Buch 1 Prolog

Lalani

Mitglied
Hallo zusammen!

Vermutlich ist mein Text hier nicht richtig, weil es kein Märchen oder Fantasie ist. Aber ich verstehe auch nicht, wo etwas hin soll. Vor allem suche ich verzweifelt ein Forum, wo sich Neulinge vorstellen oder gibt es das bei euch gar nicht?

Keine Ahnung! Jedenfalls hätte ich mich euch gern vorgestellt, bevor ich mein selbstgekritzeltes um die Ohren haue.

Da ich es nicht besser weiß, stelle ich jetzt hier meinen ersten Text ein.

Prolog


‚Was für ein weites Land’, so oder so ähnlich hätte dieser Mann seinen Helden in einem seiner abenteuerlichen Romane nun in theatralischen Gänsefüßen sicher denken lassen. Helden seines Schlages dachten eben in poetisch angehauchten Sätzen oder zumindest in Sätzen epischer Tragweite. Das war nun einmal ihre Pflicht, neben dem Retten von Jungfrauen oder notfalls jungen Frauen. Sie lernten eben nichts anderes als bedeutungsvolle Sätze über eintönige Landschaften zu formulieren, wenn sie nicht gerade Jennifer Biddlestoe vor dem nun wirklich nicht adäquaten Rupert Murphy retteten, natürlich nach dem Unterricht über ‚Wie erschlage ich lästige Lindwürmer mit einer freien Hand?’. Tja, so waren sie, diese Helden in den Romanen, die die jungen ‚Damen’, so gern beim zähen Schein der Gaslaternen förmlich verschlangen, um die langweilige Zeit zwischen Geburt und Heirat zu überbrücken, damit die nächste Generation begeisterter ‚Heldenleser’ nachspross. Mr. Rick Ashton, ein von vielen jungen Dingern in ehrfürchtiger Andacht gehauchter Name, konnte auf eine Reihe von drei verkaufsträchtigen ‚Werken’ zurückblicken, die ihm zu einem besonderen Ansehen in der belesenen Gesellschaft verholfen hatten. Drei schlagfertige Helden, die alle ein Stück von ihm selbst gefordert hatten, erdacht in einem dunklen Zimmer, bei Kerzenschein mit einer alten Gänsefeder auf das Pergament gekratzt. So sah er sich selbst gern und hatte jedem Helden seine spezifischen Eigenschaften mitgegeben. So sein blondes Haar, das bei jedem Licht zwar einen fetten Rotstich aufwies, was dem ‚Erdichter’ aber beim Notieren irgendwie entfallen war. Vermutlich hatte sich dieser Fakt in der gleichen Ecke verkrümelt wie die wilden Locken, die dem ‚Dichterfürsten’ von seinem Friseur bescheinigt wurden. Seine Helden hatten von ihm auch seine überragende Kraft ‚geerbt’. Muskeln, die es einem Mann ermöglichten über Stunden stilvoll ein Champagnerglas zu halten, oder man konnte auch sagen, Muskeln gleich einem kleinen Beutel mit... Weinträubchen. Zumindest war seine Figur athletisch. Sie erinnerte an eine Latte beim Stabhochsprung, dürr und gerade. Seine bleistiftdürren Beine hatten ihn in den letzten Stunden an diesen Platz getragen. Ihm war nach der Panne seines Automobils gar nichts anderes übrig geblieben, nachdem er eine Ewigkeit neben dem liegen gebliebenem Wagen auf einen Passanten auf der Straße gehofft hatte. Aber das war der Nachteil an menschenleeren Gegenden. Die Chance war recht klein, einem anderen Mann zu begegnen.
