Computerliebe

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Warui

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Markus hörte, wie der Briefschlitz an der Haustür klapperte. Das musste die Morgenzeitung sein. Was wohl gestern passiert war in der Welt? Egal was, um das zu erfahren, musste man ja nicht unbedingt aufstehen. Auf seinem Bildschirm war im Moment nur ein Minimum an Fenstern offen. Eher Grund als Hindernis, um ein neues aufzumachen. Er öffnete sein AOL-Fenster und betrachtete die bunten Bildchen im AOL-Newsticker. Nichts davon interessierte ihn im Moment und das für das "Girl der Woche" hatte er schon gestimmt, Manuela hatte ihn definitiv am meisten erregt. Da lohnte sich der Gang zur Haustür erst recht nicht, also konnte er auch gleich hier sitzen bleiben. Musste sowieso in ein paar Stunden zur Arbeit. Allein bei dem Gedanken daran ging ihm schon wieder beinahe die Hutschnur hoch und er schnaubte verächtlich "Alles Idioten dort", die ihn bis zum Umfallen reizten, und vor allem in letzter Zeit war es schlechter als je zuvor gelaufen. Markus arbeitete als Dachdecker in einem relativ kleinen Betrieb, der sich im Ort keiner ernstzunehmenden Konkurrenz zu stellen brauchte. Ein sicherer, gut bezahlter Job; klar, er bot keine großartigen Aufstiegsmöglichkeiten, aber mit 45 hatte man sich an diesen Gedanken sowieso schon gewöhnt. Trotzdem war Markus seit ein paar Wochen auf der Arbeit immer gereizt und unzufrieden mit Allem, was ihm über den Weg lief. Alle behinderten ihn bei seiner Arbeit, bei seiner Ruhepause, bei der Planung, und wenn er nach Feierabend nach Hause kam, ging es da genauso weiter. Bei seiner Frau hatte er schon längere Zeit erhebliche Potenzprobleme, doch das schob er entweder auf sie oder die Arbeit, die Kinder tanzten ihm sowieso nur auf der Nase herum, er konnte sie nicht mehr so beeinflussen wie noch vor wenigen Jahren und vor allem durchsetzen konnte er sich nicht mehr. Der Älteste war inzwischen aus dem Haus und hatte sich irgendwo eine Wohnung gesucht, von der aus er zur Schule ging. Wenn Markus es recht bedachte, hatte er ihn inzwischen schon fast drei Monate nicht mehr gesehen, jedenfalls persönlich nicht. Er wusste, dass seine Frau ab und an mit ihm telefonierte, meistens am Wochenende, da kostete es Nichts. Doch im Chat sah er ihn fast jeden Tag, mal kurz, mal länger. Was ja nicht hieß, dass man sich unterhalten musste, war ihm sogar lieber so, eine Nervensäge weniger. Vor allem, wenn der ihm dann immer wieder bewies, dass er eigentlich mehr Ahnung hatte, oder sie zu haben glaubte. Markus schnaubte wieder verächtlich. Was der Typ alles an Schwachsinn redete, von wegen Linux und OpenSource (Markus sprach es wie "OopenSorze" aus, er sagte auch "Gögel" statt Google). Was benutzte der immer zum Surfen? "Mozilla Firebird" oder so hieß das Teil. Er fand das Programm in den persönlichen Dateien seines Sohnes ("Wo man als Administrator doch alles hinkommt," freute er sich) und startete es. In der Leiste unter der Adresszeile gab es einen Ordner ("Was haben Ordner da zu suchen?") namens "Foren" und einen einzelnen Link namens "Private Bilder". Markus öffnete den Ordner und sah sich die einzelnen Einträge an, die Namen sagten ihm jedoch nichts. Ganz unten gab es einen Punkt "Alle Links in Tabs öffnen". Neugierig geworden klickte er darauf und sofort öffneten sich diverse kleine Fenster innerhalb des Programms. "Das sind also Taps," brummelte Markus und klickte einen nach dem anderen an. Diese sogenannten Foren hatten so seltsame Namen wie "Stolzes Herz" und "Lacrimosa Forum" und "Wacken Forum" und "SMJG Forum" (Markus guckte verdutzt den seltsamen Smiley an und schüttelte den Kopf) und dann kamen welche, die fand Markus viel zu unübersichtlich, aber da war wenigstens klar, worum es ging: "Leselupe", "Gedichteforen" und sowas. "So ein Schwachsinn," fand er, da ging ein neues Fenster auf: "Sie haben eine neue Nachricht von Malefiz empfangen." Markus klickte auf "Zum Posteingang gehen" und sah sich die Nachricht an ("Vielleicht ein hübsches Mädel...") und verstand nur Bahnhof. Nicht nur, das dieser Malefiz ein seltsames Bild hatte, er