Beruf: Clown

traeumerin

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Beruf: Clown

Ich weiß nicht, wie es begann. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin. Ich weiß nur, dass ich etwas machen wollte, was sonst niemand machte von meinen Freunden. Etwas Außergewöhnliches. Vielleicht war ich auf der Suche nach Anerkennung, vielleicht wollte ich aber auch einfach etwas Fröhlichkeit auf die Gesichter von Menschen zaubern. Heute weiß ich es besser. Heute kenne ich den eigentlichen Grund für meine Berufswahl. Meine Berufswahl, die in meinem Freundeskreis allgemein belächelt wurde. Doch ich hatte mir ein festes Ziel gesteckt: ich wollte Clown werden.

Und ich habe es geschafft. Ich wurde ein Clown. Wenn mich jemand fragte, wer ich sei, dann war dies auch meine Antwort: ich bin ein Clown. Einige Menschen belächelten mich noch immer, doch die meisten fanden die Vorstellung, einem Clown gegenüberzustehen, faszinierend. Sie wurden in ihre Kindheit zurückversetzt und konnten dem Alltag für eine Weile entkommen, wenn ich eine meiner Nummern darbot. Das Gelächter war groß, wenn ich zum x-ten Mal über ein und denselben Stuhl stolperte oder wenn ich es einfach nicht auf die Reihe bekam, meiner Trompete einen vernünftigen Ton zu entlocken.
Doch es war ein anstrengender Job und ich wünschte mir teilweise, dass die Menschen entdeckten, wie es hinter meiner Maske aussah. Die Maske, die immerzu lächelte, die Maske, die alle wahren Gefühle versteckte, die Maske, hinter der ein Mensch voller Melancholie, voller Gefühle steckte. Ich wollte, dass mir, während einer meiner Aufführungen, jemand diese Maske vom Gesicht riss, mir in die Augen schaute und erkannte, wie es mir wirklich ging. Doch die Menschen sahen nur die Maske und wollten gar nicht wissen, wie es dahinter aussah. Sie hatten Angst, sich selber zu erkennen.

Am Anfang war ich einfach nur glücklich über meinen Erfolg als Clown. Ich erkannte, dass ich anderen Menschen einen Teil meiner Fröhlichkeit schenken konnte. Doch nach und nach verlernte ich die Fähigkeit, wirklich fröhlich zu sein. Das Lächeln war zur Routine geworden und ich war froh, mein Gesicht hinter Bergen von Schminke verstecken zu können. Denn hinter der Maske sah es bei weitem weniger fröhlich aus. Ich spürte eine tiefe Trauer über mich kommen, wenn ich es schaffte, die Menschen zum Lachen zu bringen. Denn ich hatte meine Fröhlichkeit verschenkt. Ich war nicht mehr fähig, selbst wirklich fröhlich zu sein. Zwanghaft versuchte ich meine Fröhlichkeit zurückzugewinnen, indem ich ganz zum Clown wurde. Auch nach der Arbeit legte ich mein Kostüm und meine Maske immer seltener ab. Ich nahm eine neue Identität an. Die Identität eines ständig gut gelaunten Clowns. Doch je mehr ich den Menschen meine aufgesetzte Fröhlichkeit vermittelte, umso weniger besaß ich die Fähigkeit, zu fühlen, zu denken, Mensch zu sein. Ich hatte keine Freunde mehr und dachte auch, keine Freunde zu brauchen. Ich war eine Maschine und das wichtigste war, dass die Menschen über mich lachten. Es war eine neue Form von Fröhlichkeit, die ich selber nicht spüren konnte. Aber ich verspürte eine Genugtuung, wenn ich daran dachte, wie ahnungslos die Menschen doch waren, wie wenig sie von mir kannten.

Bis eines Tages nach einer Aufführung ein kleines Mädchen zu mir kam. Sie hatte sich im Zirkuszelt auf der Suche nach einer Toilette verlaufen und da stand sie nun, mitten in meiner Garderobe und bekam ihren kleinen Mund vor Staunen nicht mehr zu. Ich war gerade dabei, mich abzuschminken. Da hörte ich ihre zarte Stimme fast flüsternd: „Du bist ja gar kein Clown!“ Ich zuckte zusammen. Als ich mich wieder gefasst hatte, drehte ich mich langsam um und blickte in große Kinderaugen. Und da sah ich eine Träne über die Wange des kleinen Mädchens kullern. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ sie die Garderobe. Ich hatte sie enttäuscht. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Menschen so enttäuscht, wie dieses kleine Mädchen. Alle ihre Illusionen waren zerstört und vielleicht würde sie nie in ihrem Leben wieder einen Zirkus besuchen. Und da merkte ich es, ich war gar kein Clown. Ich wollte auch gar kein Clown sein. Ich wollte leben, meine Gefühle zeigen und auch den Mut haben, traurig zu sein. Ich wollte meine Maske absetzen und ich wollte einfach nur dasitzen und weinen, um dann später wieder wahre Fröhlichkeit verspüren zu können. Ich beschloss, mich nie wieder hinter einer Maske zu verstecken. Ich wollte anfangen, wieder ein Mensch zu sein.

Und ich habe es geschafft. Heute bin ich wieder ein richtiger Mensch. Ich habe Freunde, wie jeder andere Mensch auch, ich habe Gefühle, wie jeder andere Mensch und ich bin bereit, diese offen zu zeigen. Ich kann traurig sein und manchmal gelingt es mir, wirkliche Freude zu spüren. Aber einmal im Jahr besuche ich noch den Zirkus. Zwar nur als Zuschauer, aber ich ertappe mich jedes Mal dabei, dass ich Ausschau nach einem kleinen Mädchen halte, welches die Manege betritt und dem Clown die Maske liebevoll vom Gesicht entfernt.
 



 
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