Boomtown 02/2000

Leovinus

Mitglied
Boomtown – Die Montagskolumne aus Berlin 02/2000

Ende der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts gab es eine Band namens "Boomtown Rats", deren Titel "I don’t linke Mondays" auch jetzt noch häufig an diesem Wochentag zu hören ist. Er handelt von einer Schülerin in San Diego, die am 29.1.1979 ihre Klassenkameraden erschoss und dies einzig mit jenem Satz begründete. Um anderen Menschen ein ähnliches Schicksal zu ersparen, erscheint diese Kolumne jeden Montag in der Hoffnung auf zahlreiche Leser.

Sonntag

Der Sonntag ist die willkommene Gelegenheit, endlich einmal das zu tun, was man schon immer tun wollte: Nichts.
Gemütlich flegelte er auf seiner Couch. Auf dem Boden die zerfledderte Stadtillustrierte, die ihm noch gestern abend gute Dienste geleistet hatte. Heute war sie sein Kopilot durch das Fernsehprogramm, um ihm die bekannte Mitteilung zu machen, dass nichts in der Röhre kam. Nichts macht nichts. Also blätterte er gedankenlos eine alte Computerzeitschrift durch, war aber durch keinen Artikel wirklich zu fesseln. Im Hintergrund lief das Radio, Live-Berichte von der "Grünen Woche", Musik, ein Herren-Duo versuchte redlich, ihn durch Wortakrobatik in Stimmung zu bringen. Aber die Sendung verbreitete eine ebenso graue Stimmung wie der Himmel, der seit dem Morgen bis jetzt, zum nahenden Sonnenuntergang, nicht recht hell geworden war. Er zündete sich eine Zigarette an und lauschte der Heizung. Schon dreimal hatte er sie in den vergangenen Wochen entlüftet. Jedesmal plätscherte sie nach einer Stunde wie ein Zimmerspringbrunnen. Er ging auf die Toilette.
Kaum hatte er es sich auf der Couch wieder bequem gemacht, läutete der Nachbar. Seine Katze war verschwunden. Ein rot-weiß geflecktes Ungeheuer, das es schon öfter geschafft hatte, über den Baum vor dem Haus auf seinen Balkon zu springen. Gemeinsam sahen sie nach, wobei es ihm ein wenig peinlich war, den Nachbarn durch das nicht ganz aufgeräumte Wohnzimmer zu führen. Keine Katze weit und breit – der Nachbar ging wieder.
Er machte sich einen Kaffee und begab sich zur Couch. Über ihm trappelten Kinderfüße, die die Deckenlampe zum Vibrieren brachten. Nur kurz überlegte er, ob er zum wiederholten Male nach oben gehen sollte, um die Mitbewohner zum Tragen von Hausschuhen zu bewegen. Aber er beschloss, dass ihn das nur mehr aus der Ruhe bringen würde und blieb sitzen.
Das Telefon klingelte. Eine alte Freundin, die schon lang nichts mehr von sich hatte hören lassen, lud ihn ins Kino ein. Er überschlug kurz, was das für ihn bedeutete: Den Platz auf dem Sofa zu räumen, rasieren, ausgehfertig machen, zur U-Bahn laufen ... Dankend lehnte er ab. Vielleicht ein anderes Mal. Also plauderten sie so eine Weile, über ihren neuen Freund, dass sie nun endlich ihren Flur gestrichen hatte – ein zartes Grün, damit man gleich freundlich gestimmt die Wohnung betritt - , was das Leben denn so bei ihm mache? Er dachte über den gestrigen Abend nach, darüber, dass er zwar viel unterwegs gewesen war, aber nichts wirklich Interessantes erlebt hatte. Seine neue Freundin war nicht wirklich eine. Auch sie würde sich im Laufe der Zeit zu einer alten Bekannten entwickeln die irgendwann einmal an einem trüben Sonntagnachmittag anrufen und ihn ins Kino einladen würde. Aber davon sagte er nichts. Es geht mir gut, sagte er und flüchtete sich in die Beschreibung dessen, was er gerade tat: Kaffee trinken, über Nachbars Katze nachdenken, Kindergetrappel hören, Radiomoderatoren ein Publikum bilden. Na, muss auch mal sein. Ich ruf dich wieder an.
Er legte den Hörer auf, nahm ein Buch zur Hand und begann das erste Kapitel zu lesen. Nach einer halben Stunde klang ein klägliches Miauen vom Balkon. Er holte Nachbars Katze und klingelte nebenan. Mit dem erneuten Versprechen, dass man in Zukunft besser auf Lucy aufpassen werde, wurde er verabschiedet. Einen schönen Sonntagabend noch.
Der Mann schlenderte wieder zu seiner Couch, rauchte noch eine Zigarette und ließ den Rest des Abends ereignislos an sich vorüberziehen.
Eine schöne Woche wünscht Leovinus.

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Diese Kolumne erscheint regelmäßig im Forum von www.berlinerzimmer.de (seit Oktober 1999), im Satirebereich von www.leselupe.de (seit Januar 2000) und auf meiner Homepage.



(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
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