Cafe au lait

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Dancingdet

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Ich erwachte aus einem schweren Traum. Mein Schlafanzug war nass vor Schweiß und mein Atem ging schwer. Ich tastete zur anderen Seite, um nachzusehen ob meine Evi noch neben mir lag. Ihre Seite war leer, aber noch warm. Sie rumorte in der Küche herum. Ich ließ mich noch einmal zurückfallen und versuchte, mich zu beruhigen.
Nach fast 10 Jahren Knast endlich wieder zu Hause. Wir schlossen uns in die Arme und liebten uns mit der Leidenschaft von Teenagern. Evi hatte all die Jahre auf mich gewartet und war irgendwie über die Runden gekommen. Für mich war die Freiheit zunächst so etwas wie das Paradies. Aber für jemanden wie mich, der den Apfel vom Baum der Erkenntnis gestohlen hatte, kam schnell die Vertreibung in Form von Ablehnung durch unsere Gesellschaft. Wer gibt schon einem 62-jährigen Ex-Knacki einen Job ? Evi versuchte, uns über Wasser zu halten. Früher konnte sie noch die eine oder andere Mark auf dem Hausfrauenstrich machen, aber mit über fünfzig ist selbst das vorbei. Während ich regelmäßig um die Stütze betteln musste, ging sie bei einem pensionierten Oberstudienrat putzen und bügeln. Sie brachte häufiger den einen oder anderen extra Fünfziger mit nach Hause. Wahrscheinlich bügelte er sie auch ab und zu. Es gefiel mir zwar nicht sonderlich, aber wir konnten alles gebrauchen, was wir kriegen konnten.
Ich fragte beim örtlichen Schlüsseldienst, ob sie nicht einen Spezialisten für jede Art von Schlösser gebrauchen könnten, denn schließlich kannte ich mich, insbesondere in der Kunst Safes zu öffnen, sehr gut aus. Aber wie bereits vorher, stolperte man über meine Vergangenheit.
Schließlich begann ich, am Bahnhof Zeitschriften zu verkaufen. Kein einträglicher Job, wie sich herausstellte.
Ich lief durch die Gegend mit meinem abgewetzten Anzug, sprach Leute an und lernte alles kennen zwischen Ignoranz und freundlicher Anteilnahme.
Vor fünf Tagen wurde ich dann von einem Mann angesprochen. Eigentlich war es kein Mann sondern mehr ein Herr, denn er war außergewöhnlich gut gekleidet – wahrscheinlich Gucci oder Armani – und sprach in einer sehr überzeugenden Art mit mir. Er nahm mich beiseite in diesem Strudel aus rennenden und eilenden Menschen, in dieser Geruchswolke aus Kaffee und Brötchen, aus Rasierwasser, Parfum und Schweiß. Überraschend war, dass er meinen Namen kannte ! „Herr Wieland, ich müsste Sie mal kurz sprechen,“ sagte er und bugsierte mich in Richtung der Schließfächer zu einem Stehtisch der Bäckerei.
„Kaffee ?“ fragte er. Ich nickte:“ Mit Milch, bitte.“ Er kehrte mit zwei Bechern dampfenden Kaffees wieder und sah sich zwischendurch immer um. „Herr Wieland, warum ich Sie anspreche.....“ er zögerte. „Ich bin über ihre Vergangenheit informiert und möchte mit Ihnen über Ihre Zukunft sprechen.“ „Über meine Zukunft ?“ „Wir wissen, dass es Ihnen finanziell zur Zeit nicht besonders gut geht und möchten Ihnen daher einen Job anbieten.“ Alle Alarmglocken in mir begannen zu schrillen. „Glauben Sie mir, die Sache ist todsicher und es wird niemand zu Schaden kommen. Sie arbeiten allein, niemand, der wie damals eine Waffe bei sich trägt und auf Leute schießt.“ Ich schaute ihn an, aber er ließ sich durch meinen Blick nicht verunsichern. „Sie müssten für uns einen Safe öffnen und ein paar Papiere für uns mitbringen. Es soll nicht Ihr Schaden sein. Wir zahlen 25.000,- sofort und 75.000,- bei Lieferung....“ Er hätte gar nicht weiter reden müssen. Schon die Anzahlung hätte gereicht. Endlich konnte ich Evi entlasten und ihr einen großen Wunsch erfüllen. Am Morgen nach meiner Entlassung brüte sie den Kaffee auf und eröffnete mir, dass es kaum etwas Besseres gebe, als eine Tassimo-Kaffeemaschine. Ihr Oberstudienrat habe so eine und der Kaffee schmecke göttlich.
