Bergbau

Ralf Langer

Mitglied
Bergbau

Ich wuchs auf im Paradies:
Die Siedlung lag zwischen den großen Schatten einer Kokerei und einer Petrochemie. Bei Westwind rochen die Blumen im kleinen Garten hinter dem Mehrfamilienhaus nach Benzol. Wenn der Wind drehte und von Osten kam, wurden die Blütenkelche rußig, und die Wäsche, die Mutter zum Trocknen in die Sonne gehängt hatte, kam unter ihrem lauten Fluchen erneut in die Waschküche.
Mein Spielplatz war ein alter Luftschutzbunker auf der anderen Straßenseite.
Als ich noch zu klein war, um alleine auf die andere Seite zu gehen, kamen Männer in Blaumännern und füllten die Einschläge der Granaten mit frischem Beton aus.
Dann kamen Männer mit grünen Hosenanzügen.
Die fällten die alten Platanen, die den Bunker auf der Straßenseite säumten,
und pflanzten eine Reihe niedriger Büsche an ihrer Stelle.
Nach Feierabend hatte Vater sich immer die Renovierungsarbeiten vom Küchenfenster aus schweigend angeschaut. Nur Manchmal schüttelte er mit dem Kopf und sagte leise in den Himmel:
„…den werden wir doch nicht schon wieder brauchen!“
Zum Schluss bekam der Bunker dann noch einen Anstrich in Ocker.
Ich fand `s schön und klatschte in die Hände.
Mit der frischen Farbe kamen die LKW.
Sechs Tage die Woche donnerten sie unsere Straße entlang.
Es staubte mächtig den ganzen Tag, und die Kristallgläser in der guten Stube klirrten leise, wenn die Wagen an unserem Haus vorbei fuhren.
Sie begannen mit etwas, dass ich damals nicht verstand:
Sie bauten einen Berg aus Stein.
Aus den Steinen, die Männer wie mein Vater, mühsam aus der Erde holten, während Mutter den Haushalt machte und ich in den Büschen am Bunker lag, und aufmerksam die LKW zählte.
Es kamen immer sechs. Dann eine Pause und wieder sechs. Dann wieder Pause, und noch mal sechs.
Manchmal, wenn der Wind von Norden kam, hörte ich das leise Dröhnen, wenn die Kipplader, in einem Rutsch, ihre Fracht abluden.
Bald kamen sie leer zurück. Wenig später begann alles von vorn.
So wurde ich langsam größer:
Warf erst nur einen kleinen Schatten, wie der neue Berg.
Aber so wie dieser wuchs und bald den Horizont ausfüllte, so wuchs auch ich.
Als ich eins-achtzig groß war, habe ich das Paradies verlassen und nahm mir eine eigene Wohnung im Süden der Stadt.
Der Berg ist jetzt begrünt. Wanderer kommen. Sie parken bis vor dem Haus meiner Eltern und gehen von dort aus Richtung Halde.
Die Ziehwege hinauf sind lang. Und erst nach einer knappen Stunde soll man den Gipfel erreichen.
Der Ausblick muss die Mühen lohnen, habe ich gehört.
Ich selbst werde wohl nicht hinaufgehen.
Für mich ist es ein heiliger Ort.
 
B

Beba

Gast
Hallo Ralf,

ein Text, der nach "Pott" riecht. Und insgesamt mag ich ihn, denn mir geht er nahe.
Ich bin kein Prosaist, und daher wage ich nur selten, einen Text hier einzustellen! Nach meinem Empfinden könntest du an der einen oder anderen Stelle noch etwas kürzen und straffen, damit der Text insgesamt intensiver wird. Ob er außerhalb des Potts wirklich verstanden wird, vermag ich nicht zu sagen. Schade drum wäre es! Denn dann bleibt das völlig unverstanden:

Ich selbst werde wohl nicht hinaufgehen.
Für mich ist es ein heiliger Ort.
Und das wäre schade.

Ciao,
Bernd
 

revilo

Mitglied
Hallo Ralf, einem Ruhrgebietler wie mir lacht natürlich das Herz, wenn er solche Texte findet. Ich lese gerade die Ruhrpotterinnerungen von Frank Goosen.Er singt dort eine Arie auf die Ballerbuden. Das waren jene magischen Orte, an denen Du Sonntags für Vatta die Bild und Klümpkes für die Blagen gekauft hast.Meist gab es noch einen kleinen Raum, in dem die Rentner Export getrunken und Skat gekloppt haben........................ Da hasse heimlich auf die Zeitschriften mit die nackten Weiba geschielt..........wennse beim Gucken erwischt worden bist, hatte der Popo Kirmes..........Mann, war datt schön
LG revilo
 