‚Leichtfüßig und geschwind trugen seine kraftvollen Füße Roger Dain...’, so würde es in seinem neuen Roman stehen, sobald er ihn in Angriff nehmen würde. Sein geldgieriger Verleger hatte darauf bestanden, dass er sich in die Einsamkeit des Nordens zurückzog, wo ihn weder Aperitifs noch Diner oder gar Tanztees von seiner Arbeit ablenken würden. ‚Die Welt verlangt nach deinem besonderen Genie’, war seine höfliche Formulierung des eigentliches Satzes gewesen ‚ Meine Druckpresse hat von deinem alten ‚Schinken’ die Nase gestrichen voll’. Und nun saß Mr. Rick Ashton auf einem seiner beiden Koffer auf einer verlassenen, ausgewaschenen Landstraße und sah die mit Gras bewachsene Anhöhe hinab. Dieses Land war tatsächlich weit, und es war hügelig, was die Strecke zusätzlich verlängerte, wie es sich der gebildete Mr. Ashton schnell dank seiner hervorragenden mathematischen Kenntnisse ausgerechnet hatte. Eine schlichte Mitteilung seiner schmerzenden Füße hatte allerdings den gleichen Effekt. Allmählich dämmerte ihm, warum Soldaten immer auf festes Schuhwerk bedacht waren, wobei ihnen die Farbe völlig Gleichgültig war. ‚Was soll ich jetzt tun?’, schoss es ihm durch seinen städtischen Sinn. ‚Roger Dain... wie auch immer, er hätte sicher sein tapferes Ross durch einen unglücklichen Umstand verloren und sofort wäre eine holde Maid zur Stelle gewesen, die ihm das von ihr von Hand aufgezogene, prächtige Streitross geliehen hätte’. An dieser Stelle sollte also eine freigiebige Jungfrau auftauchen. Hoffnungsvoll sah sich Rick Ashton um. Es gab grünes Gras um ihn herum und Hügel, noch mehr Gras, fettes grünes Gras und nochmals Hügel. Seewind strich von der Küste her über die Unendlichkeit der sich wiegenden Halme. Er peitschte eine dunkle Wolkenwand vor sich her, die von Regen sprach, kein leichter Sommerguss, sondern schwerem Regen, der Äcker innerhalb von Minuten unter Wasser setzte und einem die rosige Haut bis zu den Knochen durchnässte. Für Helden standen Jungfrauen, schützende Felsen oder Höhlen bereit, wenn sie sie brauchten. Ihm dagegen stand nicht einmal ein Regenschirm zur Verfügung, denn keiner seiner beiden Koffer enthielt so etwas. Einen Smoking, diverse weiße Anzüge ja, aber keine Wachsjacke oder einen anderen Regenschutz. Er sah sich schon aufgeweicht durch einen wütenden Sturm stapfen, da entdeckte er einen halboffenen Ponywagen, der munter den Anstieg zu ihm hinauf trottete. ‚ Helden sind niemals vom Glück verlassen’, so konnte der Titel lauten, ja... So war es ja auch! Hoffnungsvoll schritt Mr. Ashton dem Ponywagen ein Stück entgegen. Der spindeldürre Kutscher in dem ausgebeulten Tweedanzug und mit dem kantigen Gesicht sah ihn schmunzelnd an, während er das Pony anhielt.
“ Gehört Ihnen dieses Automobil, das fünf Meilen weiter steht?”. Der Fremde nickte.
“ Sir, mein Name ist Rick Ashton“, verkündete er huldvoll, was jedoch kein Wimpernzucken bei dem Kutscher hervorrief.“ Können Sie mir bitte sagen, ob es irgendwo eine Unterkunft für die Nacht gibt?”. Der Fahrer betrachtete ihn skeptisch von Kopf bis zu den Füßen, wodurch Mr. Ashtons aufgeblähte ‚Größe’ zu schrumpfen begann. Der Ponykutscher war keine ergebene Maid, sondern jemand mit einem Beförderungsmittel unter dem Hintern und Mr. Ashton jemand, der einen langen Weg zu Fuß vor sich hatte, wenn seine Stimme auch nur einmal einen falschen Ton traf.
“ Sie kommen wohl nicht aus dieser Gegend, nicht wahr?”.
“ Nein, ich komme aus dem Süden, aus England zu einem Besuch herüber”. Rick Ashton stand das Englische fett wie Hammelfleisch ins Gesicht geschrieben.
“ Engländer? Ich mag keine Engländer. Niemand mag sie hier!”. Schmerzende Füße, Nässe, Blitze und nicht mal einen Krümel Brot, so profane Gedanken schossen dem Heldenautor durch den Sinn, als er die Wortes dieses Mannes vernahm.
„ Ich würde Sie gern großzügig für eine Mitfahrgelegenheit entlohnen!“. Geld war zwar die Waffe eines Schreiberlings, aber eine zuweilen recht nützliche. Doch der Mann spuckte wie beiläufig auf den Boden, direkt neben Mr. Ashtons Füße. Es entstand eine Pause, lang wie Tag in einer Todeszelle, in der Geld rasant an Bedeutung verlor.
„ Steig ein, Engländer“.
“ Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Sir”. Rick lud eiligst seine Koffer in den Wagen.
