Berüchtigt

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Buffy

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Berüchtigt
Ich erwachte mit einem „Kater“ der es in sich hatte.
Meine Augenlieder waren schwer wie Blei. Mein Kopf fühlte sich an, als hätte man damit Ping-Pong gespielt.
Mühsam klingelte ich nach meiner Perle. Ein wahrhaftiges Schätzchen, treu ergeben und seit über fünfzehn Jahren in meinen Diensten.

„Selma“, bat ich mit wehleidiger Stimme, als sie die Tür meines Schlafzimmers öffnete, „bringen sie mir bitte zwei Bloody Mary, wie immer viel Wodka.
Sie wissen schon, eins mit, das andere ohne Eis. Ich fühle mich, als hätte man mich durch die Mangel gedreht“.
Ihr ehrlicher, mitfühlender Blick, tat mir gut.
„Natürlich, kommt sofort“, erwiderte sie mit sanfter Stimme.
Als sich die Tür hinter ihr schloss, ließ ich mich entspannt in die Kissen zurücksinken.

Ich dachte an das bevorstehende Interview. Lust hatte ich keine. Absagen wollte ich nicht. Sicherlich hatte die Boulevardpresse über den gestrigen Abend schon ihre eigenen Mutmaßungen veröffentlicht. Ich sah die dicken Schlagzeilen direkt vor mir.

„Berühmte Autorin, volltrunken, auf der Hochzeit ihrer Stieftochter“
„Helen Richards, Alkoholikerin?“
„Skandalös! Grand Hotel erteilt Helen Richards Hausverbot“.
„Helen Richards blamable Vorstellung beim Hochzeitsbankett“.

Bei den Gedanken an solche, oder ähnliche Überschriften, die jetzt so real vor meinen Augen geisterten, konnte ich nicht anders.
Mein spöttisches Grinsen war unübersehbar, was ich an Selmas Gesichtsausdruck feststellen konnte, die mir meine Bloodys brachte.
„War es ein gelungenes Fest?“, fragte sie mich beiläufig, während sie zur Ankleide ging, um meine Garderobe vorzubereiten.
Ich konnte nicht direkt antworten, denn ich war mit meiner Bloody Mary ohne Eis beschäftigt. Dabei beobachtete ich Selma, wie sie mit schlafwandelnder Sicherheit meine schwarze Seidenhose und den lässigen weißen Cashmirpullover aus dem Schrank nahm.
Ich dankte Gott im Stillen und überlegte, was ich ohne sie anfangen würde.
„Es war fast so, wie ich es mir vorgestellt habe, Selma, nur etwas schlimmer“.
Der Wodka begann zu wirken. Mein „Kater“ wurde traurig, weil er langsam gehen musste.
Jetzt nippte ich genussvoll an meiner zweiten Mary.

„Wie sehen meine Termine heute aus?“, fragte ich sie und schaute dabei auf meine Armbanduhr. Es war bereits kurz nach zehn Uhr, morgens.
Selma legte die Sachen auf einen Stuhl und ging zum Schuhschrank.
„Sie haben genügend Zeit, gnädige Frau. Ich habe die Termine beim Masseur, der Pedi- und Maniküre, sowie den Friseurtermin so gelegt, dass ihnen noch Zeit für einen kleinen Snack bleibt. Den Tisch im Bistro, „Bei Rene“ habe ich für dreizehn Uhr dreißig, reservieren lassen. Max, wird mit dem Wagen um elf Uhr dreißig bereit stehen. Sie brauchen nicht zu hetzen. Das Interview beginnt ja erst um sechzehn Uhr dreißig.“
Ich grinste sie an, als sie mir meine schwarzen Pumps zur Begutachtung hinhielt.
„Danke Selma, passend wie immer, sie sind ein wahrer Schatz“, erwiderte ich.
„Ich weiß“, lächelte sie, legte meine passende Underwear ins Bad und mit einem, „bis später“, verließ sie mich.
Ich nippte an meiner Bloody Mary, dachte an die Hochzeit meiner, ach so, geschätzten Stieftochter. An den hässlichen, lauten Streit in der Hotelbar mit Robert, meinem jetzigen Liebhaber. Dachte an das bevorstehende Interview, und dass es Zeit wurde, aufzustehen.