Mandelbaum

Mitglied
Hallo Ralf,
deine Geschichte berührt mich.
Der Ruhrpott ist nicht meine Heimat, aber ich war als Kind manches Mal in Bitterfeld (Leipziger Tieflandsbucht). Vielleicht kann ich nicht alles so verstehen, wie es ein echter Ruhrpöttler mitfühlt ... zum Beispiel nicht, warum man(n) nicht zum "Heiligen Berg" pilgert ... obwohl ...solche Orte habe ich auch, eine Art stille Ehrfurcht hält mich zurück ...
LG Mandelbaum
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo beba,
mit dem kürzen ist das so eine sache:

der text ist schon sehr eingedampft. ich habe aber eine idee
für ein gedicht mit der Halde als bild.
ich werde es in küze einstellen.
bin selbst schon gespannt.

hallo oliver,
es ist schon seltsam welchen blick man auf die heimat bekommt
wenn man älter wird.
über vierzig jahre ist dieser berg gewachsen. und mir ist nie etwas besonderes daran aufgefallen.
bis heute

hallo mandelbaum,
ich kenne bitterfeld nur dem namen nach. Mit diesen Bergen/Halden ist es schon seltsam. in einer fernen zukunft werden nur noch diese künstlichen Berge davon erzählen, welche arbeit hier geleistet wurde.
Vielleicht fängt dann die kohle ja unter ihrem eigenen druck an zu glühen.

lg
an euch
ralf
 

revilo

Mitglied
Wir haben das Glück gehabt, das Ruhrgebiet noch in seiner ursprünglichen Form zu erleben. Ich will jetzt nichts verklären, aber die Zeit war schön............LG revilo
 

Ralf Langer

Mitglied
Bergbau

Ich wuchs auf im Paradies:
Die Siedlung lag zwischen den großen Schatten einer Kokerei und einer Petrochemie. Bei Westwind rochen die Blumen im kleinen Garten hinter dem Mehrfamilienhaus nach Benzol. Wenn der Wind drehte und von Osten kam, wurden die Blütenkelche rußig, und die Wäsche, die Mutter zum Trocknen in die Sonne gehängt hatte, kam unter ihrem lauten Fluchen erneut in die Waschküche.
Mein Spielplatz war ein alter Luftschutzbunker auf der anderen Straßenseite.
Als ich noch zu klein war, um alleine auf die andere Seite zu gehen, kamen Männer in Blaumännern und füllten die Einschläge der Granaten mit frischem Beton aus.
Dann kamen Männer mit grünen Hosenanzügen.
Die fällten die alten Platanen, die den Bunker auf der Straßenseite säumten,
und pflanzten eine Reihe niedriger Büsche an ihrer Stelle.
Nach Feierabend hatte Vater sich immer die Renovierungsarbeiten vom Küchenfenster aus schweigend angeschaut. Nur Manchmal schüttelte er mit dem Kopf und schaute in den Himmel.
Zum Schluss bekam der Bunker dann noch einen Anstrich in Ocker.
Ich fand `s schön und klatschte in die Hände.
Mit der frischen Farbe kamen die LKW.
Sechs Tage die Woche donnerten sie unsere Straße entlang.
Es staubte mächtig den ganzen Tag, und die Kristallgläser in der guten Stube klirrten leise, wenn die Wagen an unserem Haus vorbei fuhren.
Sie begannen mit etwas, dass ich damals nicht verstand:
Sie bauten einen Berg aus Stein.
Aus den Steinen, die Männer wie mein Vater, mühsam aus der Erde holten, während Mutter den Haushalt machte und ich in den Büschen am Bunker lag, und aufmerksam die LKW zählte.
Es kamen immer sechs. Dann eine Pause und wieder sechs. Dann wieder Pause, und noch mal sechs.
Manchmal, wenn der Wind von Norden kam, hörte ich das leise Dröhnen, wenn die Kipplader, in einem Rutsch, ihre Fracht abluden.
Bald kamen sie leer zurück. Wenig später begann alles von vorn.
So wurde ich langsam größer:
Warf erst nur einen kleinen Schatten, wie der neue Berg.
Aber so wie dieser wuchs und bald den Horizont ausfüllte, so wuchs auch ich.
Als ich eins-achtzig groß war, habe ich das Paradies verlassen und nahm mir eine eigene Wohnung im Süden der Stadt.
Der Berg ist jetzt begrünt. Wanderer kommen. Sie parken bis vor dem Haus meiner Eltern und gehen von dort aus Richtung Halde.
Die Ziehwege hinauf sind lang. Und erst nach einer knappen Stunde soll man den Gipfel erreichen.
Der Ausblick muss die Mühen lohnen, habe ich gehört.
Ich selbst werde wohl nicht hinaufgehen.
Für mich ist es ein heiliger Ort.
 



 
Oben Unten