Begegnung in der Sahara

casagrande

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Begegnung in der Sahara



Es war ungefähr sechzig Kilometer nach einer Anhäufung von vielleicht zehn Hütten um eine Garnisonsbefestigung, Guelta Zemmur. Wir hatten uns dort noch brackiges Wasser besorgt, denn danach sollte es nach Angaben des zweifelhaften Routenführers der Firma Afrikacorrect kein Wasser mehr geben. Zumindest nicht die nächsten achthundert Kilometer, bis in die Nähe von Nouakchot. Das aus rohen Steinen errichtete Fort war ein Überbleibsel aus der französischen Saharazeit der Fremdenlegion und nunmehr nicht mehr benützt, diente den Ziegen als Unterstand und Stall. Ein Schild wies es auch als Grenzstation zu Mauretanien aus, aber sowohl die Türen als auch die Fenster waren herausgebrochen und es war kein Mensch dort, der sich für irgendwelche Dokumente interessierte hätte. Die Formalitäten würden wohl in der Hauptstadt nachgeholt werden…
Etwa sechzig Kilometer nach Al Aaiun in Richtung Süden und Mauretanien war die teilweise befestigte Straße in eine immer mehr auseinanderdriftende Piste übergegangen. Das ganz im Gegensatz zum bereits erwähnten Routenführer. Der hatte bis zur mauretanischen Grenze eine Asphaltstrecke eingetragen. Wir hatten uns 300 Kilometer mit dem Sand herumzuquälen.
Nun, sechzig Kilometern hinter Guelta, bereits im Staatsgebiet Mauretaniens, war die Piste völlig aufgefächert, die Spuren im Sand verteilten sich auf über zehn Kilometer und es war reiner Zufall, welcher der vielen Spuren man folgte. Manchmal, besonders dort, wo der Sand fein und lose war, wurde die tiefe Spur zu einer Vielzahl von nebeneinanderliegenden Spuren, um mit dem Fahrzeug möglichst nicht mit dem Getriebe durch den Sand zu pflügen und hängen zu bleiben. Sandhaufen und Löcher wiesen auf die Rettungsaktionen hin. Kleinere Dünen und vereinzeltes kurzes Gras und Dornensträucher belebten die Sandwüste.
Da die Fahrt entlang der Spuren die volle Konzentration benötigte, war es wirklicher Zufall, dass uns der Sandhaufen auffiel. Etwas länglich gestreckt und nicht höher als anderthalb Meter, fünfzig Meter von den tiefen Hauptspuren entfernt. Eigentlich fiel uns der Haufen nur deshalb auf, weil seine Form anders war. Wir hielten an und schauten die Erscheinung durch das Fernglas an, aber es blieb ein Sandhaufen. Zum Spaß gingen wir hin. Als wir hinaufkletterten rieselte der Sand ab und wir stießen an eine Blechkante. Wir gruben mit dem Fuß lässig tiefer. Zweifellos war hier ein Auto eingesandet. Wir konnten genauso hier Station machen und übernachten und ein bisschen Ausgräber spielen. Eine willkommene Abwechslung.
Mit Schaufeln gruben wir auf einer Seite tiefer. Wir legten eine Seitenscheibe frei. Es war ein VW Bus. Die Scheiben blind, wie sandgestrahlt, milchig. Nichts im Inneren zu sehen. Die Türe stand einen kleinen Spalt auf, war aber im unteren Teil im Sand festgebacken. Etwas hielt uns zurück, die Scheibe zu zertrümmern. Vielleicht konnte jemand die Teile noch gebrauchen. Hier in der Wüste ist man für jedes Teil dankbar…Wir gruben tiefer, um die Türe öffnen zu können, zogen sie mit einiger Mühe auf. Im Inneren Sand auf dem Boden bis zur Unterkante des Armaturenbrettes. Eine Kladde lag auf der Ablage unter fingerdickem Staub. Im hinteren Teil des Bully war alles völlig in Ordnung, so, als wären die Besitzer nur kurz weg. Kaum Staub, die eingebaute Küche aufgeräumt, keine Zerstörung. Ein ungewöhnliches Bild, völlig unerklärlich. Wir nahmen die Kladde mit, es schien eine Art Tagebuch zu sein.
Die Aufzeichnungen waren drei Jahre alt und beinhalteten in groben Zügen die Reise der beiden Autobesitzer, einem jungen Pärchen Ende Zwanzig. Frankreich, Spanien, Marokko. Zunehmende Probleme auf der Piste. Lagerschaden am Vorderrad in Al Aaiun. Reparatur beim Militär. Starter ausgefallen vor Guelta. Ungewöhnliche Methode des Startens mit einseitig aufgebocktem Wagen und mit Hilfe eines um das Rad geschlungenen Seiles. Dank des Differentials konnten sie so den Wagen zum Laufen bringen bis sie eine spezielle Schraube an der Keilriemenscheibe von einem Schrottauto in Guelta ausgebaut und in ihren Wagen eingebaut hatten und mit einer Kurbel den Wagen starten konnten. Sie hatten Wochen in der Gegend verbracht.
Die letzte Eintragung lautete:
„seit zwei Tagen mühen wir uns, um endlich aus dem Sand heraus zu kommen. Der Wagenheber ging kaputt. Wir brauchen Hilfe. Am Abend kamen zwei LKW eines Transportes. Sie hielten an und wollte unser Auto kaufen. Als wir ablehnten, will der Anführer der Gruppe, als Gegenleistung für Hilfe, Sybille …„
 
M

MeeresblickZwei

Gast
Gefällt mir sehr gut.

Ich frage mich lediglich ob der Hinweis am Ende so deutlich sein sollte.

Dennoch ich würde gern mehr von dir lesen.
 

casagrande

Mitglied
MeeresblickZwei

Hallo MeeresblickZwei,
Diese Kurzgeschichte basiert natürlich auf eigenen diesbezüglichen Erlebnissen und der Schluss ist deshalb so drastisch, weil es in einem islamischen Umfeld eigentlich eine der schlimmsten „Entgleisungen“ ist. Die Geschichte endet ungewiss um jede Möglichkeit offen zu lassen und es damit dem Leser überlässt, die Begebenheit selbst weiter zu spinnen. Fakt war, dass nach weiteren zwei Tagen ein anderer Transport kam, der half – das Auto steht nicht mehr dort. Vielleicht nimmt es aber damit auch den Reiz des Ungewissen…..
Vielen Dank für die Anregung, Casagrande
 

blaustrumpf

Mitglied
Befindet sich eine Grammatik im Saal?

Hallo, casagrande

Hier ist mir etwas aufgefallen, das ganz gut in die Rubrik "unfreiwillige Komik" passen könnte.

Du schreibst: "Das aus rohen Steinen errichtete Fort war ein Überbleibsel aus der französischen Saharazeit der Fremdenlegion und nunmehr nicht mehr benützt, diente den Ziegen als Unterstand und Stall. Und Grenzstation zu Mauretanien. "

Was machen denn die Ziegen so, wenn sie nicht an der Grenze Wache schieben müssen?

Grüße von blaustrumpf
 

casagrande

Mitglied
Blaustrumpf

Hi Blaustrumpf,
mag komisch klingen, aber die Grenzstation war unbesetzt - wie im Text erwähnt - die Grenzformalitäten erledigten die Ziegen.
trotzdem, vielleicht zu ändern oder zu ergänzen. Herzlich, Casagrande
 



 
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