Bilder einer Ausstellung

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Devika

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Bilder einer Ausstellung

„Hat sie Angehörige verloren?“, fragte ich halblaut, während ich vor einem der Bilder stehen blieb. Eine schwarz-weiß-Fotographie, auf der eine Frau zu sehen war, die im Straßenstaub kniete und wehklagte.
„Nein, das ist eine andere traurige Geschichte.“, sagte Ingrid.
Wir schwiegen. Die ganze Ausstellung war eine traurige Geschichte. „The most influential press photographs 2003.“ Der Bürgerkrieg beherrscht die Bilder wie kein anderes Thema. Viele der Bilder hatte ich in den letzten Monaten in den Tageszeitungen gesehen. Die Frau, die eine frische Blutlache von den Stufen ihres Lebensmittelladens wegwischt und das Kind, das ihr dabei zusieht. Tote, aufgereiht. Was spielt es für eine Rolle ob es Rebellen oder Regierungssoldaten sind? Es sind Söhne und Töchter dieses Landes.
„Welche Geschichte?“, hörte ich mich selbst sagen.
Ingrid sah mich über den Rand ihrer Brille hinweg an.
„Ihre Schwägerin, die von Nachbarn der Hexerei bezichtigt wurde, ist erstochen aufgefunden worden. Stand in der Times“, erklärte sie. „Das ist schon etwas länger her, da warst du noch nicht hier. Die Geschichte hatte damals einen Medienrummel verursacht. Es war der erste Fall von Hexenjagd seit längerem.“
„In welcher Zeit leben wir eigentlich?“ Ich sah der älteren Frau in die Augen. Sie hob fragend eine Braue und versuchte zu lächeln.
„Lass uns gehen, okey. Kommst du noch zu mir? Auf einen Kaffee?“

Draußen blendete mich das gleißende Sonnenlicht. Rikschas und Taxis fuhren hupend an uns vorbei. Noch bevor ich einen zusammenhängenden Gedanken fassen konnte hatte Ingrid ein Taxi gestoppt und zog mich auf die Rückbank.
„Pul Chowk“, wies sie den Fahrer knapp an.
„Es ging nicht wirklich um Hexerei, oder? Die erstochene Frau war lesbisch.“
„Lass uns darüber bei einem Kaffee diskutieren.“ Ingrid warf einen Blick nach vorne zum Taxifahrer und sah mich dann eindringlich an. Ich schwieg und widerstand dem Impuls zu sagen, dass der Taxifahrer das Wort lesbisch wahrscheinlich nicht auf Deutsch verstand.

