Besoffene Musen beim Tanztee

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Anna Osowski

Mitglied
(Weil ich hier kürzlich so eine schöne Musengeschichte gelesen habe,
stelle ich meinen etwa ein Jahr alten Versuch zu diesem Thema mal vor...)


Manchmal poltern unpassende Brocken durch den Raum. Lassen sich weder trennen noch sinnvoll zusammenfügen und kein rechtes Bild will sich einstellen. Dann kommt es mir so vor, als wäre meine Muse besoffen und würde irrwitzig kichernd durch die Lüfte fliegen. Heute morgen zum Beispiel. Da sah ich idyllisch eine weiße Taube aus einer Tanne empor fliegen. Leuchtend erhob sie sich gegen den matten Regenhimmel und ich wollte sofort eine Geschichte darüber schreiben. Doch was soll man über Brief- oder Friedenstauben schreiben, die am grauen Himmel herum fliegen. Lieber sollte man so etwas zeichnen. Dann aber fand ich die Palette in Chaos, verschmiert und verklebt. Also ließ ich das Bild einfach wie es war und erinnerte mich an damals.

Ich war ein Kerl. Nicht einfach ein Mann, sondern ein richtiger Kerl. Ich weiß noch, wie ich immer den Moment am Abend hasste, als ich die Cowboystiefel von den Füßen schleuderte. In diesen Dingern bekam man immer elendig stinkende Schweißfüße. Aber ich musste sie tragen. Wenn ich mit selbstsicherer Hüfte die Saloon-Tür zum demütig quietschenden Aufschwingen brachte, wie hätte das wohl gewirkt mit Sandalen an den Füßen. Die Weiber nahm ich mir eben, interessierte mich aber nie für sie. Für das Geplapper über Goldschmuck und Lippenrot. Schielte nur nach den anderen Kerlen. Wollte im Vergleich triumphieren, weiter nichts. Erst sehr spät in meinem Cowboyleben stellte ich mir die Frage, ob die abends auch ihre Schweißfüße bemerkten.

Ich zog in diesem Moment am flatternden Gazekleid der albernen Muse. Vielleicht, wenn ich ihr einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf schüttete? Musen sind Kaltblüter, nein wirklich, denen macht das nichts aus, die spüren nicht den Unterschied zwischen Wärme und Kälte. Das Ende vom Lied war nur, dass sie noch ein paar weitere angetrunkene Kolleginnen zu sich rief. Da war an Zeichnen nicht mehr zu denken. Schließlich trank ich gemeinsam mit ihnen und sah schon bald keinen Unterschied mehr. Zwischen ihnen und mir. Zwischen hell und Dunkel, wahr und erdichtet.

Ich war eine alte Frau, die sich nicht erinnern konnte. Ich saß am Rande eines belebten Marktplatzes und beobachtete das Treiben. Ein Haufen schmutziger grauer Tauben wurde aufgescheucht durch eine Pferdekutsche und flog in den grellblauen Himmel. Irgendetwas an dieser Szene kam mir bekannt vor, aber ich fand keinen Zusammenhang. Gesichter, die mir freundlich zunickten. Gesichter, die ich schon tausendmal gesehen, in allen möglichen Momenten und Zuständen. Aber ich wusste nicht wo. Ein Kind lief auf mich zu und zog an meinem Ärmel. Oma, lass uns nach Hause gehen. Ich spürte die Furchen in meinem Gesicht, ohne zu wissen, woher die kamen.

Ein Schwindel musste mich erfasst haben, denn mit einem Ruck fiel ich von meinem weichen Lager. Rotbäckig kichernde Musen, die ich nun auch noch doppelt sah. Sie hatten sich zu einem Reigen aufgestellt und forderten mich auf, mich einzureihen. Kopfschüttelnd drückte ich ein wehrloses Kissen an meine Brust und suchte nach einer Rückzugsmöglichkeit. Wollte nur diese laute Versammlung loswerden.