Als ich im Badezimmer in den Spiegel schaute, blickten mich zwei vertraute Augen an. Ungeschminkt sagten sie mir die Wahrheit. Du trinkst zuviel und schläfst zuwenig. Prüfend betrachtete ich mein Gesicht. Ich war beileibe keine Schönheit und man sah mir mein Alter jetzt an. Aber ich fand, ich hatte interessante Gesichtzüge. Ich las in ihnen Schmerz, Leid, Lebenslust und Übermut, trotz der Falten und dem ungesunden Teint.
Diese verdammten Zigaretten, dachte ich. Vielleicht sollte ich mehr an die frische Luft gehen.
Diese Überlegungen hatte ich jeden Morgen. Also, kein Grund zur Sorge, sagte ich mir und verschwand unter die Dusche.

Angezogen, erfrischt, fast „katerfrei“ schlenderte ich zu Selma in die Küche.
Sie hatte bereits einen starken Kaffee gekocht und Toast mit Lachs für mich bereit gestellt.
Ich setzte mich an den Counter, Selma reichte mir den heißen Kaffee schwarz mit einem Spritzer Zitrone.
Jetzt hatte mein „Kater“ keine Chance mehr.

„Erzählen sie, wie ist das Fest gewesen? Ich bin ja so neugierig“, bettelte Selma. Ihre Augen funkelten vor Spannung.
Ich schätzte meine Perle auch als Vertraute. Sie war mein Kummerkasten. War da, wenn ich in Depressionen versank. Hielt meine Hand, wenn ich an Liebeskummer litt. Half mir, wenn ich über Schreibblockaden fluchte und brachte mich ins Bett, wenn ich mal wieder zu viel getrunken hatte.
Nur eine Unart hatte ich ihr nicht abgewöhnen können. Dieses verdammte „gnädige Frau“.
Jedes Mal zuckte ich zusammen, wenn sie mich so titulierte. Doch für Selma war es wichtig. So gestattete ich ihr gnädig diese Anrede.
„OK! Selma, holen sie sich Kaffee und setzen sie sich zu mir.
Gerade ist ein neuer Roman in meinem Kopf entstanden. Ich weiß auch schon den Titel „Verirrungen“. Hören sie sich den Anfang an, und sagen sie mir, wie er ihnen gefallen würde“.

Die Hochzeit war ein Desaster. Ich wusste es bereits vorher. Es musste schief gehen.
Idiotisch, warum hatte ich mich breitschlagen lassen da zu erscheinen. Nur, um Niemandem auf die Füße zu treten?
Was war mit mir?
Hochzeiten riefen immer schmerzhafte Erinnerungen in mir wach.
Bewusst hatte ich keinen Kontakt mit der angeheirateten Verwandtschaft gepflegt. Natürlich war ich für sie da, wenn sie meinen Rat suchten oder Hilfe benötigten. Aber ich legte keinen Wert auf eine zu enge Bindung. Wusste ich doch, wie beschissen ich mich danach fühlte.
Verdammt!
Warum hatte ich nie gelernt „NEIN“ zu sagen.
Es kam wie es kommen musste. Die geladenen Gäste schienen in dem Nobelhotel deplaziert. Die allgemeine Stimmung, zurückhaltend, um nicht zu sagen eingeschüchtert.

