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R. Herder

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[ 4]Er freut sich, schreibt er, ist schon ganz aufgeregt und ein bisschen nervös, schreibt er, was nicht nötig ist, findet sie, obwohl sie auch ein kleines Kribbeln im Bauch spürt, schreibt sie, dann sehen wir uns also, schreibt er, hab dich ganz doll lieb, schreibt sie, und verschwindet aus dem fliederfarbenen Raum, lässt ihn allein im fliederfarbenen Raum, und er bleibt im fliederfarbenen Raum, nimmt nur die Hände von der Tastatur, steht auf vom

[ 4]Schreibtischstuhl, geht hin zum kleinen Aktenschrank, auf dem die Schmetterlinge stehen, die Gießharz-Schmetterlinge, seine Schmetterlingssammlung, die er ständig erweitert, die Sammlung seiner Schmetterlinge, die Tagfalter enthält und Nachtfalter, in allen Farben und Graustufen, die ihn immer erinnert an seinen ersten Schmetterlingsfang, da hatte er richtiges Kribbeln im Bauch und war ganz vorsichtig, damit er nichts kaputt

[ 4]macht, weil ein kaputter Schmetterling nicht gesammelt werden kann, weil es sich nicht lohnt, Kaputtes in Kunstharz zu betten. Wie er so im fliederfarbenen Raum vor dem kleinen Aktenschrank, auf dem die Schmetterlinge stehen, steht, bemerkt er seinen Durst und dreht sich dabei um, er dreht sich weg vom kleinen Aktenschrank und dreht sich hin zum Raum, dreht sich Richtung Küche und denkt dabei an sie, die er sehen wird, ganz

[ 4]bald, die er bisher nur auf Fotos sah, auf kleinen Fotos, in 2-D, auf seinem Monitor, vor dem er so oft sitzt, auf seinem Schreibtischstuhl, Bürostuhl, Drehstuhl, denkt an ihre ausgewaschene Blondfärbung und ihre blauen Augen und die etwas schiefen Zähne und die Wollpullover, die sie trägt auf Fotos, die er auf seinem Monitor sieht, wobei sein Durst noch größer wird, den er stillen will mit Cola oder Red Bull, weil er wach bleiben will im

[ 4]fliederfarbenen Raum, in dem die Giehßharz-Schmetterlinge auf dem kleinen Aktenschrank stehen, von dem er sich wegdreht. Also steigt er über die Chipstüten auf dem Boden, über die 5-Minuten-Terrinen steigt er, also auch über die Pfandflaschen, die er mal zum Supermarkt bringen muss, wofür er keine Zeit hat, weil er sie nicht findet zwischen den Tetra-Paks und den Pizzakartons, über die er steigen muss, will er zur

[ 4]Küche gelangen, um dort, wie gesagt, seinen Durst zu stillen, den er unvermittelt bemerkt hat, als er vor dem kleinen Aktenschrank stand und an seinen ersten Schmetterlingsfang dachte, der so ein Kribbeln in ihm auslöste, sein erster eigener Schmetterling, das war eine besondere Sache, denn es war sein Schmetterling, er hatte ihn gefangen, seinen ersten Schmetterling, wie gesagt, also steigt er über die Wollmäuse

[ 4]und die schmutzigen Klamotten und tritt manches einfach beiseite, um besser in die Küche zu gelangen, in der Cola oder Red Bull auf ihn warten, seinen Durst zu stillen, den er eben bemerkt hat, wie gesagt, nachdem er mit ihr, mit dem Foto in 2-D gechattet hat über das baldige Treffen, auf das sich beide schon freuen, nicht ohne nervös zu sein. Aber Nervosität ist OK, denkt er beim Klettergang in die Küche, Nervosität ist Aufmerksamkeit,

[ 4]denkt er, und Konzentration, denkt er, es zeigt, wie wichtig einem etwas ist, und das ist OK, denkt er in diesem fliederfarbenen Raum, der von elektronischer Musik durchflutet ist, und ihm den Rhythmus vorschlägt, den er einhalten sollte, will er in die Küche gelangen, der die Schmetterlinge in ihrem Gießharz tanzen lässt, der sie wild mit ihren Flügeln schlagen lässt, in ihrem Gießharz, die den Bass in ihren Flügeln spüren, ein kleines

[ 4]Kribbeln, das sie feiern lässt, in ihrem Gießharz, wie gesagt, ohne Nervosität würde er das gar nicht schaffen, denkt er, sich treffen mit ihr und alles richtig machen, ohne Nervosität ginge das nicht, denkt er, als er seine Wanderung beendet und in der Küche steht. Die Küche ist sein Nutzort, hier hortet er das Nützliche, das nützt, seinen Durst zu stillen oder Ungebrauchtes abzustellen, hinzulegen auf die Arbeitsplatte, anzuheften an