“ Eigentlich mag ich keine Engländer. Aber da oben braut sich ganz schön was zusammen“. Der Fahrer wies den Hügel hinauf, wo sich inzwischen graublaue Wolkenwände zusammen schoben.
“ Meinen Sie, Sir, dass ich eventuell einen Mechaniker für mein Automobil finden könnte?”.
“ Sicher, der Schmied kann das auch”. Der Mann schnalzte laut, damit das Pony sich in die Sielen warf. “ Kommen sicher wieder aus der Mode, diese stinkenden Kästen. Bin mehr für Ponys, halten länger. Sehen Sie doch!”.

Der Regen ließ nicht lange auf sich warten. Es krachte mehrmals in der Nähe, worauf das Pony scheute. Blitze zuckten am Himmel und die ersten schweren Regentropfen prasselten auf den Boden, auf das Lederverdeck und auf die Kruppe des kleinen Pferdes.
Abermals donnerte es. Ein Blitz stand genau über der nächsten Kuppe.
“ Verdammt, dieses Unwetter ist schlecht. Es steht genau über der Ruine”.
“ Da oben gibt es eine Ruine?“. Mr. Ashton schaute neugierig den Hügel hinauf.
„ Ja, gibt es“. Der Kutscher warf einen kurzen Blick auf den schmalen Küstenstreifen hinauf. Mr. Ashton verdrehte seinen Hals, um einen längeren Blick auf die Reste der Festung werfen zu können.
„ Oh, so etwas interessiert mich sehr, Sir. Ich schreibe nämlich Geschichten, über die alten Zeit und ihre ... tapferen Helden“. Der Kutscher sah ihn irritiert an.
„ Wozu? Was hat es für einen Sinn von der Vergangenheit zu schreiben? Sie lässt sich nicht mehr ändern“. Sein Ton klang nach dem Leiter einer Irrenanstalt, der ganz langsam und in einfachen Sätzen mit einem Insassen spricht.
„ Aber Sir, Sie mögen doch sicher auch Geschichten über Männer, die besondere Taten vollbracht haben, nicht wahr? Männer, deren Leben uns allen zum Vorbild gereichen sollte, die tapfer kämpfen, für Gerechtigkeit und ... Edelmut stehen“.
„ Weiß nichts über solche Männer“.
„ Aber die Ruine... Sehen Sie doch mal ihre Ausmaße an! Dort war sicher mal eine große Festung und ... so“. Der Kutscher zuckte mit den Achseln.
„ Besser, Sir, Sie sehen dort nicht allzu genau hin. Sonst bekommen Sie noch mehr zu sehen, als Ihnen lieb ist“. Rick Ashton lächelte wie jemand, der sein Gegenüber nicht wirklich verstanden hatte. Ein Blitz zuckte, Donner grollte und ein weiterer schlug offenbar in die Ruine ein, als wolle er ihre Existenz ein für alle Mal vernichten. Das Dämmerlicht flackerte unwirklich und das Grollen des Donners vermischte mit sich mit röhrendem Wind zu einem wahren Kampfschrei. Vielleicht stieß der riesige Schimmelhengst ihn als eine Art Wiehern aus, der plötzlich auf der Spitze der Ruine erschienen war. Doch womöglich hatte ihn der Reiter dieses Rosses ausgestoßen, der sein Schwert herausriss und es gen Himmel streckte. Ein weiterer Blitz zuckte und schien direkt in die Schwertspitze zu schlagen, was Ross und Reiter hätte töten müssen. Doch der prächtige Hengst bäumte sich auf und jagte mit seinem in einen dunklen Umhang gehüllten Reiter ins Tal hinab. Das Pony erschrak und brach zur Seite aus, worauf der Kutscher es mühsam beruhigen konnte.
„ Verdammt, ist das ein Kreuz mit der Ruine“. Der Fahrer trieb das verängstigte Tier an, damit es so schnell wie möglich diesen unheimlichen Ort hinter sich ließ.
“ Unglaublich... Haben Sie das gesehen, Sir? Das ist genau das, was ich für mein neues Buch brauche, Sir. Ich habe solange nach einem neuen Stoff gesucht und hier oben, während eines Gewitters, finde ich ihn. Das Buch wird einschlagen wie ein Blitz“. Der Kutscher sah ihn schweigend an. „ Das ist der Stoff, aus dem Helden gemacht sind, aus Donner und Blitz und ... so. Ja, warten Sie mal, ich ... ja, ich schreibe über einen Ritter, einen starken Ritter und seiner unglücklichen Liebe zu einer ... Lady. Sie ist einem anderen versprochen, einem König oder so und... er kämpft um sie und sie werden glücklich und... Ja, ein unbesiegbarer Ritter auf einer einsamen Burg. Das macht sich immer gut, finden Sie nicht!“. Der Kutscher schwieg, selbst als Mr. Ashton eilig einen kleinen Notizblock aus seiner Jacke zerrte und flüchtig einige Worte kritzelten. „ Ich will nur eben schnell notieren, was ich gesehen habe. Was haben Sie denn gesehen, Sir?“.
