Briefe an einen Reisenden

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mori

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Liebe Prosa- Kollegen,

ich, als Lyrikfreundin tummele mich (leider) eher selten in der Prosaecke. Ich kann also auch bisher nicht mit Kommentaren aufwarten. Ich würde mich aber trotzdem freuen, wenn ihr euer unbestechliches Auge auf die "Briefe" werfen würdet, die zum Teil völlig sinnfrei und aus dem Spaß heraus entstehen, in eine andere Identität zu schlüpfen.
Lieben Gruß und Dank
Annette

1.Brief

Sebastian! Verehrtester!

Wie überaus großzügig von Ihnen! Ein Buch über Düfte! Düfte! Düfte!
Sie hätten sehen sollen, wie andächtig meine Finger über den Einband glitten.
Über William Godwars meisterhaftem Gemälde, das den Einband zu etwas Besonderem macht, aber auch über das Neue, über das Glänzende, über das Vielversprechende.

Der Postillon läutete schon früh, dem Anlass angemessen (es war wieder der rothaarige mit dem Fuchsblick). Ich erkannte natürlich sofort Ihre Schrift auf dem Päckchen, erfreut aber auch verwundert.
Dieser Mensch, der immer so tut, als würden wir uns seit Ewigkeiten kennen, hielt mir also einen dicken Umschlag entgegen. Mit glasigem Blick und schwer atmend und machte auf dem Absatz kehrt, schwang sich auf sein Fahrrad und verschwand wie vom Teufel gehetzt um die nächste Ecke. Ohne mir auch nur einen lüsternden Fuchsblick zu gönnen!
Während ich das Päckchen in den Salon trug, ich habe mich sehr beeilt und bin fast gefallen, umwabberte mich eine Duftwolke, die ihresgleichen sucht! Alle Düfte des Orients strömten mir entgegen.
Das war eine liebe Idee, Sebastian! So originell! Ich vermute, sie sind großzügig mit Ihrem teuren Rasierwasser umgegangen. Oder hat sich Schmittskatz schlecht benommen und wollte mir wieder einmal verdeutlichen, dass er mich nicht mag? Verehrtester, Sie sollten ihm eine Gefährtin zur Seite stellen. Dann hört das endlich auf.
Aber, Sebastian, ich wähnte Sie auf Reisen! Weit fort von allem und auch von mir.
Ich antworte darum schnell, sofort! Damit mein Dank sie noch erreicht und Sie nicht über den halben Erball verfolgen muss! Ich habe das Frühstück deshalb heute bei Frau von Rübenstein-Gerstenkorn abgesagt.
Ihr von "unaufschiebaren Transaktionen" erzählt. Sie meint dann immer, es geht um Geld und heuchelt Verständnis. Unerträglich langweilig, diese Frau!

So, mein Freund, mein kurzer, aber von Herzen gemeinter Dank geht jetzt in die Welt. Möge er Sie noch erreichen! Ich mache mir, nein, zelebriere! jetzt eine Tasse Tee. Eine von dem guten, den Sie mir aus Ceylon
schickten. Sie erinnern sich? Die Blätter werden bei Vollmond von Jungfrauen geerntet.

Und was werde ich dann tun? Lesen, lesen, lesen!
Alle meine Guten Wünsche für Ihre gefährlichen Unternehmungen begleiten Sie- das wissen Sie ja!
Nehmen Sie sich in Acht vor dunklen Gestalten, übermäßigem Tabakgenuss und leichten Mädchen und bleiben Sie mir weiter so verbunden.
Ein keuscher Kuss in die Ferne
Ihre Freundin Lisett

2.Brief

Sebastian! Verehrtester!

Ich hoffe, dass dieser Brief Sie noch erreicht, bevor Sie wieder in fragwürdige Gefilde abtauchen.
Sebastian! Denken Sie an ihr Rheuma und an ihre Flatulenzneigung. Klimaveränderung und Nahrungsumstellungen sind nicht förderlich für derartige Leiden. Nein, ich werde es nicht wieder erwähnen.

Lieber Freund, ich brauche ihren Rat. Da gibt es eine Sache, dir mir seit Wochen schlaflose Nächte bereitet.
Genau wie damals, als ich erfuhr, dass sie von diesem menschenfressenden Stamm im Dschungel von Borneo gefangen gehalten wurden. Sie haben so ein großes Glück gehabt, dass die Tochter des Häuptlings unbedingt ein weißhäutiges Kind wollte! Sebastian, sie haben sich quasi mit ihrem Samen freigekauft! Das klappt aber nicht immer. Vergessen Sie das nie und seien Sie bloß vorsichtig! Es gruselt mich noch immer, wenn ich daran denke.

Mein Problem ist etwas anders gelagert und mehr optischer Natur. Ich will einfach keinen Fehler mehr machen. Fehler sind etwas für die ganz jungen Leute. Die lernen noch daraus.
Sebastian, sagen Sie es mir ganz offen heraus: Sollte ich wieder Hüte tragen? Nein, nicht den, mit den Rosen, der sie immer so inspiriert hat.
Ich entdeckte vor einiger Zeit ein paar Straßen weiter Veronicas Atelier. Sie ist eine bezaubernde Modistin, die Hüte kreiert, für die die Welt noch nicht reif ist, die mir aber sehr gut zu Gesicht stehen. Ich wollte, sie würden sie kennenlernen! Ihre Kunstwerke hätten hervorragend zu Ihren beiden Modekollektionen gepasst.
Tokio hat ihnen zu Füßen gelegen. Und Sie werfen ihr wunderbares Talent in den Kochtopf eines Kanibalen!

Ja, ich habe ihnen verziehen, dass ich die Modelle nicht vorführen durfte. Obwohl ich so viel kleiner als die Japanerinnen auch nicht bin! Sie waren damals sehr unsensibel mit ihrer Ablehnung. Ich habe Ihnen verziehen!
Ich schickte ja auch Schokolade. Ihre Bemerkung, dass Sie Nuss-Nougat nicht mögen und ich das wohl genau wüsste, war einfach überflüssig. Ich finde, der gute Wille zählt.

Wie sehen Sie denn nun die Sache mit den Hüten? Nehmen Sie sich Zeit, aber nicht so lang. Die Herbstmodelle sind schon in Arbeit.

Und Sie- hüten Sie sich vor allem was sie nicht kennen
und bleiben Sie behütet!
Einen keuschen Kuss in die Ferne
Ihre Freundin Lisett
 



 
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