Besinnliches zum 60sten!

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Unsere Blicke kreuzten sich. Fieberwahn floss durch meine Adern und das Blut dahin, wo es um diese Uhrzeit nichts zu suchen hatte. Verschämt beäugte ich die Jugendschutzverordnung, die halb rechts neben einer Büste von Wolfgang Amadeus Mozart an der in zart-rosa gestrichenen Rauputzfasertapetenwand hing. Die altdeutsche Schrift, in der sie geschrieben stand, war ausgebleicht. Sie war wunderschön! Beide waren wunderschön - die Büste und - SIE! Natürlich auch die liebevoll per Hand von tschechischen Anthropologen in stundenlanger Fronarbeit verzierte Standuhr, die gegenüber dem Kanapee lag und wohl aus diesem Grund ununterbrochen von einem westfälischen Wandergesellen umarmt wurde... aber vor allem - SIE!

Emsig wie Küchenschaben schossen Amors Pfeile durch die vom Pfeifenrauch vernebelte Sphäre des kleinen, gemütlichen Wiener Kaffeehäuschens und trafen die leicht untersetzte, aus einem verträumten Bergdorf in der Steyrmark stammende 53-jährige Bauerntochter Gisela H., die hier ihr spärliches Einkommen als Nacktputzerin an der Staatsoper mit Kellnern aufbesserte, unverhofft, dafür direkt und volle Breiteseite in ihr ebenso untersetztes, sprich fettes Gesäß.

Mist, daneben! Voller Hohn und Schadenfreude hallte das Lachen der Meißner Porzellantassen in meinen Ohren und ich stellte mir die Frage, wie der Truthahn wohl aufs Klavier kam. Den bärtigen Pianisten, der eine dezente Ähnlichkeit mit André Heller aufwies, schien dies gänzlich kalt zu lassen. An jeder seiner drei Hände hatte er sich mit seinem Schweizer Taschenmesser genau zweieinhalb Finger abgetrennt, wahrscheinlich seine eigene persönliche Interpretation der Unvollendeten.

Ich war noch nie in Wien gewesen, auch jetzt nicht, aber das war nun egal, denn ich war hier und sie war es auch! Ihr lockiges, güldenes Haar bedeckte engelsgleich ihre lieblichen Aprikosenbrüste. Meine zittrigen Hände strichen sanft über ihre weichen Knospen und glitten hinab in die Wiege ihrer Leidenschaft, den Schoß ihrer Lust. Sehnsüchtig tauchte ich ein, in ihren märchenhaften Teich und rhythmisch verschmolzen wir und wurden keuchend uns liebend eins unter Lunas leuchtendem Lächeln und ... Moment: Falscher Traum! Der andere...

Aus eiterverklebten Augenwinkeln heraus (ich hatte mir erst kürzlich ein Gerstenkorn eingefangen) erkannte ich Gisela H. immer noch liebesbepfeilt auf den ungarischen Koch zu wanken. Seine Schürze war befleckt von den Säften toten Getiers, seine Mütze hatte er mit Tesafilm an seine Kotletten geklebt. Mein nickelbebrillter Tischnachbar hob brüskiert die linke Augenbraue. Er war eckiger Geheimrat und kannte die Kanten des Lebens.
Der Dichter denkt nur nüchtern und berauscht von seiner selbst versinkt er in seinem eingewachsenen Zehennagel. Um sich selbst zu verwirklichen, hatte er begonnen Jungfrauen zu häuten, außerdem war er ein begnadeter Schöngeist und liebte das Wortspiel.

Sie saß noch immer da in voller Pracht, mein weibliches Pendant ungebändigten Liebestaumels. Wie Murmeln kullerten ihre Augen über das frisch gewichste Parkett an meinen Platz. Ich wurde rot. Schließlich hatte ich soeben das Wort wichsen in meine Gedanken genommen. Verlegen kaute ich auf einer Serviette, während sie schüchtern in den bronzenen Kerzenständer biss, das duftende Bienenwachs benetzte ihre Wangen. "Geschmackssache sprach der Affe und aß die Seife"... Ich war verliebt!

Plötzlich ein Schrei: Aufruhr! Panik! Revolution?
Nein...! Seines erbärmlichen Daseins und den 265 Pfund Brutto-Balz-Gewicht von Gisela H. überdrüssig, stürzte der Ungar hinaus. (" ...aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt. Tooor!!!") und erhängte sich an einem Pissoir. "Scheiße!" rief der greise Rabbi und pinkelte ins Waschbecken, beides kein schöner Anblick!

Draußen zog im diesigen, braunen Flackern der alten Öllaterne der Trauerzug vorbei und sang die alte Volksweise "Wenn Axel Springer Stiefel trüge". Es war spät geworden. Ein letzter Wimpernschlag von ihr, dann schwebte sie empor, setzte sich auf einen weißen Schimmel und ritt nackt in die Wiener Nacht hinaus. "Gott behüte Franz den Kaiser!", murmelte ich, "und auch dich, du unbekannte Schönheit!" Ich seufzte: Zapfenstreich! Lakonisch löffelte ich meine Gulaschsuppe zu ende, prellte die Zeche und stieg erst in Pferdekacke und dann in die Straßenbahn... Muss wahre Liebe schön sein!



dennis petsch 30.April 2004 "besinnliches zum 59sten!"
 
Re: also,

hallo marion,
lass das ganze einfach mal unter surrealismus, oder - wenn dir dieser begriff zu unpäßlich erscheint - unter nonsense laufen, dann brauchst du dir lediglich um sinn- & unsinn, nicht jedoch um den zweck den kopf zu zerbrechen.
in tiefer demut ob des ersten kommentares, welcher mir zu teil wurde, verbeugt sich antwortend schelmend,
-dennis-
 



 
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