O.k. Ein letzter Bruch. Der Mann, ich sollte ihn Müller nennen, griff in die Tasche und zog einen dicken Stapel Geldbündel aus der Tasche. Ich ließ ihn ungezählt verschwinden und sagte: „Wo, wann, was ?“ Er stellte seine Aktentasche auf den Stehtisch und öffnete sie. „Hier ist ein Plan des Gebäudes. Über die Alarmanlage brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen, die ist am Freitag Abend ausgeschaltet. Sie müssen lediglich unbemerkt hineingelangen und an den Wachen vorbeikommen. Hier ist der Streifenplan für Freitag. Der Safe ist ein 'Lloyd 1509'; kennen Sie sich damit aus ? Falls Sie Ihre Ausrüstung....“ „Meine Ausrüstung trage ich bei mir,“ beruhigte ich ihn. „Schweißen ist was für Versager !“ „Gut, denn es können sich hitzempfindliche Proben darin befinden. Wir benötigen die Papiere, die mit 'Saxitoxinase' gekennzeichnet sind ! Wir treffen uns dann um Mitternacht auf dem Parkplatz an der Autobahnauffahrt. Dort erhalten Sie dann das restlich Geld von uns.“
Es klang alles sehr einfach: bei Sunny-Chemicals einsteigen, den Safe in ein paar Minuten öffnen, ein paar Papiere filzen und dafür 100 Riesen abgreifen.
Nachdem wir die Einzelheiten geklärt hatten, ließ er mich mit meinem Kaffee stehen und verließ den Bahnhof. Ich war in Hochstimmung. Einen Gedanken an das, was gestohlen werden sollte, verschwendete ich nicht. Die Durststrecke schien überwunden.
Auf dem Weg nach Hause ging ich noch an einem Fachgeschäft vorbei und kaufte meiner Evi ein Tassimo-Kaffeemaschine. Falls sie fragen sollte, dann hätte ich sie eben in einem Preisausschreiben gewonnen. Sie war noch nicht da, also baute ich die Maschine auf. Mann, würde sie sich freuen. Sie kaufte mir die Flunkerei ab, jedenfalls sagte sie nichts, falls es nicht so war.
Freitag Abend: Evi war noch bei ihrem Oberstudienrat, überprüfte ich meine Ausrüstung. Meine gesamte Schlosserausrüstung war noch vorhanden. Ich packte alles in meinen Rucksack, packte eine Skimaske in meine Tasche und machte mich auf den Weg.
Herr Müller musste sehr viel Einfluss haben, denn das Eingangstor zu Sunny-Chemicals war weder verschlossen noch bewacht. Ich warf einen letzten Blick auf den Streifenplan der Wachen, den ich zwar schon auswendig kannte, aber sicher ist sicher. Es war ein Kinderspiel, an das eingezeichnete Büro zu gelangen. Das Schloss zu öffnen dauerte weniger als dreißig Sekunden; ich war immer noch gut in Form. Und dann stand er vor mir, der 'Lloyd 1509'. Das war noch Wertarbeit. Mein ehemaliger Zellengenosse Hubert hätte jetzt eineinhalb Stunden daran herum geschweißt und wahrscheinlich die Hälfte der Wertgegenstände darin zerstört. Ich bevorzugte mein Fingerspitzengefühl, mein Gehör und mein Wissen um diesen Tresor.
Ein Blick auf die Uhr: in etwa 40 Minuten würden die Wachen hier vorbei kommen. Konzentriert arbeiten; nach 30 Minuten öffnet sich das Schätzchen.
Ich greife mir die Unterlagen mit der Beschriftung 'Saxitoxinase' und stopfe sie in den Rucksack, als mein Blick auf ein Fach fällt, in dem die Sesselpuper ihren Kaffee aufbewahren. Ein paar unbeschriftete Kaffeedosen und ein paar kleine Behälter auf denen ich im Halbdunkel noch das Wort: 'Milch' erkenne stehen säuberlich aufgereiht darin. Ich stecke mir zwei Milchkännchen ein, damit wir zum Frühstück unseren Kaffee genießen können und mache mich davon.
Müller war pünktlich. Ich übergab ihm die Unterlagen und er überreichte mir die restliche Kohle. „Was ist das für ein Zeug ?“ fragte ich, obwohl es mich eigentlich nicht interessierte. „Vielleicht eine Möglichkeit, den Krebs zu besiegen ! In der richtigen Dosierung mit der richtigen Verbindung.“ Damit stieg er ins Auto und brauste davon.
Ich schwebte nach Hause, verstaute meinen Rucksack und das Geld. Die Milchkännchen stellte ich in den Kühlschrank, wusch mich kurz und schlüpfte zu Evi ins Bett. Ich träumte schwer, weil ich vielleicht doch noch ein Gewissen hatte, aber 100.000,- Schmerzensgeld sollte ausreichen.
Ich erhob mich schwer und schlurfte zu Evi in die Küche. Sie bediente begeistert die neue Kaffeemaschine, stellte jedem von uns einen Becher hin, rührte die Milch und lächelte mich an.
Noch während wir beide einen Schluck nahmen, schlug ich die Zeitung auf.
„EINBRUCH BEI SUNNY-CHEMICALS! WICHTIGE UNTERLAGEN UND TÖDLICHES NERVENGIFT VERSCHWUNDEN!! DIE POLIZEI BITTET UM IHRE MITHILFE!!
Mein letzter Blick fiel auf die Milchkännchen: 'Saxitoxinase-Milch'!
 



 
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