Begegnung am Pool

lintschi

Mitglied
An ihrem dritten Urlaubstag, als Lena sich schon beinahe als Hausherrin am Pool fühlte, bekam sie unerwartet Gesellschaft. Ein Pärchen, das vermutlich am Vormittag angekommen war, weil sie es noch nicht gesehen hatte, betrat hintereinander das Oval der Gartenalage.
Als erstes der Mann. Er hatte mausgraues modern geschnittenes und auf flott geföntes Haar, eine Gold-randbrille im säuerlich missmutigen Gesicht, war mittel-groß und schlank, mit schmalen Schultern und einem kleinen Hängebäuchlein, das aber nur von seiner schlechten Körperhaltung herrühren konnte – vom Essen konnte er es bei seiner freudlosen Erscheinung mit Sicherheit nicht haben. Er trug eine moderne Badehose und in der Hand eine Zeitung.
Dahinter die Frau, mit süßlich besorgtem Gesichtsaus-druck. Sie war brünett, wohl auch nicht mehr ganz echt, aber wenn, dann unauffällig nachgetönt, etwas runder als Lena und trug ein durchgeknöpftes Badekleid, das an eine Kleiderschürze erinnerte. Sie war voll bepackt mit Badetasche, Kissen, Liegetüchern, einem gestreiften Bade-mantel, der offensichtlich ein Männerbademantel war und noch so manchem, das Lena nicht erkennen konnte und auch gar nicht wollte. Ihr wieselflinker Blick checkte mit einmal Umherschauen die Situation.
Zielsicher steuerten die Beiden auf eine der Nischen zu, die seitlich so nah an Lenas Liegebett lag, dass sie in Hörweite und immer in ihrem Blickfeld war. War das der Herdentrieb, oder was? So viel Platz, so viele Betten, so viele Nischen und sie mussten ausgerechnet so nah ihre Zelte aufschlagen.
Lena spürte wie sich ihr Gesicht anspannte, sie kniff die Augen leicht zusammen und auch ihr Mund verzog sich leicht gequält. Mit ihrer genussvollen Freude war es augen-blicklich vorbei. Nicht, dass es sie störte, dass nun auch andere Leute hier waren, nicht einmal deren Nähe hätte ihr etwas ausgemacht, aber beim Auftritt dieser Art von Paaren verspürte sie immer Beklemmungen.
Eine Welle der Überhebung überschwemmte sie, die Lena mit ihrem Naturell aber nicht einfach hinnehmen konnte und deshalb wusste sie, dass ihre Ruhe nun davon beeinträchtigt war, dass sie sich damit auseinandersetzen musste, damit sie diese wieder auflösen konnte.
Überheblichkeit war nicht Lenas Ambition. Sie versuchte, ein liberales Wesen zu sein, bei ihr durfte jeder alles, solange es niemanden anderen verletzte, am besten aber auch nicht ihn selbst. Den Abscheu jedoch, den sie in dem Gesicht des Mannes sah, wenn er seine Frau anschaute, der Widerwillen, mit dem er mit ihr kommunizierte, aber auch die dienerische Besorgtheit der Frau, demütigten ihre eigene Menschlichkeit. Sie wusste, dass es auch hier an ihr lag, diese Menschen als Paar so zu betrachten, dass sie ja beide ihre Lebensart bestimmten, aber das gelang ihr nie so richtig.
Sie glaubte zu erkennen, dass es Angst war, die sie dann befiel. Angst, dass sie selbst jemals in eine derart sinnentleerte und unfreie Situation geraten könnte.
Lena hasste die Selbstlüge, weil es die Selbstlüge war, die den Menschen die Liebe verstellte. Sie war immer bereit zu lieben, jeden und alles, doch sie stieß dabei immer an die Selbstlügen der anderen. Es war das größte, wenn nicht sogar einzige Problem ihres Lebens.
Und wenn ihr solch ein Schauspiel vor Augen geführt wurde, konnte sich Lena derzeit nicht davor schützen. Vor allem da sie wusste, dass ja auch in ihrem Leben die Selbstlüge wieder einmal zugeschlagen haben musste. Wie sonst hätte sie sich zu wenig spüren können, als sie hierher kam. Wäre Lenas Liebe bereits wieder intakt, könnte sie Mitgefühl mit den Beiden in sich finden, so wie sie es für ihre Freundinnen - und auch deren Partner - fand, die auch manche in ähnlichen Situationen lebten.
Doch so weit war Lena nun noch nicht und deshalb spürte sie nur Unsicherheit, was sie als nächstes tun sollte.
Zuerst versuchte sie, sich davon nicht beirren zu lassen und die Ohren zuzuklappen, wie sie es nannte. Sie legte sich also gemütlich zurück, um sich wieder der angenehmen Tätigkeit zu widmen, ihre Gedanken frei zu lassen und dann wieder einzufangen.
"Schatz, willst du dich nicht hierhin setzen", säuselte die Frau. "Hier hast du einen besseren Ausblick auf den Berg."
Der Schatz grunzte etwas Unverständliches.
"Aber warte, ich lege dir ein Handtuch über den Sessel und muss auch erst den Tisch abwischen."
Grunz grunz.
"Bevor du dich setzt, lass mich dir noch den Rücken eincremen, du bist die Sonne nicht gewöhnt."