“ Nichts!“.
“ Da eben auf dem Hügel, da waren sie doch zu sehen. Ein Reiter auf einem großen, weißen Pferd”. Rick Ashton wies aufgeregt auf die Ruine. „ Da unten läuft es doch im Tal“. Sein Finger wanderte in die andere Richtung und seine Augen suchten einen großen, weißen Schatten. Doch im ganzen Tal gab es nichts weißes, nichts dunkles, nur grün und nochmals grün. „ Wo ist das Pferd so schnell hin?“. Er sah sich verwirrt um. „ Es ist doch eben den Hügel hinunter galoppiert und nun müsste es... So schnell ist kein Pferd auf dieser Welt! Ich kenne mich sehr wohl mit Pferden aus, immerhin wette ich gern auf sie und...“. Der Kutscher schwieg beharrlich. Mr. Ashton überlegte einen Moment.
„ Glauben Sie, Sir, dass es ein Geist war?“.
“ Glaub’ gar nichts. Hab’ nichts gesehen, nicht jetzt, nicht früher und auch nicht in Zukunft. Bei der Ruine gibt’s nichts zu sehen, das sollten Sie sich merken, Sir Engländer“.
“ Warum nicht? Ich meine, wenn es eine Geistergeschichte bei der Ruine gibt, dann ist sie doch ein Teil ihres Erbes, ihres historischen Erbes, das man in Ehren halten sollte, solange es ritterliche ‚Erscheinungen’ sind. Sofern es sich um verehrungswürdige Vorfahren handelt ... und so“.
„ So? Meinen Sie das? Ich meine, der Pfarrer will nicht, dass es auf dem Hügel was zu sehen gibt. Darum gibt es dort nichts zu sehen, Sir“.
„ Warum nicht? Eine alte Ruine und... selbst wenn es dort einen Geist geben sollte. So etwas mögen die Leute doch, nicht wahr? Es ist romantisch und ...“.
„ Wir mögen es nicht, weil es Teufelswerk und Sünde ist. Sagt jedenfalls der Pfarrer und der muss das wissen, denn der hat auf den Teufel studiert“.
“ Kennt denn jemand die Geschichte zu der Ruine und dem Reiter? Ich könnte sie vielleicht für meinen neuen Roman verwenden, wenn sie gut ist“.
„ Niemand weiß was“.
„ Wegen des Pfarrers? Es muss jemand wissen, was es mit der Ruine auf sich hat“.
„ Nein, ist schon zulange kaputt. Dafür interessiert sich auch keiner mehr, war wohl schon im Mittelalter kaputt. Jemand meinte, sie sei wohl durch die Normannen zerstört worden. Zu Großvaters Zeiten gruben hier einige Männer, die sich Historiker nannten. Aber es gibt kaum etwas zu erfahren“.
„ Archäologen seiner Majestät waren hier?“.
“ Na ja, da haben mal einige Verrückte gegraben. Aber nach der ersten Vollmondnacht sag­ten sie, es gäbe dort nichts Wichtiges zu entdecken”. Der Kutscher grinste verdächtig.
“ Ist der Reiter auf dem Schimmel denn gefährlich?”.
“ Zieht manchmal sein Schwert. Hab’ aber nie gehört, dass er wen verletzt hat oder so etwas. Einmal ist ein Betrunkener vor Schreck in den Abgrund gestürzt. Die Klippe ist steil. Sonst war nichts. Reitet bei Vollmond und immer, wenn’s gewittert“.
„ Sehr merkwürdig“. Mr. Ashton zog sich ein wenig zurück, um seine Gedanken zu ordnen, die in romantischen Epen davon zu treiben drohten.

