Bitterböse Träume 7

Fredy Daxboeck

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"Morgen", erwiderte Connie mürrisch. Ihre Stimme kratzte wie ein altes Grammophon auf schwarzem Vinyl und sie schnupperte, als ob sie dem Duft des frischen Kaffees folgen müsste, um zu ihrem Platz zu finden. Umständlich kletterte sie auf ihren Hocker und goss sich schwarzen, dampfenden Kaffee ein.
Connie war ein Temperamentbündel, das morgens zwar erst auf Touren kommen musste, dann aber oft nicht mehr zu halten war. Sie war mittelgroß und trug ihr aschblondes, dichtes Haar schulterlang. Sie war schlank, wohlproportioniert und hatte ein fein geschnittenes Gesicht. Ihre Bewegungen, die Mike bei ihrer ersten Begegnung sofort an eine Raubkatze denken ließen, waren geschmeidig und doch irgendwie elegant. Sie bewegte sich fließend und leicht. Da waren keine Ecken und Kanten, nur Linien und Kurven. Bloß nicht frühmorgens. Da wirkte sie eher wie ein tapsiges, verknautschtes und hilfloses Mädchen das sich verirrt hatte.
Connie hielt sehr viel auf Fitness und Gymnastik, empfand aber zur Zeit absolut keine Lust auf Sport, gleich welcher Art. Obwohl sie es selbst nicht benennen konnte, fühlte sie sich ziemlich eingeengt. Eingesperrt in ihrem täglichen Trott von Beruf und Privatleben, das ihrer Meinung zufolge im Moment sehr wenig bot. Zumindest was das Privatleben anbelangte. Ich werde nächstes Jahr im Frühling dreißig. Vielleicht liegt es daran, dachte sie, verdrängte diese Gedanken aber sofort wieder, beinahe zornig auf sich selbst.
"Ach, bevor ich’s vergesse", sagte Mike beiläufig und sah wieder über den Rand seiner
Kaffeetasse. Auch so eine Eigenheit von ihm, sich hinter der Kaffeetasse hervor zu unterhalten, brummte Connie in Gedanken, sprach diesen aber nicht laut aus. "Ich komme heute Abend sehr spät nach Hause. Du brauchst nicht auf mich zu warten, okay. Ich stehe vor einem wichtigen Vertragsabschluss und muss das unbedingt bis morgen hinkriegen."
"Hmmh", machte Connie und versuchte die grauen Schleier die in ihrem Kopf herumwaberten, in den Griff zu bekommen. Die kalte Dusche und der Kaffee zeigten noch keine besondere Wirkung. Das dauerte bei ihr immer eine Weile. Sie bemerkte Mikes lauernden Blick nicht, mit dem er sie aufmerksam musterte. Aber wahrscheinlich hätte sie ihn auch nicht bemerkt, wenn er mit Zuckerstückchen nach ihr geworfen hätte. Gedankenverloren schmierte sie ein Brötchen und biss lustlos hinein. Mike wandte sich zufrieden seinen Akten zu, trank den Rest seiner Tasse aus, packte die Papiere ein und sprang mit einem demonstrativen Blick auf seine Armbanduhr auf.
"Ich muss los, damit ich nicht zu spät komme. Wir sehn uns." rief er ihr noch über die Schulter zu, dann hörte Connie nur mehr die Tür die ins Schloss fiel.
"Ist okay, ich wünsch´ dir auch einen schönen Tag." murmelte Connie in ihre Tasse und seufzte. Lang anhaltend und intensiv. Ihre Beziehung dauerte erst ein Jahr, aber sie war schon jetzt ziemlich abgenutzt. Sie zuckte mit den Schultern und dachte: Was soll´ s, jedenfalls gehen wir heute Abend ins Kino und danach gibt´ s vielleicht auch mal wieder richtig guten Sex.
Bei der Vorstellung an einen ruhigen Abend mit Mike, mit Kino und anschließendem Abendessen und danach mindestens zwei Runden Sex, bei dem sie ihn so richtig fordern wollte, huschte ein leichtes Lächeln über Connies Gesicht. Früher waren sie öfter ins Kino oder in ein gutes Restaurant und danach ins Bett gegangen. Aber diese Abende waren in letzter Zeit immer seltener geworden, und seit einiger Zeit waren sie gänzlich ausgefallen. Sie konnte sich fast nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal wirklich miteinander geschlafen hatten. Nicht diese Bettgymnastik, einmal die Woche, die zur beinahe lästigen Pflichtübung geworden war, sondern Sex; richtiger Sex, der aus Geben und Nehmen, aus Verlangen und Verschenken bestand. Richtiger Sex, der dich in den Himmel hinein katapultieren konnte. Sex der nicht nach dem Woher und Wohin fragte, sondern einfach aus der Situation entstand und seinen Weg suchte und fand. Ähnlich einem Fluss der aus dem Nichts geboren wurde und größer und mächtiger wurde, je länger sein Weg war. Der zwischenzeitlich wild und stark war, aber zu guter Letzt seine Bestimmung in seiner Größe fand. Connie seufzte und ihr Blick wanderte zum Fenster. Diese Art von Sex kann man nicht planen, dachte sie wehmütig. Das war ein Naturereignis das man leben und erleben musste. Wieder spürte sie wie dieses Seufzen in ihrer Kehle hochkam. Mike arbeitete oft bis sehr spät in die Nacht. Viel zu oft für ihre Begriffe.
Langsam, Stück für Stück drangen endlich seine Worte in ihre Gedanken ein und hallten in ihrem Kopf wider. Erst leise, verhalten. Aber dann explodierten sie nahezu in einer wahren Flut von gellenden Farben und Lichtern.
"Oh nein!" rief sie enttäuscht aus und knallte ihre Tasse klirrend auf den Tresen. Aus dem Kinoabend heute wurde wieder einmal nichts. Und aus dem Sex natürlich auch nicht.
"Verdammt! Nicht schon wieder!" Ein heißes Gefühl von Wut und Enttäuschung brandeten in Connie auf und ließen sie laut aufschreien. Ihr zaghaftes morgendliches Lächeln war wie weggefegt. Das war jetzt das wiederholte Mal in den letzten vierzehn Tagen, dass Mike ein Date kurzfristig absagte. Damit war auch der einzige Lichtblick dieses Tages weg. Sie kämpfte einen langen Augenblick mit der Versuchung ihre halbvolle Kaffeetasse gegen die Wand zu werfen; aber dann gewann ihre Vernunft wieder die Oberhand und sie stellte die Tasse vorsichtig ab.
Sehr vorsichtig. Damit sie ihr nicht doch noch aus der Hand fiel und gegen die gegenüberliegende Wand krachte.

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sieh hinter den Horizont und finde . . . mich
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