Ich war ein Kind. Alles war neu, was ich sah. Alles aufregend und auf eigentümlich selbstsichere Art an seinem Platz. Ich wollte nicht ordnen und erschaffen, sondern nur entdecken. Da gab es so viel. Die abgelaufenen Stiefel von Onkel Theo, draußen im Schuppen, in denen sich mittlerweile eine Mäusefamilie eingenistet hatte. Über die Jahre waren sie verstaubt, hatten aber nie ihren beißenden Geruch verloren. Das Lippenrot von Oma Klara, das sie wie einen Schatz hütete, das ich jedoch nie auf ihren faltigen Lippen sah. Bestimmt gab es da ein großes Geheimnis, das ich eines Tages lüften würde. Der Taubenschlag von Kalle Schneider. Manchmal saß ich ganze Nachmittage im Baumhaus und wartete darauf, dass ich eine der Tauben in den Himmel empor steigen sah. Es war nur ein winziger Moment, ein kurzes Aufleuchten vollkommener Schönheit. Ich hatte dann immer das Gefühl, dass sich ein Abbild dieser Vollkommenheit tief in meine Seele brannte.

Ermattet liegen die Musen zwischen den Kissen. Bacchus Schatten thront grinsend über ihnen. Er greift sich vielsagend in den Schritt und ich muss beim Träumen wohl den Hauptteil der Tragödie verpasst haben. Grimmig werfe ich einen Bleistift nach dem Unhold, doch da ist er schon verschwunden.
 
Pars-pro-Toto-Stil

Hallo Anna Osowski,

ich war sehr erstaunt über deinen kleinen Text, der sprachlich sehr, sehr ausgereift ist. Ein bisschen schwer zu fassen ist der Rollenwechsel, aber am Ende schließt sich der Kreis mit dem eigenwilligen Bild der Stiefel (hier der Stiefel für die Person). Der Titel lässt meines Erachtens eher etwas anderes erwarten, jedenfalls widersetzt er sich einem raschen Verständnis.

Zwei, drei kleine Stellen möchte ich anführen: „Ästhetisch erhob sie sich gegen den grauen Regenhimmel und ich wollte sofort eine Geschichte darüber schreiben.“

Hier finde ich das „ästhetisch“ nicht angemessen, es klingt zu „theoretisch“ in deiner gut fließenden, bildhaft genauen Sprache. Auch über den „grauen Regenhimmel“ könnte man nachdenken, jedenfalls erscheint das Attribut „grau“ bezogen auf einen Regenhimmel nicht sehr originell. Zwei Zeilen weiter heißt es wieder „grauer Himmel“. Auch die Tauben sind „grau“.

Sonst ist mir das „wehrlose Kissen“ aufgefallen, kann man machen. Übrigens ist Grass ein Meister darin, passiven Objekten eigentlich menschliche Eigenschaften oder „Zustände“ zuzuschreiben. In einem seiner schönsten Gedichte spricht er nicht vom Soldaten, der gefallen ist, sondern vom abgesprungenen Knopf der Uniform, der auf dem Schlachtfeld zurückbleibt.

Schöner Satz:

„Wenn ich mit selbstsicherer Hüfte [[Hier auch wieder stilistisch das Übertragen menschlicher Eigenschaften auf Gegenstände bzw. Körperteile]] die Saloon-Tür zum demütig quietschenden Aufschwingen brachte, wie hätte das wohl gewirkt mit Sandalen an den Füßen.“
Für mich eine hervorragend zu lesende, stilistische souveräne und dabei magische „Musengeschichte“.

Beste Grüße

Monfou
 
L

Lotte Werther

Gast
An Ana Osowski

Eigentlich ist mein Kommentar hier überflüssig, wenn schon Monfou alles gesagt hat, was ich auch empfand beim Lesen.

Dir aber bin ich dieses Lob schuldig, als Ausgleich zur Grillgeschichte.

Ich finde die Idee der schnappstrunkenen Musen klasse. Und du hast den Bilderwechsel gekonnt und stilsicher gemeistert.

Dieser Text war amüsant zu lesen.

Lotte Werther
 

Anna Osowski

Mitglied
Re: Pars-pro-Toto-Stil

Lieber Monfou.
Es ist nun schon das zweite Mal, dass mich Deine Kritik eine starke Resonanz bei mir hervor ruft und ich habe mir diesen Satz dort einmal vorgeknöpft und die Taube erhebt sich nun leuchtend gegen den matten Himmel. Abgesehen davon, dass mir der Einwand vorbehaltlos einleuchtete, habe ich mich an genau der Stelle auch gerieben.

Ich danke vielmals, auch für die lobenden Worte, was immer wieder ein wesentlicher Antrieb zum Weitermachen ist... :)

Anna
 



 
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