Es war eine unheimliche Fahrt im Dunkel der Nacht. Die holprige Straße ließ sich nur erahnen, was selbst einem tapferen Mann eine Gänsehaut verschaffte. Irgendwo knarrte die Stimme einer Krähe unheilvoll. Endlich sahen sie in der Ferne kleine Lichter, die ein Dorf in der Nähe vermuten ließ und das Pony legte sich von selber ins Zeug. Der Donner grollte immer öfter und heftiger, wenn ein Blitz den Himmel erneut in zwei Teile riss. Das Pub lag gleich am Eingang des kleinen Dorfes. Es sah bei Tageslicht richtig verträumt aus. In den grellen Lichtblitzen bekam es allerdings einen schaurigen Anflug, als habe sich hier der Teufel sein eigenes Reich erschaffen. Dabei bestand das ganze Dort nur aus einigen Cottages, zwei, drei Läden und dem Pub. Der Regen prasselte immer heftiger und tropfte inzwischen durch das Lederverdeck, doch jetzt machte es nichts mehr. Nach einigen Minuten hielt der Wagen unter dem Schild mit dem schwarzen Lamm, dem das Pub seinen Namen verdankte. Es war ein altes Pub mit schiefem Fach­werk, so schräg, dass es nur einem blinden Architekten nicht Angst und Bange wurde. Der Wind schüttelte die Äste der hoch aufgeschossenen Birken und strich über die knorrigen, kopfschweren Weiden. Die beiden Männer kletterten vom Kutschbock und beeilten sich, ins Haus zu kommen.

“N’Abend zusammen”, grüßte der dünne Viehhändler die Anwesenden und ging eilig zur Theke durch, wo der Wirt ein Pintglas aufwändig polierte. Sein mürrischer Blick verhieß allen Fremden nichts Gutes. Nur die Dorfbewohner wussten natürlich, dass dieser finstere Blick nichts zu bedeuten hatte, obgleich er den Eindruck erweckte, dem Wirt sei sein ganzes Bierlager sauer geworden. Jedenfalls blieb Rick Ashton mit hochgeschlossenem Kragen zunächst in der Tür stehen und schüttelte sich, als würde er davon trockener. Dabei spürte er die misstrauischen Blicke der anderen Gäste. Sie sa­hen ihn zwar nicht offen an, beobachtete ihn aber genau. Niemand hier mochte Fremde und schon gar keine Engländer. Er wusste es und auch, warum ihre Gespräche an den Tischen verstummten. Sie hielten sich nur noch an ihren Biergläsern fest. Nervös sah er sich um. Es war ein schäbiges, altes Pub, dessen Theke durch die Bierglasränder und etliche abgestandene Lachen wie auch durch die Brandflecke stumpf geworden war. Tische und Stühle wackelten, wenn sie nicht durch Spanholz halbwegs standfest gemacht waren. Das Gaslicht wirkte hier beinahe modern. Rauch von billigem Tabak hatte die Wände vergilbt, der genauso in der Luft hing wie der Geruch von schalem Ale. In der Ecke stand ein einziger freier Tisch mit einer hohen Bank, welche die Sicht auf die Dartscheibe versperr­te, dem einzigen Vergnügen nach Feierabend der Männer im Dorf. Der Viehhändler stemmte seinen Ellenbogen auf die Theke, während sich der Fremde an den freien Tisch zurückzog.
“ N’Abend, Tom. Ist es möglich, heute Nacht ein Zimmer bei dir zu bekommen?”.
“ Was ist, Mulligan? Bist du bei deiner Alten raus geflogen?”.
“ Nein, es ist für den Engländer dort in der Ecke”. Der Wirt warf Rick Ashton einen skeptischen Blick zu, der dem Wirt freundlich zu winkte.
“ Es gibt zwei Dinge, die ich nicht im Hause haben will, Fremde und eine schwarze Katze. Beide bringen Unglück, vor allem, wenn sie in einer solchen Nacht auftauchen”.
“ Ist ein harmloser Bursche, aus’m Süden, auch wenn er nur so’n Federfuchser ist”.
“ Was für einen Kerl schleppst du mir da ins Haus, Mulligan? Hör’ mal, ich will mit der Ruine und all dem nichts zu tun haben. Du machst mir Spaß! Ich soll einen aufnehmen, damit der Pfarrer noch wütend auf mich wird?“.
