Bruderliebe

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Isa

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Bruderliebe

Oft wird sie gefragt, warum sie so nachlässig mit ihrem Erscheinungsbild umgeht. Den Grund wegen ihres vernachlässigtem, verlottertem Aussehens kennt nur sie. Es scheidet ihr jedes Mal tief ins Herz, doch lässt sie dies niemanden erkennen. Sie bleibt mit ihrem Schmerz allein.
Als sie jünger war, hatte sie ihre Schönheit gezeigt. Sie war stolz darauf gewesen. Ebenso ihre Eltern und ihr älterer Bruder Jan. Doch er war zu stolz auf ihre Schönheit. Zu oft hatte er sie mit diesem lüsternen Blick gestreift. Zu oft war er ihr hinterher geschlichen, wenn sie ins Bad ging. Er hatte sie immer beobachtet, auch unter der Dusche und in der Badewanne.
Zu Beginn hatte es ihr gefallen, auch die bewundernden Blicke ihres Bruders, selbst wenn sie ihr manchmal aufdringlich vorgekommen waren. Sie hatte ihren Bruder Jan sehr gern gehabt. Mit der Zeit aber hatte sie gemerkt, dass etwas nicht richtig sein konnte. Die Weise, wie er sie beobachtete, dass er sie überhaupt beobachtete, seine Berührungen und ihre Gespräche, sie waren nicht normal. Und es begann ihr Angst zu machen. Ihre Eltern lächelten gutmütig, wenn sie davon erzählte. Es sei eben Bruderliebe und Jan sei nur um sie besorgt.
Eines Nachts passierte es dann. Er kam in ihr Zimmer. Es war Sommer und sie schlief in einem kurzen T-Shirt.
Seine Hände waren rau und grob, als er sie packte und ihr den Mund zuhielt. Sie hörte nur seine leise Stimme, die im Dunkeln flüsterte: „Meine Schwester!“
Sie wehrte sich, strampelte, kratzte, biss und schrie, soweit es ihr durch die sie festhaltenden Hände möglich war. Doch mit der Zeit, als ihr bewusst wurde, dass keine Hilfe kommen würde, gab sie auf und fügte sich ins Unvermeidliche. Sie verdrängte, die Hände auf ihrer nackten Haut, die in Gebiete vorstießen, in denen sie nichts zu suchen hatten. Sie war zu geschockt, als dass sie sich hätte wehren können. Er hatte immer nur einen Satz auf den Lippen: „Meine Schwester!“. Nach einem nicht kurzen aber starken Schmerz war es dann vorbei.
Nachdem er fertig war, rollte er sich zusammen und schlief ein. Sie saß zitternd neben der schlafenden Gestalt. Tränen liefen ihr über die Wangen und sie fühlte sich, als bestehe sie aus einem einzigen tiefen Schmerz, doch traute sie sich nicht, diesen laut zu äußern. Zu groß war der Schock, zu tief saß die Angst, zu gering war ihre Stärke.
Später, als der Morgen schon dämmerte, stand sie vorsichtig auf und ging in das Zimmer ihrer Eltern. Warum hatten sie ihr nicht geholfen?
Das Zimmer war nicht beleuchtet, aber Dämmerlicht schien durch die Fenster herein und sie erkannte, wie ihr Bruder verhindert hatte, dass ihre Eltern ihr halfen.
Das blutige Messer fand sie sorgfältig abgelegt auf dem Nachttisch ihrer Mutter. Hier endet ihre Erinnerung und setzt erst in einem Blitzlichtgewitter wieder ein. Vor Gericht schweigt sie. Es gibt nichts zu erzählen.
Ein letztes Mal kehrt sie in das Haus zurück. Sie geht durch alle Räume. Sie ist auf der Suche.
Das Feuer in ihrem Garten lodert hell. In ihm brennt ihre Schönheit. Sie will den Schmerz vergessen und einfach nur wieder leben können, ohne diese schreckliche Erinnerung. Ein letztes Photo segelt in die gierigen Flammen. Mit ihm sieht sie ein letztes Mal das Gesicht ihres Bruders. Er kann ihr nun nichts mehr antun, doch hat er ihr Leben und Hoffnung zerstört.
„Meine Schwester! Ich liebe dich!“
 
Hallo Isa,

zuerst einmal meinen Glückwunsch, dass du dich überhaupt an so ein heißes Thema gewagt hast; findet man nicht oft.
Du schreibst flüssig, die Handlung ist gut strukturiert.
Mir fällt jedoch auf, dass du Redewendungen verwendest wie "bedeutungsschwangeren Blick", "fügte sich ins Unvermeidliche", "heiße Tränen liefen ihr über die Wangen", "nicht enden wollenden Schmerz", "zu gering war ihre Stärke", "Ein letztes Foto segelt in die gierigen Flammen" usw.
Solche Redewendungen kenne ich aus Liebesromanen. In einer Geschichte wie dieser verwendet, kommt die Protagonistin in Verdacht, dass sie den Missbrauch in in ihrem tiefsten Innern geduldet, wenn nicht gar gut geheißen hat. Ich würde da viel klarer Stellung beziehen. Ein geiler Blick ist nun einmal ein geiler Blick - besonders, wenn er vom falschen Mann kommt!
Ansonsten sind mir noch ein paar Kleinigkeiten aufgefallen, die ich jeweils daneben geschrieben habe.
Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig helfen.