schrieb auch Sachen, von denen Markus kaum ein Wort verstand: "Was zur Hölle ist ne 'alki...alkäische Ode' und was heißt 'Katharsis'? Wer braucht sowas eigentlich?" Schlechtgelaunt klickte Markus auf den "Zurück"-Knopf des Browsers und sah sich um, was es da noch gab. Ein rotes Symbol neben einem Punkt namens "Schwarz" in der Kategorie "Von ihnen beobachtete Themen" erregte seine Aufmerksamkeit und er folgte dem Link. Dass es in besagtem Gedicht um irgendwas schwarzes ging, war sogar ihm klar, aber was danach kam, sagte ihm alles nichts. Was sollten diese ganzen großen und kleinen "X", war das ein Geheimcode? Markus war nun wirklich sauer und schloss das Programm ganz. Dann fiel ihm ein, dass es da noch einen anderen Punkt in der Liste gegeben hatte und er startete es erneut und wählte besagten Link. Zuerst enttäuscht sah er, dass nach einem Benutzernamen und Passwort gefragt wurde und wollte den Browser gerade wieder zumachen, als diese plötzlich erschienen, scheinbar waren sie gespeichert. Nach einem Klick auf "Bestätigen" fand Markus sich in einer Liste von Bildern wieder, die er eins nach dem anderen durchging, es waren offensichtlich Urlaubsfotos, die mal seinen Sohn, mal seine damalige Freundin zeigten, dann kam irgendwann eine Serie von Friedhofsbildern ("Wer ist bitteschön Wolfgang Borchert und warum hat der Typ ein Foto von seinem Grab?"), dann irgendwelche Aufnahmen von Musikgruppen, und wieder Bilder von seiner Freundin. Das letzte zeigte sie schlafend auf dem Bett und Markus ließ seine Fantasie schweifen. Er hatte sie einmal getroffen, war aber nicht näher an sie herangekommen, hatte sich aber seine Gedanken gemacht. "Wie der wohl damals an diesen Käfer rangekommen ist .... und wie sie wohl im Bett war?" grübelte er und ließ eine Hand unter den Schreibtisch sinken.
Ein Piepslaut weckte Markus Aufmerksamkeit und er sah seine Chat-Fenster durch. In Yahoo war "SüßeMaus83" online gekommen. Genau, was er jetzt brauchte. Er checkte kurz seinen eigenen Login-Namen, vergewisserte sich, dass er gerade der 23jährige gutaussehende Mann war, und sprach sie an. Das Gespräch kam von Begrüßung und kurzem Austausch über das Wetter sehr schnell zu handfesteren Themen und Markus tat langsam der Arm weh, aber er musste sich ja als ausdauernder Liebhaber beweisen und schrieb also weiter. Nachdem er über den Höhepunkt hinaus war, angelte er sich ein Tempo aus der Familienbox neben dem Computer, während er der süßen Maus übers Haar strich und ihr zärtlich ins Ohr flüsterte, wie unheimlich gerne er jetzt bei ihr wäre. In diesem Moment protestierte seine Armbanduhr wütend, dass er immer noch am Computer saß. Markus informierte seufzend seine Chatpartnerin darüber, dass er bald gehen müsse und brühte sich seine dritte Kanne Kaffee diese Nacht auf. Diese zeigte Verständnis, vor allem, da sie auch bald bei der Arbeit sein müsse. Sie fragte ihn ganz lieb nach einem Bild von ihm und er sagte zu, dass er ihr eins schicken wolle, wenn sie ihm das zuerst täte. Während er auf das Bild wartete, holte er sich seinen Kaffee und suchte auf seiner Festplatte nach dem Ordner mit den Bildern, die er für den Account benutzte. nach ein paar Minuten erreichte ihn auch das Bild einer langbeinigen Schönheit am Strand. Markus bedauerte, dass er keine Zeit mehr hatte, sich noch konkret über das Bild zu freuen, schickte seine Mail los und machte den Computer aus.
Seine Tasche geschultert ging er am Nachbarhaus vorbei zu seinem Auto. Vor ein paar Wochen war hier seine Chefin eingezogen, eine unattraktive Mittvierzigerin mit schlecht getönten Haaren und einem dicken Hintern. Sie war wohl auch schon wach, er konnte das Licht des Monitors im Wohnzimmer erkennen. Markus beeilte sich, er wollte ihr nicht unbedingt um diese Zeit schon begegnen. Aus dem angekippten Fenster tönte ihm ein "Übertragung beendet", gefolgt von einem "Auf Wiedersehen" hinterher. Er beschleunigte seine Schritte noch etwas mehr und stürzte sich in den aufreibenden Arbeitsalltag eines 45jährigen Dachdeckers mit nervigen Kollegen, die ihm eh nur den Weg nach oben verbauten, und der seit Jahren schon keinen ehelichen Sex mehr genossen hat.