Robert, und ich erschienen, so wie es sich gehört, verspätet und wie zwei Paradiesvögel. Mein jugendliches Modellkleid hätte gut und gerne eine Achtzehnjährige tragen können. Aber ich, in meinem Alter? Persönlich fand ich mein Outfit zwar auffällig, aber beileibe nicht shocking. Ich hatte die perfekte Figur und Falten gehörten zu meinem Alter.
Robert, im schwarzen Seidensmoking, mit dem seidenen, grellbunten Hawaiihemd sah einfach hinreißend aus. Seine fast sechzig Jahre sah man ihm jedenfalls nicht an. Die geladene Gesellschaft, größtenteils bedeutend jünger als wir und die wenigen älteren Herrschaften, musterten uns ungläubig. Man sagte uns, wir sähen fantastisch aus, was übrigens nicht gelogen war. Doch ihre süß-saureren Mienen verrieten das Gegenteil. Unsere Erscheinung hatte sie schlichtweg überfordert.
Sie waren schockiert.
Die Hochzeit glich einer Beerdigung und wenn ich mal laut lachte, flogen alle Köpfe in unsere Richtung. Ihre Blicke signalisierten einstimmig; „wie kann man nur?“.
Gelangweilt schaute ich in Richtung Brauttisch, auf das Brautpaar, die Eltern des Bräutigams. Betrachtete die zum Teil mir bekannte angeheiratete Verwandtschaft und die engsten, mir unbekannten, Freunde des jungen Paares.
Das ist also der bevorzugte Umgang meiner Stieftochter. Spießig und erzkonservativ.
Uns hatte man unter die Jugend gemischt, vielleicht weil sie dachten, da fallen wir weniger auf.

Plötzlich wurde ich wütend. Langsam, aber stetig nahm diese innere Wut horrende Ausmaße an. Ich fühlte mich übergangen, ausgeschlossen, abgeschoben und diskriminiert. Ich gehörte an den Brauttisch. Gehörte zur Verwandtschaft, wenn auch nur zur Angeheirateten.
Wer hatte denn für dieses Fest die Kosten übernommen. Ich! Ohne mich, kein Fest, keine komplette Brautausstattung. Ohne mich, keine Hochzeitsreise nach Venedig.
Verdammt!
Warum ließ ich es zu, dass man uns ins Abseits stellte.
Ich begann im Fünfeck zu springen.
Hielt diese heuchlerische Verlogenheit nicht länger aus. Schlug alle Verhaltensregeln, die Robert mir aufgetragen hatte, in den Wind.
Jetzt, wollte ich mich besaufen, wollte vergessen. Ich spürte den Schmerz körperlich.
Die alten Bilder der Vergangenheit erwachten zu neuem Leben.
Ich brauchte Whisky und zwar jede Menge. So verkroch ich mich still und heimlich in die Hotelbar und ließ mich genüsslich vollaufen“.

„WOW“, sagte Selma nur, blickte auf die Uhr, und ermahnte mich zur Eile. Ich hatte vor lauter Enthusiasmus die Zeit total vergessen.
Als ich gegen sechzehn Uhr zurückkehrte sah ich mit Freude, dass Selma für das bevorstehende Interview, schon alles bereitgestellt hatte. Schnell griff ich nach einem Glas, schenkte mir Champagner ein und marschierte damit ins Badezimmer. Als ich es verließ, sah ich fast zehn Jahre jünger aus.
Mein Blick in den Spiegel bestätigte es.
Der lässige Hausanzug mit den passenden Accessoires saß perfekt. Das Make up war nicht zu aufdringlich. Die Haarfarbe gewagt, doch mit dem Schnitt ein Knüller. Jetzt sah man nicht mehr, dass ich mich jenseits der fünfzig Yard Linie befand.
Ich war bereit.
Das Interview konnte beginnen.
Selma betrat das Wohnzimmer. „Frau Carola Berger von der FAZ ist da, gnädige Frau“.
„Immer herein damit“, erwiderte ich.
Als Carola den Raum betrat, erhob ich mich. Seit drei Jahren genoss sie das Privileg, mich interviewen zu dürfen. Die obligatorischen Küsschen rechts und Küsschen links, gehörten zum Eröffnungsritual.
„Helen, haben sie heute schon die Zeitungen gelesen? Die Überschriften waren nicht gerade schmeichelhaft“.
Es erstaunte mich nicht, dass Carola das aktuelle Geschehen aufgreifen würde. Obwohl, das Interview sich nur auf das letzte veröffentlichte Buch beziehen sollte. Der Termin war vor Wochen bereits festgelegt worden.
Ich kuschelte mich entspannt in die Kissen, nippte an meinem Champagner, zündete mir eine Zigarette an und betrachtete Carolas herbes Gesicht.
Sie war eine hervorragende Journalistin.
Ihre Artikel unterschieden sich von der „Yello-Press“, durch ihre relative Objektivität.
Sie verfügte über ein ausreichendes Fachwissen. Ihre Intelligenz, die rasche Auffassungsgabe, ihre geschickten Fragen verrieten, dass sie ihr Handwerk verstand. Auch besaß sie den nötigen Ehrgeiz.
Ich persönlich mochte ihre Natürlichkeit.
„Ach, Kindchen, ich werde mir doch nicht einen schönen Tag vermiesen.
Obwohl ich zu gerne wüsste, wer den Ablauf des gestrigen Abends an die Presse weitergegeben hat. Es war doch keine eingeladen.
Man wollte mir wahrscheinlich an den Karren pinkeln, ein paar Euro verdienen. Mir soll’s recht sein. Sie wissen, Carola, Skandale steigern die Verkaufszahlen.“
„Stimmt es Helen, dass ihr Auftreten ein Skandal war?“
„Schätzchen, was glauben sie? Ich habe mich geärgert. Stimmt! Ich habe mich vollaufen lassen, stimmt auch. Durch meinen Rückzug in die Bar habe ich deutlich zu verstehen gegeben, dass ich mich in dieser Atmosphäre nicht wohl fühlte.
Die Gesellschaft nahm es mir übel. Übrigens mein Partner auch.
Der Skandal bestand lediglich darin, dass ich mich weigerte, mit den Wölfen zu heulen. So heulten die Wölfe im Einklang mit schwarzer Druckerschwärze. Die bissigen Schlagzeilen sind das Ergebnis.
Genug, Carola, lassen sie uns mit dem Interview anfangen.“
 