Lenas Ohren weigerten sich zuzuklappen, aber auch, das Gehörte als wahr aufzunehmen. Lena beschloss, vorläufig ihrer Überheblichkeit Raum zu geben, um die nötige Distanz herzustellen, die ihr im Augenblick für den Frieden ihres Nachmittags unbedingt erforderlich erschien.
"Hier dein Hut. Setz ihn nur auf, setz ihn nur auf, hier im Süden ist die Sonne stark". Er würde doch nicht ein Mützchen aufsetzen müssen? Aber warum eigentlich nicht? Es würde doch gut zu ihm passen.
Es war einen Augenblick still, man hörte nur das Rascheln der Zeitung.
"Dieses Zimmer ist eine Zumutung. Ich muss schauen, ob wir nicht ein größeres bekommen. Das Zimmermädchen hat mir die Vorderzimmer gezeigt, die sind größer. Und es ist eine Frechheit, schließlich sind sie genau so teuer wie die anderen."
Er grunzte nicht einmal mehr.
"Vielleicht sollten wir ins 'Bella Vista' übersiedeln."
Ja bitte! Das 'Bella Vista' war das große Hotel unterhalb der Mauer des 'Anna Marina'.
"Ich werde mir einmal dort die Zimmer ansehen."
Bitte gleich!
"Komm Schatz, trink einen Schluck Wasser. Es ist nicht gut für den Kreislauf, in der Sonne zu wenig zu trinken."
Hatten sie auch Kinder mit, die Lena beim Herein-kommen nicht gesehen hatte?
"Überhaupt hätten wir in das Hotel in der Citara-Bucht ziehen sollen, das Maria uns genannt hat. Auch wenn du Maria nicht magst, so war sie doch schon oft hier und kennt sich gut aus. Auch wären wir dann näher am Strand-bad."
Jaaaa!
"Schatz, willst du einen Apfel? Ich habe dir einen Apfel mitgenommen". Lena hörte etwas, das sich so anhörte, als würde man einen Teller auf das kleine Tischchen stellen und dann ein Geräusch wie vom Schneiden eines Apfels.
Lena kramte nach ihrem Walkman. Leider hatte sie ihn auf ihrem Zimmer. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihn an diesem Nachmittag brauchen würde. Sie erhob sich, um schwimmen zu gehen. Es war ihr sowieso schon heiß geworden.
Der Mann hatte tatsächlich ein gestreiftes Mützchen auf und sah verbissen auf seine Zeitung. Neben ihm stand ein kleiner Teller mit Apfelstücken.
"Ist das Wasser kalt", fragte die Brünette, als sie wieder aus dem Pool kam.
"Mmh", machte Lena und das genügte, die Gattin wandte sich bereits wieder dem Zeitung lesenden Gemahl zu.
"Weißt du Schatz, der rote Pool ist der warme. Auch wenn man sagt, dass das Wasser sauber sei, irgendwie sieht es nicht sehr sauber aus. Man soll ja auch nicht länger als eine halbe Stunde hineingehen, steht in dem Prospekt, wegen der Radioaktivität. Vielleicht gehst du besser nicht hinein, wenn es doch gefährlich ist, und viel-leicht ist es ja doch auch nicht sauber."
Lena packte ihre Siebensachen und legte sich auf ein Liegebett, das am anderen Ende der Terrasse stand, ihr aber noch ihren bereits so heiß geliebten Ausblick auf den Epomeo gestattete. Die Frau kam hinter ihr hergelaufen.
"So bleiben Sie doch, bitte. Sie stören uns doch nicht!"
Lena holte tief Luft. Sie hasste es, grob zu sein und sie spürte, wie sie Gefahr lief, ihre Beherrschung zu verlieren.
"Ich liebe die Ruhe", sagte sie sanft.
"Ja, ist es nicht wunderbar ruhig hier. Und dass keine Leute hier sind ..."
Lena schluckte. Dann schloss sie einfach die Augen.
"Mein Mann wollte ja unbedingt in ein ruhiges Hotel. Er ist so abgespannt. Obwohl – haben Sie auch ein so kleines Zimmer? Es ist eine Frechheit, die Zimmer nach vorne sind wesentlich größer und kosten aber auch nicht mehr. Meine Freundin hat uns ja ein Hotel in der Citara-Bucht empfohlen, aber das liegt nicht so ruhig. Und außerdem mag mein Mann meine Freundin nicht sehr und wollte deshalb auch keinen Tipp von ihr annehmen."
Lena gab keine Antwort.
Sie lag mit geschlossenen Augen auf ihrem Liegebett und visualisierte den Epomeo.
"... Stress ... überarbeitet ... hilflos wie ein kleines Kind ... ohne mich ... auch hier im Urlaub ... alles kümmern...."
Die Worte schwammen in Lenas Bild auf dem blauen Pool vor der hübschen Bougainvilleahecke. Sie sah ihnen erstaunt nach, da waren sie auch schon untergetaucht.
Lena hörte einen lauten Schnarcher und wusste im gleichen Augenblick, dass es ihr eigener war. Sie blinzelte. Über ihr stand mit fassungslosen Augen die Brünette. Lena schloss die Augen wieder. Der Epomeo tauchte wieder vor ihr auf, der leichte Wind hob sie auf und sie schwebte auf seinen Gipfel zu.
In der Ferne hörte sie ein leises Gemurmel, sie drehte sich zur Seite. Die Frau stand wieder am Tisch ihres Mannes und redete auf ihn ein. Sie deutete nach hinten, wo Lena lag. Der Mann warf einen kurzen Blick auf die dösende Lena. Ein schadenfrohes Lächeln spielte um seine Lippen.
Dann war Lena endgültig eingeschlafen.
 
