Blicke im Kaffeehaus

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Blicke im Cafe

Das schöne, klassische Wiener Kaffeehaus nahm seine Gäste willig auf. Sie waren verschiedenster Art, doch alle waren sie für eine Weile zum gleichen Zeitpunkt am gleichen Ort, um dann wieder hinaus in ihr restliches Leben zu gehen, wenn der Kaffee ausgetrunken und die Zeitung ausgelesen war. Zeitungen waren sehr begehrt, und in diesem Cafe legte man großen Wert auf ein umfassendes Zeitungssortiment – man servierte die New York Times und die Neue Züricher Zeitung, den Daily Tribune und die Frankfurter Allgemeine Zeitung nebst den heimischen Blättern, wohlgemerkt festgemacht an den praktischen Holzzeitungshaltern, welche die Handhabung der großen Papiere erheblich erleichterten.

Das behagliche Rascheln der dünnen Seiten war zu hören, und der Duft von Kaffee lag in der Luft. Eine junge Frau saß am Fenster, versteckt hinter einer deutschen Tageszeitung, eine heiße Schokolade kühlte auf der Marmorplatte des Tischchens vor ihr aus. Durch die Zeitung konnte man sie kaum sehen, man erkannte nur an den kleinen Händen und an den bestiefelten Beinen, dass es sich um eine ZeitungsleserIN handeln musste. Sie kam des Öfteren her, meist zur gleichen Tageszeit. An diesem Tag war sie schon lange hier, sie hatte die Zeitung alsbald ausgelesen und legte sie mit dem Gestell auf den zweiten Sessel an ihrem Tisch. Wie immer nach der Lektüre sah sie sich in der näheren Umgebung um, man wollte schließlich wissen, mit wem man sich Raum und Kellner teilte. Sie machte rundum blickend keine nennenswerten Entdeckungen. Erst als sie direkt neben sich sah, durchlief sie ein warmer Schauer. Am Nebentisch hatte sich ein Braunhaariger niedergelassen, der eben die Zeitung seiner Wahl zum Lesen vorbereitete: mit schmalen Denkerhänden glättete er ihr die Seiten, um sie dann vor sich hoch zu heben und hinter ihr zu verschwinden. Er hatte noch nicht einmal bestellt. Die junge Dame witterte eine Chance, ihn noch einmal zu Gesicht zu bekommen, wenn er seine Bestellung aufgeben würde. Sie lauerte auf den Kellner, der nach einiger Zeitverzögerung erschien und mit geübt überheblichem Gesichtsausdruck und lange erprobter, obligatorischer Wiener Kaffeehausunfreundlichkeit zuerst bei ihr nachfragte: „Doafs no wos sein?“ Dabei näselte er leicht und hielt das „sein?“ übermäßig lange aus. Diese Frage war Goldes wert, denn die deutlich vernehmbare Kellnerstimme hatte den benachbarten Leser hinter seiner Zeitung hervor gescheucht und seinen Blick auf den Nebentisch gelenkt. Zögerlich bestellte sie Tee mit Milch. Dabei hatte der Nachbar sie gesehen, und obwohl er sich sogleich wieder hinter seiner Zeitung verschanzte, fiel ihm das Lesen auf einmal gar nicht mehr so leicht. Er sah statt den Schlagzeilen und Leserbriefen immer wieder das Gesicht der Teetrinkerin vom Nebentisch.
Der Kellner riss ihn wieder hinter der Zeitung hervor, und der Typ von nebenan bestellte den großen Braunen, den er gewöhnlich zum Lesen brauchte. Allerdings war heute eben an Lesen kaum mehr zu denken, die Lektüre hatte eine ernsthafte Konkurrentin bekommen. Während des Bestellens war ihm nicht entgangen, dass sie ihn im Visier hatte. Er fühlte es, seine Wangen waren warm geworden, unter dem Zwerchfell hatte es gebrannt und in der Magengegend gekribbelt. Es wurde ihm klar – entweder sie oder die Zeitung! Also hob er letztere vor sich hoch, aber nicht zu hoch, damit er sie –die kleinhändige, stiefeltragende Nachbarin, bei Bedarf – sehen konnte. Innerlich erregt blickte er betont entspannt in die Ferne, sie sollte nur nicht merken, dass sie der Grund war für seine momentane Nervosität. Mit einem Stich in die Herzgegend stellte er fest, dass ihr Blick auf ihm ruhte.