[ 4]den Kühlschrank, so nutzt er seine Küche, die ihm seinen Kaffee macht, deren Waschbecken seinen Urin trinkt, wenn er zu faul ist für den weiten Gang ins Bad, nachts, wenn er gechattet hat im fliederfarbenen Raum, und sich verliebt hat im fliederfarbenen Raum und sich verabredet hat im fliederfarbenen Raum, wenn er gedacht hat an seinen ersten Schmetterlingsfang und ihm vor Augen noch ein Foto schwebt von einer Frau, die

[ 4]schon ganz aufgeregt, ganz freudig ihn erwartet, bald, wie gesagt, mit einem Kribbeln im Bauch wie von elektronischer Musik, wie von einem Bass, der einen kleinen blechernen Aktenschrank vibrieren lässt, so steht er in der Küche und greift mit seinem rechten Arm den Griff der Kühlschranktür und öffnet sie, und das Licht des Kühlschranks prallt auf die Flut der elektronischen Musik, was er betrachtet wie in jeder Nacht, wenn das

[ 4]Kühlschranklicht auf die Elektrowellen prallt, und den Tanz der Schmetterlinge in ihrem Gießharz begleitet. Sein rechter Arm greift, nachdem er alles betrachtet hat, was er jede Nacht betrachtet, nach Cola oder Red Bull, wie gesagt, sein rechter Arm im Kühlschranklicht, das in den fliederfarbenen Raum und gegen die Musik des fliederfarbenen Raumes knallt, sein rechter Arm, mit dem er seinen ersten Schmetterling

[ 4]gefangen, was so ein Kribbeln ihn ihm, sein rechter Arm, dessen Hand, deren Finger immer tippen auf der Tastatur vorm Monitor, auf dem er immer Fotos sieht, Fotos in 2-D, auf denen ausgewaschene blonde Haare sind und etwas schiefe Zähne, ab und an auch Wollpullover, sein rechter Arm, der seinen Penis hält, wenn er ins Waschbecken der Küche, sein rechter Arm, der vorbeigreift an den kleinen Plastiktüten im Kühlschranklicht,

[ 4]an den vielen Plastiktüten, in die er immer was anderes, in die er nur mit Handschuhen, wenn nichts schmutzig werden soll, wenn nichts rot werden soll, weil das schlecht abgeht von den Händen und dem ganzen Rest, das Rot in den Plastiktüten, die er sammelt und ständig erweitert, wie seine Schmetterlingssammlung, wie gesagt, sein rechter Arm greift nach Cola oder Red Bull, um seinen Durst zu stillen, wie gesagt, seinen

[ 4]Durst, den er unvermittelt bemerkt hat vorm kleinen Aktenschrank, auf dem die Gießharz-Schmetterlinge stehen, die feiern zur Musik in diesem fliederfarbenen Raum, in dem er allein ist, in diesem fliederfarbenen Raum, in dem er bleibt, in diesem fliederfarbenen Raum, nachdem sie ihn verlassen haben.
 
H

Hakan Tezkan

Gast
wie eine flut von daten...
interessanter stil, nicht nur die sprache, auch die wahl der absätze. interessant, aber länger hätte ich es nicht ausgehalten. für meinen geschmack hätte es sogar noch ein kleines bisschen ver.dichteter daherkommen können, denn dieser trockene erzählstil hatte bereits nach zwei absätzen seine wirkung getan...
die schmetterlingssammlung ist mir bei dem maßstab, den ich bei dir anlege, zu abgegriffen. aber was soll's. immer noch gern gelesen.

lg,
hakan
 

Odilo Plank

Mitglied
Lieber R. Herder,
ich nehme mal an, Du kennst Dich nicht nur in der virtuellen Welt aus und in der wirklichen, sondern auch in der alten Musik.
Das ist eine waschechte Fuge, eine sprachliche.
Glückwunsch! Odilo
 

Retep

Mitglied
Was Hakan über Stil, Sprache und Absätze sagt, meine ich auch.

Darüber hinaus:

- Der Text hat mich nicht "ermüdet".
- Die Schmetterlingssammlung passt genau.

- In seiner substantiellen Form kann ich mir den Text nicht
besser vorstellen.
- Form und Inhalt stimmen überein.
- Der Text ist authentisch, hat Ausruckskraft und Orginalität.
- Er hat " ein gewisses Etwas ".
- Dem Leser bleibt nicht erspart, Interpretationen selbst zu
finden.
Das alles sind Kennzeichen von guter Literatur, wie ich
glaube.

- Zum Verbessern gibt es immer Kleinigkeiten.

Das ist meine Meinung, die Meinung eines Laien, der von Kurz-
prosa wenig Ahnung hat.

Mich hat der Text beeindruckt, ich habe ihn mehrmals gelesen.

Glückwunsch!

Retep
 
H

Hakan Tezkan

Gast
stopp: wer hat denn hier ahnung von kurzprosa???

mich hat der text nicht ermüdet, ich hätte ihn mir nur ein, zwei absätze dichter gewünscht. ob das überhaupt umzusetzen ist, das weiß ich auch noch nicht... so passt er aber, wie ich in meinem kommentar sagte, aber auch.

die schmetterlingssammlung fügt sich exakt ein, da stimme ich dir auch zu, aber rené hat einfach schon viel, viel neuere, originellere, überraschendere bilder gefunden. ich sagte ja auch, dass es ein spezieller rené maßstab war, den ich anlegte.

naja, irgenwie komme ich mir gerade so vor, als würde ich mich verteidigen, scham überkommt mich, ich flattere davon...
 

