Bis du kamst

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Cafard

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Nach dem Frühstück blättert sie in alten Tagebüchern, die grüne Tinte wirkt kaum verblasst, die Gedanken von gestern sind leider nicht verwelkt:

Zuviel Angst ist zwischen meinen Träumen und meinem Leben: Ich möchte es anders haben.

Mehrmals liest sie diese Worte, sie schmecken bitter: Alles wie gehabt.

Mit einer kurzen Handbewegung fliegt das Buch vom Tisch. Ein gedachtes Schreien bleibt still, eine Zigarette lang bleibt die Anspannung heißer Atem, der Rest folgt wie aus sich selbst:

Ohne Gepäck startet sie den Wagen, drei Stunden bis zum Meer sind nicht viel. Lächerlich wenig gegenüber einem Leben ohne seinen scheu wirkenden Blick. Wie alles auf eine Karte setzend betritt sie die kleine Pension.

Vergangenen Sommer hatten sie sich dort geliebt. Sie wollte nur mal den Kopf frei bekommen, die Seeluft würde ihr schon gut tun, auch wenn es neu war, so allein mit sich zu verreisen... und dann... so plötzlich jenes Abenteuer, der ruhige Mann führte das ehemalige Gästehaus seiner Eltern, eine Frau an seiner Seite gab es noch nicht... und jetzt... wie aus dem Nichts sie beide, der Abschied fiel schwer, es blieb ein Meer an ungeklärter Bedeutung.

Die nahende Begegnung kann schnell vorbei sein, sie scheut diese Wahrheit nicht. Als er sie erblickt, sind keine Fragen in seinen Augen. Sie liest darin alles, was sie sich gewünscht hatte: Etwas blieb einsam in mir, bis du kamst.

Zu Hause in Deutschland erklärt sie alle Welt für verrückt, es sei höchst unklug, ihre Sicherheit aufzugeben, die gute Stellung, die schöne Wohnung, um ein vages Leben in Zeeland zu beginnen, das konnte doch nicht wahr sein... ein viel zu riskantes Wagnis.

Inzwischen begrüßt sie ein paar ihrer alten Freunde als Gäste im „Strandlooper“, die Menschen aus der früheren Heimat kommen gerne in die hübsche Pension, und sie freuen sich, den blonden Jungen wachsen zu sehen, er entwickelt sich prächtig an der guten Luft.

In den ruhigeren Wintermonaten hat sie Zeit, in ihr Buch zu schreiben:

Natürlich hätte es schief gehen können, den inneren Stürmen zu folgen. Aber ohne es zu versuchen, wäre ich mit niemand anderem glücklich geworden. Ich bin dankbar für die Kraft, die mir das Leben von irgendwoher gegeben hat, für die Kraft, mich zu entscheiden.
 

APO

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Hi Cafard,

nun schreibe ich zum zweiten mal innerhalb weniger Minuten, dass ich deinen Umgang mit Sprache mag. Und auch die Geschichte, die sie transportiert, ist diesmal konkret, das gefällt mir. In wenige, wesentliche Szenen packst du eine Entscheidung, eine Rückblende, ein Wiedersehen, Zweifel, den Umzug und das erste Kind. Nicht schlecht.

Hat mir gefallen
Apo
 

poetix

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Hallo Cafard,
deine Geschichte ist glaubhaft und sie ergreift den Leser. Hat mir gefallen.
Viele Grüße
poetix
 



 
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