L

Larissa

Gast
Hallo Buffy,

eine wunderbar einfühlsame und zugleich tragische Geschichte. Ich glaube, es ist für jeden schlimm, zu bgreifen, dass der Lack unwiederbringlich ab ist, und das bedrohlich näher rückende Alter seinen Tribut fordert, umso mehr natürlich, wenn er im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht. Sich sinnlos voll laufen zu lassen, ist da, fürchte ich, auch keine Lösung.
Nichtsdestotrotz fühle ich mich förmlich in die Haut der Protagonisten hineinversetzt, was nicht zuletzt deiner herrlich bildhaften Beschreibung zu verdanken ist.

Liebe Grüße
Larissa
 

Buffy

Mitglied
Hi Larissa

Ich danke dir für dein Feedback und freue mich wenn die Story deinen Geschmack getroffen hat.
Ein schönes Wochenende wünscht dir
Buffy
 

katia

Mitglied
hi buffy

liebe buffy,

ich schließe mich meiner vorrednerin in vollem umfang an. vielleicht noch ein tipp: mehr absätze würden das ganze übersichtlicher gestalten, zum beispiel auch bei dialogen.

liebe grüße
katia
 

Buffy

Mitglied
Mehr Absätze

Danke Katia,

für den Hinweis,Ich werde ihn berücksichtigen.
Vielleicht kann ich es direkt machen?
Freue mich, das die Story dir gefallen hat. Übrigens, meine erste Geschichte mit Dialogen.
Gruß Buffy
 

Penny

Mitglied
Liebe Buffy,
Eine wirklich gelungene Geschichte! Ich konnte mich sehr gut mit der Autorin identifzieren (was selbstverständlich an deiner guten Art der Erzählung liegt und nicht etwa daran, dass ich gerne trinke, rauche und unzufrieden mit meinem Leben bin ;))
Ich schließe mich Katia an was die Absätze angeht, aber ansonsten habe ich es genossen diese Geschichte zu lesen.
Lieben Gruß
die Penny
P.S....das erste Mal mit Dialogen? Wow!!! Hätte ich nicht gedacht. Sie machen die Geschichte aus und sind gut geschrieben!
 

Buffy

Mitglied
Der Story eine Fortsetzung geben?

Eine Frage an den Leser!
Soll die Geschichte eine Fortsetzung bekommen, oder ist das Ende so akzeptabel?
Gruß Buffy
 



 
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