Charly hängt rum.

pleistoneun

Mitglied
Charly hing schon den ganzen Tag im Netz rum. Eigentlich wollte er sich von diesen pseudomodernen Einrichtungen schon lange losreißen oder zumindest etwas lösen, aber es hielt ihn in seinem Bann.

Nicht, dass er etwa ständig durch das Netz surfte, wie einige seiner geschickten Kameraden, nein, er hing nur immer auf der gleichen Seite rum. Der Netzwerkbetreiber hatte Charly ganz schön eingewickelt und es war eine zähe, haarige Sache weg zu kommen. Schon allein deshalb wechselte er die Seide nicht. Der Anbieter hatte sein Gift schon zielgerecht versprüht und Charly war auch tatsächlich darauf reingefallen.

All seine Freunde hatten Besseres zu tun, vergnügten sich im warmen Sommer am Fleischmarkt oder picknickten am Fuße des nahe gelegenen Müllbergs. Wahre Orgien feierten seine Gleichaltrigen. Minutenlang verschlangen sie Lebensmittel, um sie hervor zu würgen und nochmals zu verschlingen. Sie ließen permanent ihrem Sexualtrieb freien Lauf. Tja, Charly hatte keinen guten Umgang.

Ihn ließ das alles kalt. Er sah dem Treiben in allen Facetten von oben zu. Das nicht per Webcam, wie man meinen möchte, nein, er hatte einen guten Platz ergattert und verfolgte das Spektakel etwas gequält glotzend in seinem viel zu engen Seidenpyjama.

Charly dachte nur: “Das Netzwerk ist die beschissenste Erfindung überhaupt. Du wagst dich einmal zu weit hinein und schon hält es dich gefangen.“

Mager sah er aus, hatte er doch schon seit Stunden nichts gegessen. Im Gegenteil, er verlor sogar aus unergründlicher Ursache Körperflüssigkeiten und er war träge geworden. Zu Beginn faszinierte Charly noch diese scheinbar virtuelle Welt und er strampelte ganz aufgeregt, doch jetzt kam ihm die Angelegenheit nur mehr vor, wie eine klebrige öde Masse und er blieb weiter auf der gleichen Seite hängen. Nicht einmal die Windbrise, welche sanft durch seinen Pyjama fuhr vermochte ihn zu irgend etwas zu bewegen.

Er blieb fast regungslos im Zwischennetz, oder Internet, wie es Fachleute ausdrücken würden, bis ans Ende seines Tages hängen und wurde so nur ein weiterer aus(herunter)gesaugter Körper (zoolog.: File) im Netz zwischen zwei Ästen eines Baumes, in einem heruntergekommenen Kleingarten, nahe der Müllhalde, auf der er so gerne mit den anderen Eintagsfliegen spielte.
 



 
Oben Unten