D

Denschie

Gast
hallo, liebe lintschi!
nun mal hier am text. ich finde durchaus, dass die
geschichte für sich stehen kann. aber dafür würde
ich sie streckenweise kürzen und als kurzgeschichte
noch einmal überarbeiten.
da ist zum einen die innenschau über/um lena.
Eine Welle der Überhebung überschwemmte sie, die Lena mit ihrem Naturell aber nicht einfach hinnehmen konnte und deshalb wusste sie, dass ihre Ruhe nun davon beeinträchtigt war, dass sie sich damit auseinandersetzen musste, damit sie diese wieder auflösen konnte.
Überheblichkeit war nicht Lenas Ambition. Sie versuchte, ein liberales Wesen zu sein, bei ihr durfte jeder alles, solange es niemanden anderen verletzte, am besten aber auch nicht ihn selbst. Den Abscheu jedoch, den sie in dem Gesicht des Mannes sah, wenn er seine Frau anschaute, der Widerwillen, mit dem er mit ihr kommunizierte, aber auch die dienerische Besorgtheit der Frau, demütigten ihre eigene Menschlichkeit. Sie wusste, dass es auch hier an ihr lag, diese Menschen als Paar so zu betrachten, dass sie ja beide ihre Lebensart bestimmten, aber das gelang ihr nie so richtig.
Sie glaubte zu erkennen, dass es Angst war, die sie dann befiel. Angst, dass sie selbst jemals in eine derart sinnentleerte und unfreie Situation geraten könnte.
Lena hasste die Selbstlüge, weil es die Selbstlüge war, die den Menschen die Liebe verstellte. Sie war immer bereit zu lieben, jeden und alles, doch sie stieß dabei immer an die Selbstlügen der anderen. Es war das größte, wenn nicht sogar einzige Problem ihres Lebens.
Und wenn ihr solch ein Schauspiel vor Augen geführt wurde, konnte sich Lena derzeit nicht davor schützen. Vor allem da sie wusste, dass ja auch in ihrem Leben die Selbstlüge wieder einmal zugeschlagen haben musste. Wie sonst hätte sie sich zu wenig spüren können, als sie hierher kam. Wäre Lenas Liebe bereits wieder intakt, könnte sie Mitgefühl mit den Beiden in sich finden, so wie sie es für ihre Freundinnen - und auch deren Partner - fand, die auch manche in ähnlichen Situationen lebten.
Doch so weit war Lena nun noch nicht und deshalb spürte sie nur Unsicherheit, was sie als nächstes tun sollte.
Zuerst versuchte sie, sich davon nicht beirren zu lassen und die Ohren zuzuklappen, wie sie es nannte. Sie legte sich also gemütlich zurück, um sich wieder der angenehmen Tätigkeit zu widmen, ihre Gedanken frei zu lassen und dann wieder einzufangen.
ich weiß, dass es dir gerade
auch unter einem liebestheoretischen aspekt wichtig
ist, darüber zu schreiben, aber es ist doch schwierig, in
so einem ausschnitt herrüberzubringen, worum es geht.
die szene an sich ist witzig und gut geschildert.
vielleicht würde es ihr etwas mehr biss geben, auch im
schon von mir angeführten mittelteil noch etwas mehr auf
den humoristischen aspekt der geschichte fokussieren.
könnte man lenas gefühle nicht auch prägnanter beschreiben?
deshalb auch meine gestrige frage, ob es sich um einen
ausschnitt aus einem längeren text handelt. in einem
roman kennt man ja die protagonistin oder weiß, dass man
sie näher kennen lernen wird. hier endet der ausschnitt
aber mit einer pointe: der mann lächelt lena an. er macht
sich ihr damit zum leidensgenossen, verbündet sich
ungefragt mit ihr. und dann ist ende! zu den ausführlichen
beschreibungen im mittelteil würde dann aber, meinung
nach gehören, lenas innenschau noch einmal aufzunehmen.
was denkt und fühlt sie nun, nach diesem lächeln und dem
"gespräch" mit der frau?
wie gesagt, mir würde die erste variante besser gefallen.
das ganze etwas zu straffen und noch mehr witz einzubauen.
wird deutlich, worauf ich hinaus will?
liebste grüße,
denschie
 

