Besser sehen

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Walther

Mitglied
Besser sehen


Ich sitze hier und seh nicht viel.
Das Leben ist ein garstig Spiel.
Das Leben ist ein Ärgernis
Und, dass es endet, ist gewiss.

Nun ist das Sehen prinzipiell
Nicht etwas, dass man furchtbar schnell
Verbessern kann. Im Gegenteil:
Das Auge wird nie wieder heil,

Ist in der Näh geschwächt der Blick.
Ist schlechte Weitsicht das Geschick,
Ist es ist nicht wirklich besser.
Ach, leg’ dich unters Lasermesser,

Das wurde mir ganz frech empfohlen.
Dem haben sie sein Hirn gestohlen,
So habe ich das kommentiert.
Doch wenn man seine Sicht verliert

Und leise vor sich hin erblindet,
Wie man das allzu rasch empfindet,
Erwägt man schließlich das Skalpell,
Weil gutes Sehen prinzipiell

Viel besser kommt ohne die Linsen.
Den Spiegel seh ich leise grinsen.
Zu Ende kam die Brillenschlange,
Ganz unbegrenzt ist nun die Wange,

Und auch die Nase ungeziert
Sich in dem Angesicht verliert:
Sieht Bessersehen besser aus?
So frag ich jetzt mit stillem Graus.
 
H

HFleiss

Gast
Lieber Walther, man soll die Hoffnung nicht aufgeben. Glaubst du, jetzt besser durchsehen zu können? Was deine Verse angeht: Es rumpelt und pumpelt ein wenig. Und das bei dir, großer Verseschmied.

Liebe Grüße
Hanna
 

Walther

Mitglied
Hallo Hanna,

leider ist dieses Gedicht aus fehlerloser Knittelversen gestrickt: vierhebiger Jambus mit Senkung am Versanfang. Einzig zwei sog. "Unreinheiten": Einmal die Betonung bei "ohne" (vorletzte Strophe, erster Vers) auf den zweiten Silbe, das ist beabsichtigt, weil der Vers auch anders gesetzt werden könnte. Das zweite: das Wort "prinzipiell" wird, wie im Alltagsgebrauch, "prinzipjell" gesprochen.

Und schon ist die Sache mehr als rund. Sie ist einfach perfekt. :D

Im Ernst I: An Busch kann ich nicht heranreichen, aber immerhin kann man beim Lesen schmunzeln (was Du tatest, sonst wäre die Bewertung ein Fehlgriff gewesen). Im Ernst II: Ich trage meine Brille noch, mit voller Überzeugung.

Lieber Gruß W.
 
H

HFleiss

Gast
Lieber Walther Hans Sachs, ich finde es wirklich schade, dass du bei den Knittelversen stehen bleibst. Kleine Korrektur: "Weil gutes Sehen prinzipiell - viel besser kommt ohne die Linsen"
Vorschlag: "Weil gutes Sehen prinzipiell viel besser freilich ohne Linsen" - dann bleibst du schön im Knittel. Naja, Sahne ist es auch nicht.
Aber dass deine Verse nicht nur knitteln, sondern auch so ganz ohne Geheimnis sind, das bedauert

Hanna
 

Walther

Mitglied
Geheimnis

Liebe Hanna,

nimm aus den Stadt.Fluchten, der Druck ist fertig, das Buch ist layoutseitig jedenfalls eine Wucht:

Venedig


Die Gondeln sollen Trauer tragen.
Und ich häng trunken am Geländer,
Mein Geist übt sich als Leichenschänder.
Der Tod negiert die besten Fragen.

Dass ich mich an den Wassern änder,
Ergibt sich nur aus Lebenslagen.
Den Sinn, den hab ich längst erschlagen,
Ihn int’ressierten nur die Ränder.

Denn auch zu mehrn bin ich noch ledig
Und stochre mit dem lecken Kahn
Nachts durch mein inneres Venedig,

Quer dabei ständig meine Bahn.
Bis jetzt schien mir das Leben gnädig.
Ich such bis heute seinen Plan
.

Soweit zum Thema "Geheimnis". Es gibt noch mehr von dieser Art. Plakative Bemerkungen sind immer Allgemeinplätze (oder ihnen doch sehr nahe).

Letztlich die Spaßgedichte nicht "geheimnisvoll", weil lakonisch das Allzumenschliche beschreiben. Hinter diesem Allzumenschlichen kann man die Tiefe suchen, man kann es aber auch bei der Ironie selbst belassen.

Letztlich will diese Art von Gedichten unterhalten. Es gibt keinen unmittelbaren Drang, tief zu schürfen. Alltagspoesie - oder Gelegenheitsdichtung - ist nicht ohne Kunstfertigkeit zu bekommen, wenn sie gut sein soll. Sie ist aber vom Inhalt her eher "anspruchslos". Und das ist so beabsichtigt.

Zur Deinem Formulierungsvorschlag:

"Weil gutes Sehen prinzipiell
Viel besser ausschaut ohne Linsen"

wäre die Formulierung gewesen, die ich erwogen hatte, bevor ich zu meiner absichtsvollen "Unreinheit" m Metrum griff.

Letztlich läßt dieses Gedicht über das "Besser sehen" tief blicken. Es lüftet dabei ein bekanntes Geheimnis mit dem Namen Eitelkeit (vanitas), über das es sich trefflich lästern läßt. Sie und die Schadenfreude bringen die lautesten Lacher zutage.

Gruß W.
 



 
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