Der Kellner brachte beiden das Bestellte und sie konnten sich kurz entspannen. Jeder veredelte sein Getränk mit Milch und Zucker, ausgiebiges Umrühren war ebenfalls unerlässlich. Selten hatten sie je so dankbar und besonnen ihre Tees und Kaffees behandelt, diesmal war es eine kurze Ruhe vor dem Sturm. Obwohl, noch waren sie so schüchtern, dass ein Sturm sich höchstens auf der anderen Hemisphäre langsam und gemütlich entwickelte, wenn überhaupt. Nach dem Zucker-Milch-Intermezzo begegneten sich ihre Blicke ohne Umwege. Doch so viel Kraft, dem Blick des anderen Stand zu halten, hatte keiner der beiden. Schnell wandten sie sich wieder ab, synchron. Immerhin, bemerkte er, lächelte sie, als sie wieder in die Sicherheit ihrer Teetasse starrte. Sein Herz setzte einen Schlag aus – sie hatte ihn also auch bemerkt! Die junge Dame ihrerseits war ebenfalls kribbelig, setzte aber mutig an um aus ihrer Tasse den ersten Schluck zu nehmen, und um Zeit zu gewinnen, tat sie das besonders langsam. Was sie nicht bedacht hatte war, dass ihre Hände vor Aufregung zitterten, und zwar so, dass ihr Tee schwappte und spritzte, was weder dem jungen Herren noch einer ältlichen Dame auf dem anderen Nachbartisch entgangen war. Die Seniorin belustigte sich an dem Schauspiel, sie beobachtete diese jungen Leute schon eine Weile und schloss mit sich selbst Wetten ab, ob sie es wohl schaffen würden, sich an zu sprechen, oder ob sie das Kaffehaus als Unbekannte wieder verlassen würden.

Schnell setzte die Aufgeregte die Tasse wieder ab, ein kurzer Blick zum Objekt der Begierde sagte ihr, dass er ihre Einladung angenommen hatte, er hatte sogar die Zeitung weggelegt und sah sie an. Er sah sie einfach an. Das war doch etwas zu direkt, sie hielt dem Blick noch immer nicht stand. Ein langer, ausgiebiger Blick direkt in die Augen des Anderen hätte wohl oder übel den Übergang in ein Gespräch zur Folge gehabt– „Noch nicht!“ dachte sie und wagte nur einen kurzen Kontrollblick, dann sah sie aus dem Fenster. Er hatte sie angesehen, stellte sie mit hüpfendem Magen fest! Er hatte sie einnehmend und gewinnend angesehen! Wie schön, dieses Gefühl, sie war nicht mehr allein in diesem Kaffeehaus! Die alte Dame von nebenan stellte ebenfalls belustigt fest, dass er jetzt aufs Ganze zu gehen vorhatte, sonst würde er nicht so stabil schauen. Außerdem war auch ihr sein charmanter Gesichtsausdruck nicht entgangen, vermutlich haben alle Damen, gleich welchen Alters, einen Sinn für so etwas. Die Jüngere wusste, jetzt lag es an ihr. Ein Blick zu ihm würde den Bann brechen. Was könnte denn passieren? Sie sammelte sich, aus dem Augenwinkel sah sie ihn noch immer in ihre Richtung gewandt, sie nahm einen Schluck Tee, wobei sie den Kopf weit nach unten bog um die Tasse nicht so hoch heben zu müssen. Das sah komisch aus, er zeigte sich erheitert – er reagierte also schon offensichtlich auf sie. Jetzt war es so weit! Sie steuerte ihren Blick direkt auf ihn zu, langsam, zielsicher, sie hielt den Kopf etwas schief und sah ihn herausfordernd freundlich an. „Was ist denn so lustig?“ fragte sie ihn ohne Worte. Sein Gesicht ging in einem großen Lächeln auf, erleichtert atmete er ein und aus, zwinkerte ihr zu und lud sie mit einer freundlichen Geste ein, sich zu ihm zu setzen. Sie nahm ihren Mut zusammen und ihren Tee - und wanderte zu seinem Tisch.

Dabei streifte ihr Blick den einer Pensionistin, die ihr wohlwollend zu lächelte und dann zu dem hübschen Menschen mit den feinen Denkerhänden sah, als ob sie ihr ihren Segen geben würde. Die alte Dame hatte ihre Wette gewonnen!
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Rosa,

zunächst ein "Herzliches Willkommen" im grünen Leseparadies :)


Zum Text: Hat mir gefallen, auch die Einleitung mit den beschriebenen Grundabläufen in diesem Kaffeehaus.
Das einzige, worüber ich beim Lesen stolperte, sind die verschiedenen Perspektiven.
Zunächst hast du eine allgemein Perspektive, dann schreibst du aus Sicht von "ihr", später übergangslos aus "seiner" Sicht. Noch später wird es die Sichtweise der Pensionärin vom Nachbartisch, um sich dann wieder in die Denkweise der Jungen zu retournieren.

Womöglich wäre es besser, grundsätzlich die Pensionärin für alle Beobachtungen um das junge Paar zu wählen. Das gäbe der Handlung eine gewisse Grundstringenz und ihr als eigentliche Protagonistin ausreichend Spielraum, Denkmuster usw. zu unterstellen bzw. zu beobachten. Alles, was die junge Frau und der Herr durchleben, empfinden und tun, kann ausgezeichnet von der Pensionärin wiedergegeben werden.

Nur so eine Idee - ist ja auch "deine" Geschichte.

LG kageb
 
Perspektiven im Kaffeehaus

Hallo KaGeb,

ich freue mich über die Reaktion auf die Kaffehausgeschichte! Ich werde mich bemühen, zukünftig durchgängige Perspektiven bei zu behalten. Danke für die konstruktive Kritik!

Liebe Grüße

Rosa
 



 
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