“ Tom, der schreibt so komische Bücher, romantisch und so, nich’ für’e Zeitung. Sein ‚Stinkerkasten’ liegt im Moor und röchelt nich’ mehr“. Beiden Männern spielte ein ‚Na, so ein Pech’-Grinsen um die Mundwinkel. „Wenn der Schmied sich drum kümmert, ist er morgen Abend wieder weg”. Erneut warf der Wirt einen kritischen Blick in die Richtung der Eckbank. Der Mann roch nach etlichen Pfund Sterling, deren ‚süßer’ Duft die geldfeine Nase eines Wirtes niemals täuschen konnte. Wie konnte der Kerl sonst einen so merkwürdigen Beruf haben? Geschäft blieb Geschäft. Mulligan ging an Ashtons Tisch und teilte ihm mit, dass er hier übernachten könne. Er wollte auch dem Schmied wegen des Wagens Bescheid sagen. Ashton bedankte sich ebenso herzlich wie monetär bei ihm und lud ihn auf ein Bier ein. Anschließend brachte der Wirt zufällig den teuersten Punkt auf einer nicht vorhandenen Speisekarte und griff tief in seinen überteuerten, gerade in diesem Moment eröffneten Bierkeller. Mr. Ashton zeigte sich über diese aufmerksame Geste sehr erfreut und nahm sie als herzliches Willkommen der Dorfeingeborenen. Während er angemessen speiste, beobachtete Rick Ashton unabsichtlich die anderen Gäste. Die meisten von ihnen waren sicher Farmer, trugen wie der Viehhändler ausgebeulten Tweed mit Lederflicken an den Ärmeln und die ob­ligatorische Schirmmütze, die sie nur bei der einen oder anderen Gelegenheit abnahmen, jedenfalls nicht in der Kneipe. Es waren hart arbeitende Leute, für die der wöchentliche Kirchgang bereits ein Ereignis war. Und sie waren fromm, zu fromm, um wirklich an einen Geist in der alten Ruine zu glauben. Ashton fragte sich erneut, was wohl hinter dieser Erscheinung stecken mochte, und nahm sich seinen Notizblock aus seiner Tasche, um einen ersten Rohentwurf für seine Geschichte zu notieren. Rechts war Platz für einen strahlenden Helden und links für einen verfluchten Bösen, oder so... Er achtete eine ganze Wei­le nicht mehr auf die Leute und alles, was um ihn herum geschah. Ihre Gespräche wurden leiser und schwächer, bis alles nicht einmal mehr ein Gesäusel war.

Als Ashton kurz hochsah, saß ihm gegenüber plötzlich ein Mann. Keine Schritte, kein ’Darf ich bitte Platz nehmen?’. Er war einfach nur da. Rick Ashton war derart überrascht, dass er sein Gegenüber anstarrte, egal wie unhöflich es sein mochte. Der Unbekannte war mit niemand zu vergleichen, den Mr. Ashton in seinem kurzen Leben, nicht einmal in seiner weitschweifigen Dichterfantasie, je gesehen hatte. Er war alt, aber sicher erst seit gestern, denn er strahlte eine Vitalität aus, die selbst einem zwanzigjährigen Spitzensportler schwer fiel. Und doch trug er irgendwo auf seiner Schulter die Last von Hunderten von Jahren oder waren es Jahrtausende? Warum war er alt? Weil sein Haupthaar und sein Bart hellgrau bis weiß waren? Langes, kräftiges Haar, im Nacken zusammengebunden, aber nicht so kokett wie es mal bei den Franzosen die Mode gewesen war. Dieses Haar war zu drahtig für Scheren und beugte sich keinem Kamm. Zu solchem Haar passte nur ein kantiges Gesicht, durch die Sommersonne und den Salz im Nordwind faltig und ledrig geworden. Doch wen interessierte das Gesicht dieses Mannes, wenn man für den Bruchteil einer Sekunde in seine Augen blickte? Ein prüfender Blick erstarb in ungeahnter Kälte. Waren sie stahlgrau oder hellblau wie Gletschereis? Sie erfroren einem die Sinne, die Fragen und alle Antworten, die sich vielleicht auf die Zunge getraut hätten. Sein starrer Blick musterte Rick Ashton verächtlich, kaltschnäuzig, durchdringend, lässig, skeptisch, rechthaberisch und derart feindselig, dass ihm ganz gruselig zumute wurde. Am liebsten hätte er sich wie eine Maus in das kleinste Loch im Boden verzogen. Aber dieser Blick hatte ihn auch erstarren lassen, ihn, sein Denken und alles Leben in seinen Adern. Allein sein Herz konnte er bis zum Hals hinauf pochen hören. Mit etwas Glück würde Mister Ashton jetzt ohnmächtig werden und der Spuk war vorbei, wenn er erwachte. Doch stattdessen begannen allmählich seine Sinne wieder zu funktionieren, als er sich mehr auf die Statur des Mannes konzentrierte, der ein Riese sein musste. Wohl sechs Fuß, sechs Inch schätzte der Engländer vorsichtig. Dazu hatte dieser Mann enorm brei­te Schultern und Hände wie Pranken, allenfalls praktisch für einen Schiffszimmermann.
