gras und die Blumen vor dem Haus.“
Die aber ins Weite sehen, sagen:
„Wohl gibt es Wasser und Blumen, doch ein Haus, - was soll das sein? Wir sehen es nicht, also gibt es kein Haus. Und das Wasser in seiner Sammlung, wir können es erahnen. Mag es möglich sein. Doch zu behaupten, es gäbe ein Haus – das ist eine Lüge!“
So streiten sie über die Wahrheit, über Richtig und Falsch, doch einig sind sie: Tag und Nacht sind für alle gleich.

Und wenn es Herbst wird, dann verlassen sie mich. Lassen mich kahl und nackt zurück.
Meint doch ein jedes, ihm sei die Richtung gegeben. Meint doch ein jedes, sein Weg wäre klüger. Meint doch ein jedes, sein Blick wäre wahr.

Einst war ich klein, ein Samenkorn allein. Licht und Wasser ließen mich entstehen, machten mich zu dem, der ich jetzt bin: alt und groß. Nie brauchte ich viel, war immer genügsam. Meine dunkle Rinde ein guter Schutz.

Törichte Blätter. Wissen nichts vom Stamm und Zweigen, wissen nichts von der Erde, die sie nährt. Sehen nicht, dass sie alle sind vom gleichen Baum mit denselben Wurzeln.
Und dann, einst, wenn sie sich lösen und ihr Samen auf guten Grund fällt, ja, dann ...
 
A

aligaga

Gast
Sorry, lieber @Runa,

aber das klingt ein wenig arg an den Haaren herbeigezogen.

Ein Baum weiß nämlich haargenau, dass er nur einen Wipfel hat, dass die Blätter nicht seine Kinder, sondern seine Atmungsorgane sind (seine Nachkommen entstehen aus den Früchten, die er beizeiten von sich wirft), dass es nicht nur Wasser von oben, sondern auch Grundwasser gibt, aus dem er vermöge seiner Wurzeln trinkt, und Quellen.

Übrigens - zwei Drittel unseres Planeten sind von Wasser bedeckt. Wie beständig die Meere sind, wissen wir nicht so genau; unsere (unsere!) Seen stammen von der letzten Eiszeit, sind also schlappe 10 000 Jahre alt; sie werden in weiteren 5000 Jahren alle verlandet und nur noch Moore sein.

Bäume sind nicht so dumm, wie sie aussehen. Und genügsam sind sie auch nicht. Wenn sie können, nehmen sie jedem anderen das Licht und die Nährstoffe weg. Und zwar gnadenlos!

Tipp: Auch bei lyrischen Naturversuchen diese nicht auf den Kopf stellen, sondern die tatsächlichen Gegebenheiten besingen. Die sind auch so spannend genug!

Gruß

aligaga
 

Runa Phaino

Mitglied
Okidoki!

Hast teils Recht. Die Kinder-Blätter-Frage habe ich schon überarbeitet. Bzgl. der Genügsamkeit des Baumes ... die behalte ich drin, denn es geht mir um mehr als die bloße Abbildung natürlicher Gegebenheiten.

Danke für Dein Feedback! :)
 

Runa Phaino

Mitglied
Ich bin ein Baum und dies ist mein Raum. Seit einhundert Jahren schon. Mit meinen Wipfeln spielt der Wind, fliegt sie durchpflügend über die Wellen, die plätschern unten an den Stamm.
Herum um mich ist Weite, ist Wasser, ist eine Wand. Gräser und Blumen, ein schmaler Weg und ein Backsteinhaus, dabei: ein kleiner Streifen Land. Nicht alles war schon immer da. Ach, - die Blumen. Doch sind sie anderes, jedes Mal.
Neben mir geht die Sonne auf, Tag für Tag. Und neben mir geht sie unter, auf der anderen Seite und dann ist es Nacht. Mal ist´s der Schnee, mal die Blätter, dann viele Früchte, die meine Zweige nach unten beugen. Es schmilzt, es weht davon, mit der Zeit wird alles anders.

Doch die Blätter, sie streiten und verwirren meine fruchtigen Kinder.
So sprechen die Blätter, die das Wasser sehen:
„Dieser See, das einzig Wahre, das Ewige, das Beständige. Auch regnet es auf euch herab, auf uns alle. Also glaubt dem Wasser.“
„So wollen wir den Blätter glauben, die dort wachsen, wo die Sonne untergeht“, sagen meine Kinder.
Jene Blätter aber, die das Backhaus sehen, sprechen:
„Es gibt wohl Wasser von oben, doch keines von unten. Eine Sammlung von Wasser existiert nur in kleinen Flächen, niemals aber ist es so, wie die anderen Blätter sagen. Bestand hat nur dieses Haus, sein Gras und die Blumen vor dem Haus.“
Dann entzweien sich meine Kinder, ein manches wird gar faul dabei und fällt ab.
Die Blätter aber, die ins Weite sehen, sagen:
„Wohl gibt es Wasser und Blumen, doch ein Haus, - was soll das sein? Wir sehen es nicht, also gibt es kein Haus. Und das Wasser in seiner Sammlung, wir können es erahnen. Mag es möglich sein. Doch zu behaupten, es gäbe ein Haus – das ist eine Lüge!“
Und meine Kinder erröten wegen ihrer Unwissenheit, werden reif und schwer.


Die Blätter aber streiten über die Wahrheit, über Richtig und Falsch, über den einzigen Blick.
Und wenn es Herbst wird, dann verlassen sie mich. Lassen mich kahl und nackt zurück.
Meint doch ein jedes, ihm sei die Richtung gegeben. Meint doch ein jedes, sein Weg wäre klüger. Meint doch ein jedes, die Sonne scheine nur für sich.

Einst war ich klein, ein Samenkorn allein. Licht und Wasser ließen mich entstehen, machten mich zu dem, der ich jetzt bin: alt und groß. Nie brauchte ich viel, war immer genügsam. Meine dunkle Rinde ein guter Schutz.

Törichte Blätter. Wissen nichts vom Stamm und Zweigen, wissen nichts von der Erde, die sie nährt. Haben vergessen, dass sie alle am gleichen Baum hängen, dass sie alle dieselben Wurzeln haben. Erzählen meinen Kindern nur die Wahrheit, die sie sehen.
Doch wenn die Früchte sich lösen und ihr Samen auf guten Grund fällt, ja, dann …
 



 
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