Coma Virus

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Ich bins, dein Aufbruch aus dem Licht,
die nassen Tage umspülen uns wie Quader die Sonne.
Du hängst wie feuchtes Fleisch vor meinem Fenster
und stirbst langsam ab.

Ich gehe über Reste alten Essens,
der Nebel tropft vom Baum dort gegenüber und
ein Schrei von dir klingt mir noch in den Ohren.
Ich gehe langsam nackt die Wand hinauf.

Du bist ein Stein auf dem Meeresboden,
ein kompletter Alptraum für meine Abwehrstoffe,
Schlaglicht meines Todes.
 
M

Monfou

Gast
Liebe magdalena heische,

ein schön-schauriges Gedicht. Ich, meinerseits, habe zwar höllische Angst vor Genitivmetaphern, aber offenbar kann man noch oder wieder damit hantieren. Wer weiß. Mir fehlt der Glaube. Bist du dir sicher mit Sein und Zeit? Ich sehe da eher den Jargon der Eigentümlichkeit und habe mich auch hier nie aus der Befangenheit befreien können, dass Heidegger sich mit den schlimmsten Schergen gemein gemacht hat. Geistig. Aufschlussreich in dieser Hinsicht immer noch Victor Farias.
Herzlichst

Monfou
 
Montfou,

Heidegger war wohl mehr als nur geistig mit Schergen gemein. Das macht sein Buch aber nicht schlechter, nur den Menschen. Er hat sich so tief in die Metaphysik zurückgedacht, dass er zum Schluss alles nur noch von dort aus hat sehen können. Ich habe sogar die Vermutung, dass Heidegger nur durch das Ablegen des humanistischen Gedankengutes so weit in die geistige Dimension von Sein, Zeit und Tod kommen konnte. Aber Spengler oder Frege ging es da nicht anders. Man darf ihre Werke heute nicht gleich in die Tonne hauen, muss sie aber an den Personen messen, die sie schrieben, da hast du schon Recht.
Und hey, sind doch nur zwei Genitive vorhanden, oder? Wer hat dir den den Horror antrainiert?
Liebe Grüße von Lene
 
M

Monfou

Gast
Liebe magdalena heische,

zunächst danke ich, dass du aus einem Narren einen Berg gemacht hast. Dein Gedicht spricht quasi eins zu eins zu mir. Es gefällt mir sehr. Also schön. Mal ganz konkret: Als ich noch im literarischen Metier für eine Zeitschrift lektorierte, gingen Gedichte mit Genitivmetaphern prinzipiell in den Papierkorb. In 95 % der Fälle, denke ich, zu Recht. Meist sind sie hohl. Der Genitiv dieser Form ist seit Rilke, Celan, Bachmann, aber auch durch hemmungslosen Gebrauch als Titel verkommen und ihm kann man schwer noch Originalität abgewinnen. Doch nichts ist unmöglich.

Heidegger hin, Heidegger her. Darüber zu diskutieren, führt sehr weit, wohl zu weit. Ich bin allerdings auch ganz entschieden gegen die Sprache Heideggers. Sie zelebriert sich und dahinter stehen oft ganz banale Gedanken, wenn überhaupt. Verzeih, doch das hat nichts mit deinem Gedicht zu tun, das ich gern noch ein drittes und viertes Mal lese.

Liebe Grüße

Monfou
 
Deinen ersten Satz verstehe ich nicht ganz, kenne die Wendung nicht. Aber klingt nicht so, als wärst du beleidigt. Einen Berg zum Narren machen ist sicher schlimmer, hm? :)
Was du über Heideggers Sprache sagst, stimmt meiner Meinung nach teilweise. Er zelebriert sich und er hat es von Nietzsche. Doch Banalitäten finde ich mehr bei Rilke als bei ihm. Heidegger war wohl ein Mann, der seine Erkenntnisse nicht auf sich selbst anwenden konnte. Oder aber er wollte sich selbst nicht mehr erkennen. Dem Zufall hat er jedenfalls nichts überlassen.
Für einen Lektoren bin ich wahrscheinlich genau das richtige Fressen. Ich mache mir nicht so viele Gedanken über Genitive, benutze sie aber öfter mal, weil sie schön sind. Durch die Bachmanngeneration sind sie allerdings stilisiert und verdorben, das stimmt.
Vielleicht liest du ja mein Gedicht auch noch zum fünften Mal?
Ciaoi!
Die Lene
 
M

Monfou

Gast
Beim fünften Lesen
ists ein Rausch gewesen,
auch beim sechsten Mal,
wars eine zauberhaft-düstre Qual.

