DER MENSCH DENKT

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elfriede

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DER MENSCH DENKT...............OD. JEDEN DONNERSTAG UM 7 UHR AUF PAV 7


Doris schläft noch, sie hat die Decke bis zum Kinn gezogen und ihre roten, dichten Haare heben sich deutlich von der lichten Bettwäsche ab. Den Polster legt sie immer über ihr Gesicht, über ihre obere Gesichtshälfte besser gesagt, um auch beim Schlafen das Gefühl zu haben eine Krone auf dem Kopf zu tragen. Nicht irgendeine Krone, so wie sie jemand in der Faschingszeit aufhat. Nein, eine Krone, die Macht verleiht, so wie eine Herzogin- oder Prinzessinnenkrone, erklärt Doris allen, die es wissen wollen, obwohl sie letztendlich ja doch niemand verstehen kann, sagt sie immer. Denn alle großen Herrscherinnen sind im Grunde von den meisten missverstanden worden.
Sie weiß das, denn sie liest die Geschichtsbücher, und sie weiß, dass eigentlich auch die
„Queen“ nur von Verständnislosen umgeben ist. Doris öffnet die Augen, gähnt, streckt sich und schaut prüfend auf die anderen Betten. Es sind noch fünf Patientinnen im Zimmer und neben einem Fenster steht ein Rollstuhl.
Sie schlafen noch;` das ist gut`, denkt Doris, `sehr gut, denn die Herrscherin darf niemals als zweite, dritte oder gar als letzte aufwachen, es wäre fatal für die ganze Entwicklung; für die feinmaschige Struktur, für alle und alles`, sagt Doris und sie wäre in ihrem Bestreben, das zu erreichen, was sonst niemand schafft, um einige Monate, wenn nicht Jahre zurückgeworfen
Die schwierigste, durchdachteste Pädagogik wäre mit einem Schlag zunichte gemacht.
„Aufstehen, ihr Dienerinnen und Drecksäcke !“ brüllt sie und weiß, dass heute Donnerstag ist. „Aufstehen !“schreit sie wieder, und langsam beginnen sich die Körper in den Betten zu räkeln. Doris schlüpft schnell in ihr Galakleid, das ist für Donnerstag ! Eingehüllt in sieben verschieden große Plastiktragetaschen und mit zwölf Meter Spagat verschnürt, liegt es die ganze Woche hinter dem Stoß Nachthemden, fast versteckt.. Nur einmal, eben donnerstags entfädelt sie das Paket und zieht gekonnt das himmelblaue mit Strasssteinen im Oberteil besetzte Kleid an. `Es kleidet nicht sonderlich, sie müsse noch zunehmen`, denkt Doris unzufrieden, `noch fünf bis sieben Kilo – dann sitzt es wie angegossen`. Während sie das Kleid zuknöpft, schreit sie einige Male „Marie Luise“, „Maria Theresia“ u. „Gräfin Annemaria von Meran“ in den Schlafsaal und fügt hinzu, dass Marie Antoinette nur an ihrer mageren, fast mädchenhaftren Statur gescheitert ist.
„Ruhig“, sagt eine zittrige Stimme, und Doris merkt – wie die „bucklige Grete“, so nennt sie die Günzel, die sich einbildet, sie sei Kaiserin Marie Luise, manchmal auch nur „Bucklige die zweite“, weil sie neben der Sturm die zweite Körperbehinderte in der Nähe der Fenster ist – wie sie versucht sich an dem Trapez hochzuziehen. „Nicht so !“sagt Doris alias Marie Antoinette zornig, „ nicht flippig werden, heute ist Donnerstag“, und sie zerrt die Günzel an den Füßen ins Bett zurück, dann lacht sie und Fleischer, von Doris „Idiotin 3“ oder „blinde Kuh“ genannt, eine Vierundzwanzigjährige mit Parkinson-Syndrom applaudiert.
Durch die Unruhe sind nun auch die beiden übrigen „Idiotin 1“Fellbrauer und „Idiotin 2“ Bruckner aufgewacht.“ Das ist ausgezeichnet, ihr faules Gesindel, vortrefflich, gerade zur rechten Zeit seid ihr munter geworden; heute ist nämlich Donnerstag, der Tag der großen Staatsfrauen, der Tag, an dem die größten Königinnen und Kaiserinnen gekrönt worden sind. Es ist auch mein Tag, wie ihr alle wissen solltet, ihr halbtotes Pack, Scheißdreck und Jauche, Sargnägel einer guten Gesellschaft, verrecken und dann vermodern sollt ihr, ich bin hier, um euch zu schulen, als Lehrmeisterin bin ich hier für euch, ihr verfluchtes, heruntergekommenes“ an dieser Stelle unterbricht sie ihre Litanei und endet wie so oft mit den Worten, dass sie vorigen Sommer als einzige zum dritten mal beim Gartenfest den Preis im „Hühnertanz“ gewonnen hat.