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Boah, bin ich grad in ner Laune *bösegrins*
....
Ich finde (aber das ist ja nur subjektiv ;) ), ich habe die Denkweise eines ergrauten Mittvierzigers ganz gut getroffen, aber das kann mir die entsprechende Generation sicherlich selbst am besten sagen :)
Aber mal im Ernst, sollte ich in zwanzig Jahren so sein, schlagt mich bitte ^^

Mata ne
Warui
 

GabiSils

Mitglied
Um Himmels Willen, Warui, was kennst du für Mittvierziger? :D :D

Daß du schreiben kannst, weißt du, aber du solltest vorher jemanden fragen, der sich mit sowas auskennt ;)

Gruß, Gabi (48)
 

Warui

Mitglied
Hallo Gabi

Ja, das frag ich mich manchmal auch *augenverdreh*
Leider gibt es Markus wirklich .... nagut, er ist ein wenig karikiert und anonymisiert (anderer Name) und so, aber ansonsten trifft es auf ihn zu ... zumindest das Verhalten .... (bin ich froh, dass ich aussem haus bin *puh*)

*nachfrag* Wie denken Mittvierziger ...? ^_^

Mata ne
Warui (19)
 

GabiSils

Mitglied
*nachfrag* Wie denken Mittvierziger ...? ^_^

Das sprengt den Rahmen der Textarbeit :D
Ein Thema für die Plauderecke. Oder Mail.

Dein Text ist für eine Satire nicht böse genug und für Humor zu wenig lustig; als Charakterstudie zu oberflächlich ... außerdem merkt man auch hier, daß du wohl mehr für deine Generation schreibst, immer wieder baust du Insiders ein, die ich teilweise dank 16jähriger Tochter verstehe, manche aber sagen mir gar nichts, und damit geht ein Teil der Aussage verloren (siehe "Der Sturm").

Das soll nun kein Verriß sein; vielleicht kannst du aber deine Texte unter diesem Aspekt noch mal durchgehen?

Gruß,
Gabi
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

auch mich reißt die geschichte nicht gerade vom hocker.
außerdem quält sich keiner gerne durch eine derartige bleiwüste. sei so lieb und gliedere deinen nächsten text stärker. vor jeden neuen gedanken einen absatz, bitte.
lg
 



 
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