lintschi

Mitglied
ja, danke denschie,

das leuchtet mir ein.
ich bin an und für sich absolut nicht routiniert im schreiben von kurzgeschichten. das ist etwas, das ich bisher so überhaupt nicht gemacht habe.
ich dachte nur, dass dieser ausschnitt auch als kurzgeschichte stehen könnte.
aber nachdem ich doch nun auch einmal beginnen will, in dieses genre hineinzudilettieren, bin ich dir für deine anregung sehr dankbar.

es ist natürlich sehr schwer (bis unsinnig), weil ICH ja die ganze geschichte kenne ... sollte sicher besser eine neue schreiben, um zu lernen.

ich wünsche dir einen wunderschönen tag!
bei uns gibt es traumhaft schönes frühlingswetter
und ich schicke dir mit meinen grüßen
auch viele sonnenstrahlen

lintschi
 
D

Denschie

Gast
danke, lintschi, ich sitze vor meinen beiden
großen fenstern und sonne mich soz. im haus.
im frühling ist das gar nicht schlecht, weil es
dann draußen ja fast noch zu kalt ist, um sich
hinzusetzen.
meine anregung, die geschichte umzuschreiben, ist
natürlich schwierig. immerhin steht dein roman und
als ganzes ist er mit sicherheit toll. von daher
wäre es bestimmt müßig, sich noch einmal an die
überarbeitung eines teils zu machen, um daraus eine
kg entstehen zu lassen.
aber du könntest ja durchaus eine szene am pool
wählen, um etwas kürzeres zu schreiben.
noch einmal kurz wegen der formatierung: es sind
tatsächlich nur einige wenige worte, die getrennt
geschrieben werden. so störend ist es nicht. wenn
du mal lust hast, kannst du ja noch mal drübergehen.
frühlingshafte grüße,
denschie
 

lintschi

Mitglied
ja, denschie, genau das meinte ich.
ich werde eine neue schreiben. ich glaube, das ist besser. dann hab ich selber einen anfang und ein ende, das ich erdenken muss und werde wahrscheinlich von selber draufkommen, was da gar nicht hineingehört. oder hoffe ich zumindest ...
das war ja schon bei der "unerotischen" so.
ich werde das nicht mehr so machen. also ich meine, so einstellen wie es als kapitel steht, sondern nur mehr was neues. aber für mich sind halt einigermaßen sachliche feedbacks sehr wichtig und deshalb.

ich danke dir herzlichst für deine sehr brauchbare anregungen!

noch einmal lg
lintschi
 



 
Oben Unten