Soviel zum coma virus.

Liebe magdalena,

die Berg-Narren-Anspielung hast du nicht verstehen können, weil dir nicht aufgefallen ist, dass du Mont-fou schriebst, was bekanntlich - nimmt man die erste Silbe - Berg heißt.
Ich habe übrigens die Theorie der nichtrosafarbenen Literatur in einigen Zeilen unter "Kurzgeschichten: Eine Geschichte ist das nicht, Monfou: Selbstporträt des Erzählers als Esel" dargelegt.
Schöne Tage
Monfou
 

Inu

Mitglied
Hallo magdalena heische und Monfou

Ich bins, dein Aufbruch aus dem Licht,
die nassen Tage [red]umspülen uns wie Quader die Sonne.[/red]
Du hängst wie feuchtes Fleisch vor meinem Fenster
und stirbst langsam ab.

Ich gehe über Reste alten Essens,
der Nebel tropft vom Baum dort gegenüber und
ein Schrei von dir klingt mir noch in den Ohren.
Ich gehe langsam nackt die Wand hinauf.

Du bist ein Stein auf dem Meeresboden,
ein kompletter Alptraum für meine Abwehrstoffe,
Schlaglicht meines Todes.
__________________
Unsere Leben sind die Träume der Anderen.


Ich habe, wie anscheinend alle anderen Leser dieses Textes auch, geradezu eine Hemmung, mich hier zu Wort zu melden. Bei soviel gehobener Konversation zwischen Magdalena und Monfou über die Philosophen des vergangenen Jahrhunderts, bei einem so klangvollen, elitären Text wie dem von Magdalena, denkt man automatisch, dass man selbst nur ein Störfaktor sein kann in diesen hohen geweihten Hallen der Poesie....

Das Gute, was ich über dieses Gedicht sagen kann, ist, dass es geheimnisvoll klingt und es klingt schön. Wobei mich vom Rhythmus her ein wenig stört, dass der letzte Vers nur aus drei Zeilen besteht, statt aus vieren. Es sei denn, >>>unsere Leben sind die Träume der anderen>>>> gehöre auch noch dazu. Quatsch...das kann ja nicht dazugehören...

Es ist ein Gedicht, das Verzweiflung nach einer großen inneren Katastrophe herüberbringt. Wer dafür aufgeschlossen ist und sehr sensibel, wird es so empfinden.

Obwohl ich bei Dichtkunst tatsächlich nicht mitreden kann, nehme ich mir dennoch heraus, eine Ungereimtheit anzumarkieren.

[blue]Quader können nie etwas umspülen, denn sie sind feste Materie[/blue]

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an Monfou habe ich noch eine neugierige Frage. Wo sind die beiden Genitivmetaphern in dem Gedicht? Ich habe sie nicht gefunden.

Ich grüße Euch beide
Inu
 
M

Monfou

Gast
Hi Inu,

die Diskussion liegt wohl für das Internetzeitgefühl schon Jahrhunderte zurück, umso schöner, dass so ein Gedicht nicht ganz und für immer in den Tiefen des Netzes versinkt.

Was die Genitivmetaphern angeht, so gab es sie gewiss, sonst hätte ich es nicht geschrieben. Aber jeder Autor, der einen Thread eröffnet, kann über delete/edit seinen Text ändern. So wird man als Autor vielleicht manche Anregungen aufnehmen (am leichtesten natürlich bei Rechtschreibefehlern ) und was dann vom Kommentator "kritisiert" wird, ist längst korrigiert.

Ich fand die Stimmung sehr dicht und wortgewaltig dargestellt.

Beste Grüße

Monfou
 
Hallo Inu. Du zerpflückst mein Gedicht (komisch, gerade jetzt :confused: ), warum tust du es dann nicht richtig? Nebel kann nicht tropfen, Abwehrstoffe können keine Alpträume haben... Und du weisst so gut wie ich, was Metaphern bedeuten können.
Verrat mir lieber eines: Was stört dich wirklich? Gehoben, klangvoll, elitär, nicht mitreden können... das sagst du fast etwas gereizt... Warum?
Übrigens ist der Text unverändert und uneditiert...

Liebe Grüße an Inu und meinen Gesprächspartner Monfou (natürlich ohne t...;))

Magdalena
 

Markus Saxer

Mitglied
Hallo Magdalena

Voll morbider Schönheit, poetisch und düster. Verstörend auch. Und dann dieser letzte Satz: ‚Schlaglicht meines Todes’ … der könnte vom grossen Portugiesen himself stammen.

Beeindruckt:
Markus
 



 
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