Retep

Mitglied
Hallo Hakan,

auf keinen Fall wollte ich dich angreifen, wahrscheinlich hast du wesentlich mehr Ahnung als ich.

Tut mir leid, dass du mich missverstanden hast, habe mich nicht klar ausgedrückt,habe nur meine unmaßgebliche Meinung
geschrieben.

Gruß

Retep
 
H

Hakan Tezkan

Gast
nein, nein, ich selber wollte nur klarstellen, dass deine meinung keinesfalls das pendant zu der meinen war. so hat es nämlich ein wenig geklungen.
darüberhinaus denke ich nicht, dass ich sonderlich viel ahnung von kurzprosa habe.
man liest sich. und jetzt lassen wir wieder den text für sich sprechen. das kann er, denke ich, ganz gut.

hakan.
 

R. Herder

Mitglied
Ich danke euch sehr für euern Zuspruch und auch die Kritikpunkte. Den Text hab ich in zwei Tagen geschrieben und auf wiederholte Erneuerung/Verbesserung/Bearbeitung bewusst verzichtet (aus gewissen sprachskeptischen Gründen). Mir gefiel diese Ungeschliffenheit. Aber ich sehe ein, dass es die ein oder andere Stelle geben mag, die nochmal überarbeitet werden sollte.

Sehr erfreulich finde ich, dass dieser Text auch Leute ansprechen konnte, die sonst, glaube ich, bei mir noch nicht kommentiert haben: Retep und Odilo. Diese Prosa als Fuge findet ihr Vorbild, es wäre dreist, es nicht einzugestehen, bei Bernhard. Der freilich beherrschte diese Form bis zur Perfektion. Ich wollte ihn nicht imitieren, das wäre albern; darum auch die beibehaltene Ungeschliffenheit (die gibts bei Bernhard nicht wirklich). Aber dieser Ton schien und scheint mir, gemessen am Inhalt: ja, angemessen.

Ihr seht, ich kann nichts wirklich Kluges sagen. Das mag am Wetter liegen oder an der Zeitknappheit. Danke jedenfalls für eure Mühen. Und wenn mir mehr einfällt, schreib ichs hier hin.


Beste Grüße,
René.
 

Odilo Plank

Mitglied
Lieber René,
ich habe keinen Moment an Bernhard gedacht. Meine Fugenkenntnis verdanke ich dem Johann Sebastian.
Deshalb mein Glückwunsch. LG! Odilo
 

R. Herder

Mitglied
Bernhard bezieht seine Kenntnisse ebenso u.a. von Bach, soweit ich mich erinnere. Ich finde Fugen sehr spannend.

Grüße,
René.
 

Carlo Ihde

Mitglied
Ja stimmt, Fuge, doch wirklich mehr Bach. Für Bernhard ist der Text viel zu schnell, daher kein Immitat sondern eigenständig. Bei Bernhard funktionieren Häufungen auch nach über 200 Seiten noch wie ein "Running-Gag" und das bringt Ruhe rein trotz der Atemlosigkeit. Bei dir ist noch mehr Abwechslung, mehr Unruhe, noch weniger Atem.

Unterhaltsam. Aber nicht explodierend hervorschießend.
 

R. Herder

Mitglied
Ach, leck mich doch, du Kackbratze.

Nee, hast schon recht. Explodierend hervorschießend ist da nichts. Und stilistisch, trotz ähnlicher Mittel, weit entfernt vom Bernhard, rüschtisch. Danke fürn Kommentar!


Grüße,
René.
 

Carlo Ihde

Mitglied
na das Ding haste noch gut abgebogen

Nee,..., rüschtisch

Was ich sagen wollte: Bernhard hatte ein anderes Gespür für den Atem und das Luft-(und Gedanken)-holen, als ausgebildeter klassischer Sänger hatte er die Phrasierung einfach im Urin. Dein Text ist durchaus eigenständig. Aber den Namen Bernhard solltest du besser nicht ins Spiel bringen. Kleiner Tipp: nehm einfach den Namen von R.Herder und dann stimmt's wieder.
 

R. Herder

Mitglied
Naja, halt, Moment, da stand, steht und wird auch meistens stehen: R. Herder. Bernhard hab ich lediglich im Mund geführt, weil mir durch ihn die Möglichkeit einer sprachlichen Fuge erst gegeben wurde. Fugen habe ich nicht zuerst in der Musik kennengelernt, sondern beim fiesen Österreicher. Um ein Wort Marquez' über Kafka abzuwandeln: durch Bernhard habe ich gelernt, dass es möglich ist, anders zu schreiben. Danke nochmal für deine Gedanken.
 



 
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