In Ingrids Küche lehnte ich gegen den Tisch und beobachtete sie, wie sie zwei Tassen mit Wasser aufgoss. Sie rührte mit einem Löffel kurz in jeder Tasse und drehte sich dann unvermittelt zu mir um.
„Du hast recht. Wahrscheinlich war sie lesbisch. Woher wusstest du das?“
„Es war wohl diese Geschichte, die sich sehr lange im Büro der United National Women’s Front erzählt wurde.“, antwortete ich.
„Du warst wo?!“ Ingrids sonst so beherrschte Stimme klang schrill und alarmiert.
„Wie soll ich mir ein unabhängiges Urteil bilden, wenn ich mich nicht auf allen Seiten gleichermaßen informiere?“ Der Satz kam schroffer heraus als er sollte.
Ingrid stand jetzt so dicht vor mir, dass ich ihren Atem spüren konnte. Sie atmete tief durch und sagte betont ruhig: „Du weißt, dass sich die UNWF zu den Anschläge gegenüber der Amerikanischen Botschaft bekannt hat? Du weißt, dass sie den Rebellen mehr als nur ideologisch nahe steht?“
Mein Herz schlug heftig. Ich wand mich aus der Enge, in die mich Ingrid gedrängt hatte. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihr das überhaupt hatte erzählen wollen.
„Bei dem Anschlag ist doch niemand ernsthaft zu Schaden gekommen.“, sagte ich. „Wie so oft!“, setzte ich betont hinzu.
„Es war ein Akt der Gewalt. Es war falsch.“, erwiderte Ingrid scharf.
„Ja! Vielleicht übt die UNWF Gewalt aus. Aber hört denn sonst jemand zu? Die tote Frau, sie wurde brutal erstochen, weil sie eine Frau geliebt hat, weil ihre Liebe erwidert wurde und weil sie sich scheiden lassen wollte. Es gab keine Zeugen, sie wurde einfach in ihrem Feld tot aufgefunden. Seltsam, nicht war? Niemand will es gesehen haben, mitten in der Zeit der Reisernte.“ Ich spürte meinen Puls in den Schläfen. Ingrid hob beschwichtigend die Hand, doch ich fuhrt fort und merkte, dass ich lauter wurde.
„Und selbst wenn man den Täter gefasst hätte, hätte man ihn verurteilt weil Hexenjagd offiziell verboten ist. Was wäre wohl die Strafe gewesen? Ein Jahre Gefängnis, vielleicht zwei? Niemand hätte von Homosexualität gesprochen, höchstens wenn es darum gegangen wäre die Geliebte zu verurteilen. Und das ist kein Einzelfall! In Zeiten wie diesen, werden Frauen noch weniger gehört.“
„Ich verstehe genau was du meinst.“ Sie sah mich eindringlich an, neigte den Kopf zur Seite und machte wieder einen Schritt auf mich zu. Ich spürte ihre Hand auf meinem Oberarm.
„Ich rate dir jetzt etwas, als deine Chefin: Halte dich fern von allem, was offiziell verboten ist. Halte dich fern vom UNWF Büro, halte dich fern von den Demonstrationen. Wenn dir etwas zustößt oder du ausgewiesen wirst, dann ist niemandem geholfen. Ich brauche dich hier im Team. Du wärst nicht die erste, die ausgewiesen wird. Denke bitte daran wie es Navyo vom International Red Cross ergangen ist. Glaubst du die Regierung macht eine Ausnahme, weil du für die Schweizer Entwicklungshilfe arbeitest? Weil du Schweizerin bist? Und als Freundin sage ich: Verliere dich nicht. Werde damit fertig, sonst kannst du diesen Job nicht machen.“ Als sie sprach wurde ihre Stimme immer leiser, bis sie nur noch ein raues Flüstern war.

Ich sah sie an, suchte Halt in ihren grauen Augen. Sie zog ihre Augenbraue hoch und lächelte verlegen, dann nahm sie ihren Kaffee und ging ins Wohnzimmer. Dort stellte sie die Tasse auf einem Klavier ab und setzte sich davor. Wie oft hatte ich sie in den letzten Monaten Klavier spielen hören? Es hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Sie spielte eine Sequenz an und sortierte dann einige mit Bleistift beschriebene Seiten Notenpapier.
„Klavier spielen tut gut. Es hilft mir Gedanken und Emotionen zu sortieren.“, sagte sie ohne aufzusehen. Sie nahm einen Schluck Kaffee. „Manchmal hilft es mir auch etwas zu komponieren, Tönen Ordnung und Harmonie zu geben.“ Sie wandte sich mir zu und lächelte sanft. „Versuche es doch mal mit Kreativität.“ Sie zwinkerte mir zu und nun musste ich auch lächeln.
„Wer weiß? Vielleicht schreibe ich ja mal etwas.“, antwortete ich.
Ingrid spielte wieder eine Sequenz an und ergänzte dann etwas auf ihrem Notenpapier. „Hier sitze ich viel mehr am Klavier als in Deutschland.“, murmelte sie fast unhörbar.
„Hat es schon einen Namen? Das Stück, dass du schreibst?“
In ihren Augen sah ich das Funkeln aufblitzen, dass mir so viel bedeutete.
„Bilder einer Ausstellung.“
 



 
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