Dann setzt sie sich an ihren Bettrand und wartet mit dem Geschichtsbuch für Sonderschulklassen „Teil !“in der Hand, auf ihren eigentlichen Auftritt, und manchmal wird sie dabei traurig, Sie sieht sich im Zimmer um, und `nur diese Untermenschen mit nur tierischer Intelligenz sind um sie`, denkt sie. Sie ist aber ein reifes, ausgewachsenes Frauenzimmer mit kräftigen Armen und Beinen, mit normal großem Kopf, nur eben mit dieser Schizophrenie und dem besonderen dringenden Bedürfnis mit jungen Burschen ...ab und zu...wie es die Ärzte es ausdrücken. `Was hat sie verbrochen`, fragt sie sich, `dass sie hier in diesem Scheißhaufen leben muß ?
Sie war Medizinstudentin, erinnert sie sich, hatte in der Abendschule die Matura nachgeholt und sie liebte Eines nur das Weintrinken, Zigarettenrauchen und die zermürbenden Geschichtsepochen, wie sie sie nannte, ja, und auch den einen Tennisverein, von dem sie seit Kurzem immer wieder träumt. Sie hatte eine kleine Wohnung an der „S 3“ und einmal hat sie auch einen Mann gehabt. Er war dumm, das weiß sie heute noch, er verstand nichts von der Zeit und der Geschichte, er konnte auch nicht im Ansatz die Begabung zur von niemandem erreichten Größe verstehen. Die Männer seien alle Hurenböcke ohne Hirn, nur Burschen hätten ihr kurz den Geschmack fürs wahre Leben gezeigt, ehe sie sich freiwillig hierher meldete. Vor zehn oder drei Jahren , das weiß sie nicht mehr. Dann hat sie einen Traum, einen Tagtraum, den sie noch heftiger als früher träumt, und sie ist sicher, dass sie heute reif dazu ist, ein ganzes Volk zu regieren, sie fühlt es, sie hat unzählige Skizzen gemacht für den neuen und einzigen Staat, sie aber gleich und ganz vernichtet. Sie hat sie im Kopf, für die Zeit danach, das weiß sie. Sie ist bereit, auf Abruf sozusagen, wenn dann ihre Epoche kommt, und sie wird kommen, davon ist Doris alias Marie Antoinette heute mehr denn je überzeugt.
In diesem Augenblick öffnet jemand die Türe, und eine Frau in weißem Rock und weißer Bluse tritt ein. Sie schiebt den Frühstückswagen ins Zimmer. Ein kurzer Gruß an die übrigen, standesgemäßes Grüßen für Doris, die aufspringt und sich sogleich an alle wendet:
„Ihr A..löcher, ihr Hurenpack, ihr Zeugungsprodukte von rauschigen alten Böcken und Geißen .....“
„Bravo“, ruft Frau Birgit, die Schwester in Weiß, lachend. Sie schließt die Türe und nimmt im Rollstuhl Platz. „Heute ist wieder Kaiserinnengrußtraining“, fährt Doris fort. „Aufgepasst, sonst gehört das ganze Frühstück mir !“
Sie tritt zur buckligen Grete, und fordert sie auf, es ihr nachzumachen. Diese versucht mit aller Kraft einen Hofknix mit ihren spastischen Beinen, doch auch diesen Donnerstag gelingt es nicht, und Doris isst ihr zur Strafe ihre Marmeladesemmel auf.
Schwester Birgit lacht dazu und nickt. Sturm, die bis zum Halswirbel gelähmt ist und obendrein nicht sprechen kann, fällt sowieso aus der Konkurrenz. Doris hebt zwar ihren rechten Fuß, dieser sinkt aber gleich leblos ins Bett zurück. Sie verspeist eine weitere Marmeladensemmel und sagt, dass ihr das Galakleid bald gut stehen müsste. Dann ist
„Idiotin 2“alias „Maria Stuart“ an der Reihe, sie hebt aber beide Hände in die Luft statt einen Hofknix zu machen; und „Idiotin 1“ alias Kaiserin Elisabeth von Österreich fixiert nur den Servierwagen, weshalb ihr Doris mit dem Hausschuh auf den Hinterkopf schlägt. Schwester lacht schallend, und Doris verspeist weiter Marmeladesemmeln. Nur „Blinde Kuh“ überrascht heute, sie hat wirklich aufgepasst und gelernt. „Einen schönen guten Morgen, Ihre Majestät“, sagt sie leise, aber deutlich und macht ihren Hofknix mit perfekter Grazie. Zwar sieht sie dabei „Kaiserin Elisabeth“ an, aber ein gelungener Versuch, zweifellos. Doris und Birgit sehen sich verwundert an und klatschen. Fleischer verspeist gierig ihr Frühstück.
„Ausgezeichnet“, konstatiert Birgit, „bis nächsten Donnerstag beim Frühdienst“, und klopft Doris leicht auf die Schulter. „Sehr gute Arbeit, lautet mein Bericht an sämtliche Minister Ihrer Majestät !“ schließt sie mit Augenzwinkern ab, dann verlässt sie den Schlafraum.
Doris grinst in sich hinein. Sie zieht das Kleid aus und verpackt es fein säuberlich, ehe sie es im Spind unter den Nachthemden verstaut, denn es ist bald acht, dann kommen die Ärzte – da muß die Welt so gut wie möglich wieder in Ordnung sein.