“ Seid Ihr der Schmied, Sir?”, fragte Ashton um irgendetwas zu sagen, damit diese unerträgliche Stille starb. “ Wollt Ihr mich wegen des Automobils sprechen?”. Ashton hätte nicht einmal mit Brechstange seinen Blick von dem Alten abwenden können. Allerdings hatte er sich selbst Sprechen gehört und empfand das als kleinen Schritt in die richtige Richtung.
Der Alte antwortete jedoch nicht, setzte nur seinen archaisch anmutenden Becher an die Lippen und kippte den In­halt weg, als sei es nichts. Solch ein Prunkstück gehörte sicher in keine vergilbte Kneipe, allenfalls in ein Museum in eine Vitrine, wohlbehütet vor profaner Benutzung, die einem Sakrileg gleich kam. Und gerade, als Ashton seine Lippen bewegen wollte, um danach zu fragen, traf ihn der abschätzige Blick des Alten mitten ins Mark.
“ Sehe ich für dich wie ein Schmied aus?”. Der Alte herrschte ihn unvermittelt an und hämmerte den Becher auf die Tischplatte. Welch unbändige Kraft steckte in diesem Alten?
“ Was kann ich dann für Euch tun, Sir?”.
“ Nichts! Ich habe dich um nichts gebeten”. Seine Stimme klang zu rüde, um nur den Hauch von Respekt anzudeuten. Nein, das Wort Respekt stand bei diesem Mann sicher in keinem Wörterbuch und falls doch, fehlte sicher eine Erklärung.
“ Tut mir leid, ich wollte Euch nicht beleidigen”. Aber dann kam ihm eine unwiderstehliche Idee, der eine erneute Frage wert war.“ Lebt Ihr schon lange in dieser Gegend?”. Erstaunlicherweise konnte man diesen Mann überraschen, was Rick Ashton jedoch nicht von einer derart simplen Frage erwartet hatte. Sie taugte kaum, um eine halbwegs zivilisierte Konversation zu beginnen. Plötzlich kam Mr. Ashton sich albern vor und der Alte machte sich auch nicht Mühe, diesen Eindruck zu unterbinden. Er grinste despektierlich und erwiderte: „ Ich bin schon eine Ewigkeit hier“. Rick Ashton schluckte und kaute auf seiner Neugierde herum, bis sie ihm mehr zufällig von der Zunge fiel:“ Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, Sir, aber... ich...Als ich herkam, da sah ich eine Erscheinung bei der alten Ruine“. Der Alte schwieg, aber im Gegensatz zum Viehhändler war es wohl ein aufforderndes Schweigen. „ Es geht um einen mysteriösen Reiter auf einem riesigen Schimmel. Ich würde gern mehr über ihn und seine Geschichte erfahren“.
„ Warum?“. Die Frage klang eher wie ein Befehl zum Angriff.
„ Na ja, Sir, ich schreibe Geschichten, Romane, so zu sagen. Und ich... na ja, ich will mich ja nicht selber loben, aber ich bin ein recht bekannter Schriftsteller und gerade auf der Suche nach einem interessanten Stoff für mein nächstes Werk“. Wieder schwieg der Alte, worauf sofort Rick Ashton fortfuhr, um die peinliche Stille zu füllen. „ Seht Sir, vielleicht verbirgt sich ja eine interessante Geschichte hinter dieser Erscheinung an der Ruine. Es gibt Geschichten, die wollen unbedingt erzählt werden und ich bin der Mann dafür. Versteht Ihr?“.
„ Was für Geschichten meinst du denn erzählen zu können?“. Diesmal lag viel Spott in seiner Stimme.
„ Ich schreibe sehr spannende Romane über Männer, die gefährliche Abenteuer erleben. Meine Werke sind überall bekannt und werden geschätzt“. Der Alte lachte jetzt, nicht fröhlich, sondern beleidigend. Er lachte ihn, den von so vielen leidenschaftlichen Leserinnen bewunderten Autoren, schallend aus. Dann hielt er abrupt inne.
