Bruderliebe

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Mondfrau

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Bruderliebe

„Siehst du nicht, dass ich weine? Du sollst mich allein lassen! Alles hast du kaputt gemacht! „Schluchzend drehte sich mein Bruder zur Seite, ließ die Füße an der Seite der Parkbank herunter. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, versuchte nur, ihn zu umarmen. Er stieß mich weg. Lange Zeit saßen wir im Nieselregen im Garten der Anstalt. Sein Schluchzen schwoll auf und ab, ich fühlte mich unbehaglich, achtete darauf, ob uns jemand hören konnte. Die Parkbank befand sich ziemlich weit vom Haus entfernt, am Ufer des Sees. Wir saßen unter Trauerweiden verborgen, trotzdem hob ich ab und zu die Zweige, um zu sehen, ob schon nach uns gesucht wurde. Durch den Regen hindurch war das Haus kaum noch auszumachen.

Plötzlich meinte ich, eine Bewegung an der Haupttür wahrzunehmen. Tatsächlich, die Tür öffnete sich langsam, müde, fast schwerfällig, kam eine kleine Gestalt die Freitreppe herunter. Unsicher bewegte sie sich durch den Park, den Kopf suchend nach links und rechts wendend. Ich verharrte reglos, wie erstarrt. „Was sollen wir ihm nur sagen?“ schoss es mir durch den Kopf. Ich blickte schuldbewusst auf meinen Bruder, dessen Weinen langsam abebbte. Er bemerkte meinen Blick, guckte unter langen Wimpern zu mir auf. Tränen hingen darin. Es rührte mich unbeschreiblich. „Günther, nimm es dir doch nicht so zu Herzen,“ stammelte ich hilflos. „Was weißt denn du schon,“ rief er laut. „Ich liebe sie schon so viele Jahre und du kommst einfach daher, schnappst sie dir, obwohl du weißt, dass ich sie liebe!“ Aufschluchzend warf er sich über die Lehne der Bank. Ich stützte meinen Kopf in die Hände und nun liefen auch mir die Tränen über das Gesicht. Ich fühlte, wie sie meine Handgelenke hinabrollten.

„Ach, hier seid ihr!“ sagte eine kleine, leise Stimme und da stand sie, knapp 1,50 m groß, die schweren, nassen Zweige der Trauerweide hoch über den Kopf erhoben. Was mussten wir für einen Anblick bieten. Zwei Männer im mittleren Alter, heulend vor Elend, klitschnass auf einer Parkbank im Garten des staatlichen Pflegeheims sitzend.

Mit großen, feuchten Augen schaute mein Bruder sie an. „Ich liebte dich ja nur, weil du so klein bist, nur ein paar Zentimeter größer als ich. Alle anderen Frauen sind so groß, unerreichbar für mich, aber du, du warst mir immer die Liebste von allen Pflegerinnen“, sagte er mit vorwurfsvollem Unterton zu ihr. „Ach Günther“, rief sie aus und versuchte ihn zu umarmen, er aber stieß sie ebenso von sich, wie zuvor mich. „Es wird Zeit, dass du die Wahrheit erfährst. Wir haben sie dir die ganzen Jahre verschwiegen, um dich zu schonen. Nun ist es passiert, du hast uns bei einem heimlichen Kuss überrascht.“

„Nein,“ schrie ich panisch dazwischen, „hast du dir das gut überlegt? Was ist, wenn er es nicht verkraftet?“ „Schluss jetzt,“ sagte sie mit erhobener Stimme, „es reicht! Der Schaden ist sowieso schon angerichtet, jetzt können wir auch ebenso gut die ganze Wahrheit sagen. Günther, ich weiß, das ist jetzt hart für dich, aber dein Bruder und ich sind seit 24 Jahren verheiratet. Wir haben zwei Kinder, 22 und 20 Jahre alt. Es sind die beiden Jungs, von denen du dachtest, es sind Zivildienstleistende. In Wirklichkeit sind es deine Neffen.“ Fast erschrocken hielt sie inne. Meine Frau und ich starrten wie das Kaninchen auf die Schlange. Mein Bruder runzelte die Stirn, man konnte bei ihm immer sehen, wenn er nachdachte. Es dauerte ca. fünf Minuten, dann stand er würdevoll auf und ging gemessenen Schrittes auf das Haupthaus zu. Ich sprang auf, um ihm nachzurennen. „Lass ihn“ sagte meine Frau und sie ist schließlich die Spezialistin, „ er braucht jetzt Zeit.“
 
K

Kultakivi

Gast
Hallo Mondfrau,

eine interessante Geschichte mit einer durchaus überraschenden Wendung. Etwas unklar ist mir allerdings die Auflösung geblieben. (verheiratet, Kinder etc.) Aber vielleicht hast du an dieser Stelle ja ganz gezielt die Phantasie des Lesers ansprechen wollen. Ansonsten gut zu lesen. Recht routin iert geschrieben.

Gruss

Kultakivi
 

Mondfrau

Mitglied
Hallo Kultakivi,

vielen Dank für deine netten Worte. Was genau ist dir unklar geblieben? Ich war eigentlich der Ansicht,ziemlich genau erklärt zu haben, wenn auch in verschiedenen Absätzen. Warte auf deine Anregungen.

Antje
 

Elora

Mitglied
Hi,
ich finde die Geschichte wirklich gelungen. Zu Anfang wirkt sie fast kitschig und am Ende diese etwas außergewöhnliche Wendung reißt das Ruder herum.
Das macht irgendwie den Reiz deiner Geschichte aus, ist aber auch gleichzeitig das Problem daran, ich schätze viele lassen sich abschrecken und lesen dann nicht weiter, dabei lohnt es sich absolut.

Glg, Elora.
 

Mondfrau

Mitglied
Hallo Flammarion,

vielen Dank für deine motivierenden Worte. Ich werde mich bemühen, mehr in diese Richtung zu schreiben.

Antje
 



 
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