By Elfriede Herold
 

Clara

Mitglied
der titel ist absolut ok - grins
Der Mensch denkt.

So ein Spökerhaufen herrlich.

Ein paar mehr Absätze täten dem Auge und dem Ablauf gut.
Es ist ziemlich wild da zwischen 7 und 8
 

Retep

Mitglied
Guten Morgen, Elfriede,
ein kleiner Willkommensgruß von mir.

Du erzählst von einer Situation in einer psychiatrischen Klinik. Ich habe da mal längere Zeit gearbeitet, kann sagen, dass das durchaus real ist, was du da berichtest.
Ich habe noch ganz andere Sachen gesehen.

Nach meiner Arbeit in solcher Klinik konnte ich über "Irrenwitze" nicht mehr lachen.
Du versuchst Komik in den Text einzubringen, die bei mir nicht ankommt. Es ist eine tragische Komik für mich.

Ein paar kleine Anmerkungen:

- Doris war Medizinstudentin. Ich glaube kaum, dass sie dieses Vokabular benutzen würde, das du in deinem Text verwendest.
und wartet mit dem Geschichtsbuch für Sonderschulklassen
- bei uns in Baden-W. heißt das Förderschule, Geschichtsbücher, die da verwendet werden, entsprechen dem Hauptschulniveau.
- Vielleicht solltest du kürzere Sätze schreiben.
- einige Formulierungen würde ich noch einmal überprüfen.

Gruß

Retep
 



 
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