Bitterkuss

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Balu

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Bitterkuss

An jenem Abend glühte die Sonne rot hinter mir.
Nach dem langen Weg durch die engen Wälder, dem beschwerlichen Aufstieg und dem gefahrvollen Tasten über die schmalen Felsgrate schlug mein Herz freudig bis zum Hals.
Immer wieder liebkoste mein Blick die sanften Hügel und die Stirn genoss die Frische des Sommerwindes.
Ich ahnte das Ende meines langen Weges.

An einem windgeschütze Platz hatte ich mein Lager aufgeschlagen und ein Feuer mit dem Windbruch einer Weide angezündet. Als nur noch Glut in dem kleinen Erdloch schwelte, kamen sie aus den dichten Büschen am Bachrand hervor.
Der Vater, immer noch mit strengen aber gütigen Augen, kam zuerst näher. Er trug das Beil in der Hand, mit dem er damals das Huhn getötet hatte. Ich sah mich, sah den Knaben, der es hatte fest halten sollen, aber als der Kopf neben dem Hackklotz herunterfiel, hatte ich losgelassen und das Huhn ist ohne Kopf durch den Stall geflattert und der Vater hatter geschimpft, weil das Hühnerblut überall klebte. Neben ihn trat die Mutter. Sie war nackt, und die Narbe von meiner unnatürlichen Geburt leuchtete vorwurfsvoll und rot, wie die Glut in der Feuerstelle.
Der Pfarrer kam vom Bach her und hielt ein Papier in der Hand. Ich wusste, was drauf stand. Es war der Liebesbrief an Ramona, in dem ich ihr in den ersten Reimen meines Lebens meine Sehnsucht nach ihrem Mund und ihren Händen geschrieben hatte.
Dann kam sie. Leise weinend hielt sie unsere Kinder an den Händen. Sie hatte immer nur leise geweint, anstatt zu sagen, wie alleine sie sich gefühlt hatte. Die Kinder schwiegen, aber in ihren Augenstand die Verachtung für den Vater geschrieben. "Versager", las ich auf ihren Gesichtern. Und auch du hast dich aus den Büschen gelöst und bist zum Feuer gekommen. Ich las den Schmerz in deinem Gesicht, den du fühltest, wenn ich mich an dir festgeklammert habe wie ein Ertrinkender, und ich sah die Liebe in deinen Augen, die du mir immer wieder gabst, aber die ich nicht annehmen konnte, weil ich nichts wert war.

Ganz nah seid ihr bei der Feuerstelle gestanden und ich konnte den Schein der Glut auf euren Gesichtern sehen. Ich stand langsam auf und schaute euch, einen nach dem anderen, lange an und sprach laut in die Nacht.
"Ich habe euch und mir Leid zugefügt und schwer an meiner Schuld getragen. Nun geht und lasst mich in Frieden meinen Weg ziehen, weil ich meine Schuld lange schon verbüßt habe, mit Zins und Zinseszins."

Zögernd und still verschwanden sie im Dunkel der Nacht. Nur du warst noch da und dein Kuss schmeckte bittersüß.
 

MarenS

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Sprachlos angetan.
Kleinigkeiten störten, ich werde es später noch einmal lesen und mehr dazu schreiben.

Maren
 

Leise Wege

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Begegnung Leben--- tiefgreifender Text, der so manches Gesicht in anderer Beleuchtung wieder zeigt als seinerzeits.
Nur eines trägt den roten "Schein"...
Lieben Gruß
Moni
 



 
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