Grüße
Marlene



Bruderliebe

Oft wird sie gefragt, warum sie so hässlich sei. (Besser: warum sie sich so gehen lässt.) Es scheidet ihr jedes Mal tief ins Herz, doch lässt sie dies niemanden erkennen. Sie bleibt mit ihrem Schmerz allein. Den Grund wegen ihres vernachlässigtem, verlottertem Aussehens kennt nur sie. (Bei den letzten beiden Sätzen würde ich die Reihenfolge vertauschen.)
Als sie jünger war, hatte sie ihre Schönheit gezeigt. Sie war stolz darauf gewesen. Ebenso ihre Eltern und ihr älterer Bruder Jan. Doch er war zu stolz auf ihre Schönheit. Zu oft hatte er sie mit diesem bedeutungsschwangeren Blick gestreift. Zu oft war er ihr hinterher geschlichen, wenn sie ins Bad ging. Er hatte sie immer beobachtet, auch unter der Dusche und in der Badewanne.
Zu Beginn hatte es ihr gefallen. (Vorsicht! Hier unterstellst du der Prot., dass sie die Übergriffe provoziert.) Sie hatte ihren Bruder Jan sehr gern gehabt. Mit der Zeit aber hatte sie gemerkt, dass etwas nicht richtig sein konnte. Die Weise, wie er sie beobachtete, dass er sie überhaupt beobachtete, seine Berührungen und ihre Gespräche, sie waren nicht normal. Und es begann ihr Angst zu machen. Ihre Eltern lächelten, wenn sie davon erzählte. (Lächeln die Eltern verständnislos, wissend-billigend?) Es sei eben Bruderliebe und Jan sei nur um sie besorgt.
Eines Nachts passierte es dann. Er kam in ihr Zimmer. Es war Sommer und sie schlief in einem kurzen T-Shirt.
Seine Hände waren rau und grob, als er sie packte und ihr den Mund zuhielt. Sie hörte nur seine leise Stimme, die im Dunkeln flüsterte: "Meine Schwester!"
Sie wehrte sich, strampelte, kratzte, biss und schrie, soweit es ihr durch die sie festhaltenden Hände möglich war. Doch mit der Zeit, als ihr bewusst wurde, dass keine Hilfe kommen würde, gab sie auf und fügte sich ins Unvermeidliche. Sie verdrängte, die Hände auf ihrer nackten Haut, die in Gebiete vorstießen, in denen sie nichts zu suchen hatten. (Verdrängte die Frau, dass sie von den Händen des Bruders berührt wurde? Versuchte sie, die Hände des Bruders abzuwehren?) Er hatte immer nur einen Satz auf den Lippen: "Meine Schwester!". Nach einem nicht enden wollenden Schmerz war es dann vorbei.
Nachdem er fertig war, rollte er sich zusammen und schlief ein. Sie saß zitternd neben der schlafenden Gestalt. Heiße Tränen liefen ihr über die Wangen und sie fühlte sich, als bestehe sie aus einem einzigen glühenden Schmerz, doch traute sie sich nicht, diesen laut zu äußern. Zu groß war der Schock, zu tief saß die Angst, zu gering war ihre Stärke.
Später, als der Morgen schon dämmerte, stand sie vorsichtig auf und ging in das Zimmer ihrer Eltern. Warum hatten sie ihr nicht geholfen?
Das Zimmer war nicht beleuchtet, aber Dämmerlicht schien durch die Fenster herein und sie erkannte, wie ihr Bruder verhindert hatte, dass sich die Eltern einmischten. (Die Eltern kamen nicht zu Hilfe. Das ist etwas anderes als eine Einmischung.)
Das blutige Messer fand sie sorgfältig abgelegt auf dem Nachttisch ihrer Mutter. Hier endet ihre Erinnerung und setzt erst in einem Blitzlichtgewitter wieder ein. Vor Gericht schweigt sie. Es gibt nichts zu erzählen.
Ein letztes Mal kehrt sie in das Haus zurück. Sie geht durch alle Räume. Sie ist auf der Suche.
Das Feuer in ihrem Garten lodert hell. In ihm brennt ihre Schönheit. Sie will den Schmerz vergessen und einfach nur wieder leben können, ohne diese schreckliche Erinnerung. Ein letztes Photo segelt in die gierigen Flammen. Mit ihm sieht sie ein letztes Mal das Gesicht ihres Bruders. Er kann ihr (jetzt) nichts mehr antun, doch hatte er alles zerstör, was wertvoll gewesen war. (Er hat nicht alles zerstört, was wertvoll war - er hat ihre Seele kaputt gemacht.)
"Meine Schwester! Ich liebe dich!"
 



 
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