Betrachtung

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Eine Party. In besseren Kreisen, wie man so sagt. Eigentlich wollte ich schon gehen.
Und dann sehe ich Dich. Wie lange ist das her? Drei Jahre.
Drei Jahre und doch immer noch dieses Innehalten bei dem Gedanken an Dich. Designeranzug, rosa Hemd passende Krawatte, italienische Schuhe. Er steht Dir unglaublich gut dieser Priesterrock der Ausbeuter. Vor drei Jahren warst Du noch Marxist. Irgendwie konsequent, weil Anpassung eine Deiner Stärken ist. An die Umstände, an diejenigen, die Du beeindrucken wolltest und kurzzeitig auch an mich.
Bisher war ich der Meinung, ich wäre über Dich – und wahrscheinlich auch über mich – hinweg. Aber jetzt sehe ich Dich hier als Alleinunterhalter in einer Menschenmenge und stelle fest, dass die Erinnerungen an die Zeit mit Dir nur in irgendeiner Rückkopplungsschleife meines Bewusstseins auf Abruf warteten.
Die Erinnerung etwa an die Nacht, in der wir zum ersten Mal miteinander schliefen, an Deine Zärtlichkeit und Deine Stärke, in der ich mich verlieren wollte.
Ich glaube, ich habe geschrien bei diesem ersten Mal. Vor Lust, vor Glück und vor Trauer, weil ich wohl schon ahnte, es würde nicht lange so bleiben. Danach fühlte ich mich, als wäre ich zum zweiten Mal auf die Welt gekommen.
Wenn es wahr ist, dass jeder Mensch sich seine Wirklichkeit aus eigenen Konstruktionen zusammenbaut und sich denen eines anderen nur annähern kann, so warst Du mein größter Näherungswert.
Und in dem Moment als ich soweit war Dir ganz zu vertrauen, hast Du mich verlassen.
Mit Dir als Partner oder Freund gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sich in Deinem Licht zu sonnen oder in Deinem Schatten zu stehen. Die meisten Deiner Freunde beherrschten ersteres meisterhaft. Mir blieb der Schatten. Zu einem Ich konnte man an Dir nicht werden.
Aber ich hätte es nicht anders gewollt, weil Du der erste warst, der mir das Gefühl gab, nicht im richtigen Moment genau das falsche zu tun. Bei Dir konnte ich sein, wer ich bin, ohne zu denken, wie mich andere gerne hätten. Zumindest war ich dieser Ansicht. Heute scheint es mir, als hätte ich mich von einer Abhängigkeit in die nächste begeben, und das mit Freiheit verwechselt.
Damals, als ich die letzte Aufnahmeprüfung der Schauspielschule bestanden hatte, waren Deine ersten Worte. „Denkst Du wirklich, Du wirst davon leben können?“ Dann bist Du gegangen, um Kontakte zu knüpfen und ich habe mich in dieser Nacht betrunken.
Mittlerweile hat der Ehrgeiz sogar Dein Gesicht erreicht. Es erinnert an ein gehetztes Reh und gleichzeitig an einen Hundertjährigen. Ganz spurlos scheinen also die letzten drei Jahre Versteckspiel an Dir nicht vorbeigegangen zu sein.
Ich weiß nicht, ob Du Dich mittlerweile geoutet hast. Aber ich vermute einmal: Nein. Nachdem was ich über Dich erfahren habe, hält Dich Deine Gefolgschaft nach wie vor für einen Frauenheld. Für Deinen Erfolg hast Du Dich und Deine Bedürfnisse - die sicher auch die meinen waren – hinten angestellt.
„Glaubst Du etwa, irgendwer würde uns“ – gemeint warst Du – „noch akzeptieren, wenn alle wüssten, dass wir uns in den Arsch ficken?“ Während derartiger Diskussionen hast Du das Vokabular Deiner homophoben Freunde verwendet. Von denen hast Du Dir Bewunderung gewünscht und gleichzeitig immer versucht sie zu übertreffen. „Was habe ich denn davon, gut zu sein. Ich muss immer besser sein als die anderen.“
Aber mir ging es um die Situationen, deren Bedeutung nicht darin lag, besser als die Anderen zu sein, sondern besser als man Selbst.
Als sich unsere Blicke berühren, weichst Du meinem gekonnt aus.
Nur unmerklich krampft sich Deine Hand um das Cocktailglas.
 
D

Denschie

Gast
hey algernon moncrief,

ich bin gerade über "das neueste" hier gelandet und
kann nur den hut ziehen vor dieser charakterstudie.
richtig gut zu lesen!
Designeranzug, rosa Hemd passende Krawatte, italienische Schuhe.
hier fehlt ein komma, glaube ich.
Bisher war ich der Meinung, ich wäre über Dich – und wahrscheinlich auch über mich – hinweg.
die zeile in gedankenstrichen ist mir zu andeutungs-
schwanger. das hat der text nicht unbedingt nötig.
Bei Dir konnte ich mich fallen lassen ohne alles um mich herum in Gedanken zu kommentieren.
hier könnte vor "ohne" ebenfalls noch ein komma.
Heute scheint es mir, als hätte ich mich von einer Abhängigkeit in die nächste begeben, und das mit Freiheit verwechselt.
hier vor dem "und" kein komma.

aber das sind eh nur kleinigkeiten.
eine ganz tolle liebesgeschichte, schonungslos ehrlich.
und am ende ist das lyrische ich doch noch der sieger:
Als sich unsere Blicke berühren, weichst Du meinem gekonnt aus.
Nur unmerklich krampft sich Deine Hand um das Cocktailglas.
lg, denschie

p.s.: ich finde den titel fast ein bisschen zu
allgemein für diese tolle story. könnte etwas
schmissiger sein. d.
 
:)

Hallo Denschie,

Dankeschön für Deinen Kommentar. *freu*
Ich war mir mit dem Text anfangs unsicher, ob ich ihn überhaupt einstellen sollte. Umso schöner ist es, daß er gefällt.

Viele Grüße

Florian
 



 
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