„ Wie kannst du von etwas erzählen, dass du nie gekostet hast?“. Es erklang eine noch tiefere Stimme, als er sie schon zuvor. Diesmal hallte sie, als ertöne sie nicht in einer kleinen Dorfkneipe, sondern in den weiten Hallen einer Festung.“ Schreibst von Ruhm und Tapferkeit? Du weißt nicht, was das ist, denn du hast nie wahren Ruhm erlebt oder sahst du die Blicke der Frauen, wenn du mit reicher Beute, lebend und in einem Stück, heimkehrtest? Dich kennt jemand? Das ist bei allen Straßenkötern der Fall, doch sie rühmen sich dessen nicht. Tapferkeit? Hast du dir wenigstens einmal in deinem Leben vor Angst die eigenen Beine bepinkelt? Dann weißt du auch nicht, was heißt, tapfer sein zu müssen. In meinen Augen bist du nur ein nichts ahnender Federlutscher“.
„ Sir, ich besitze die Gabe der Fantasie! Die Kraft meiner Gedanken lässt mich alles erleben, was...“.
„ Macht dich Essen satt, dass du dir vorstellst?“.
„ Nein, bei Essen funktioniert es nicht. Aber bei Menschen, ich meine, ich erschaffe eine Figur, gebe ihr Leben, lasse sie lieben und kämpfe mit ihr gegen ihre Feinde“.
„ Und dabei spritzt dir das Blut deiner Feinde ins Gesicht, wenn du in Gedanken auf sie einschlägst? Fantasie? Du lebst ihre Träume und suhlst dich im Licht ihrer Siege, die du aufs Papier kritzelst. Das ist das Erbärmlichste, was ich jemals gehört habe“. Der Alte wandte sich ab und schien gehen zu wollen.
„ Aber dadurch erinnern sich die Menschen“. Mr. Ashtons letzte Waffe schien weniger stumpf zu sein als die anderen zuvor. „ Seht mal, König Arthur war ein großer König, der vergessen schlummern würde, hätte nicht ein eifriger Mönch vor Jahrhunderten seine Geschichte notiert. Wir wüssten nicht von Siegfried und den Nibelungen und von vielen anderen Helden, die es verdienen, dass wir ihrer Gedenken“. Der Alte hielt einen Moment inne und wandte sich Mr. Ashton halb zu. „ Hat der mysteriöse Reiter eine Geschichte, die es des Erinnerns wert wäre?“.
„ Jeder erinnert sich an das, was wirklich groß war“.
„ Warum seid Ihr dann der einzige, der mir davon erzählen könnte? Von diesen Männern hier im Raum weiß niemand etwas über die Ruine und ihren Reiter. Sie sehen ihn, haben aber offenbar vergessen, warum er keine Ruhe findet“.
„ Vergessen? Wie können sie es wagen zu vergessen? Dieses Land gäbe es nicht einmal mehr, wenn nicht... Es wäre ins ewige Dunkel gefallen und das Leben hätte verloren“. Mr. Ashtons Augen leuchteten begeistert auf.
„ Dann ist der mysteriöse Reiter also ein großer Held gewesen?“. Der Alte hob den Kopf, wobei er Augenbrauen zusammenkniff.
„ Nein, er ist nicht weiter von Bedeutung“.
„ Aber warum reitet er dann?“.
„ Er ist eine Art Wächter gegen das Vergessen, weil er nicht will, dass vergessen wird, was... Die Erinnerung muss gewahrt bleiben, sonst siegt das Böse doch noch“.
„ Erzählt mir doch in groben Zügen, was ihr wisst und ich mache daraus eine Geschichte, wie die Welt sie noch nicht gelesen hat“. Mr. Ashtons Mine glich der eines Autohändlers, der gerade ein Opfer für die größte Rostlaube des ganzen Ladens erspäht hatte.
„ Ich soll dir helfen, eine Geschichte zu erfinden? Du, der du nicht weißt, wie man ein Schwert richtig hält, willst über Männer schreiben, deren Leben vom Kampf bestimmt war?“.
„ Das habe ich schon mit mehrmals mit großem Erfolg...“.
„ ... Aber deine Geschichten waren niemals wahr, oder?“.
„ Nein, ich benutze allerdings gern eine Geschichte, von der ich höre und dann schmücke ich sie aus, so dass sie den Leuten gefällt“. Der Blick des Alten drang in Mr. Ashton ein, kletterte hinter seine Augäpfel in die Stirn und machte sich dort breit. Was immer die Augen gesehen hatten, es verschwamm nun und dann öffnete sich ein anderes Bild.
 



 
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