Dahlie, herbstrot

4,00 Stern(e) 5 Bewertungen

herziblatti

Mitglied
Dahlie, herbstrot

Leicht aufgestützt auf den zierlichen Spazierstock, der mehr als Hinweis auf ihr Alter denn als notwendige Gehhilfe diente, sagte sie zu ihrer Begleiterin: ”Früher, mit ihm, war es wärmer um die Zeit."
Die Herbstsonne war mild und tief, sie ließ die Blätter an Bäumen und auf den Wegen zwischen den Gräbern aufleuchten.
Er war der dritte Ehemann gewesen, ein heiterer, ja, ein leichtsinniger Mensch, im besten Wortsinn. Er konnte jeder Situation einen Vorzug abgewinnen.
-Mach dir nichts draus, Marie,- pflegte er zu sagen, -wir werden einen neuen Hund kaufen,- oder, -wir werden ein schöneres Haus bauen,- und wenn sie etwas ernst nehmen wollte, bettete er ihren Kopf in die leichte Einbuchtung zwischen Schlüsselbein und Schulter und ließ sie weinen, während er vergangene und kommende Freuden leise murmelnd beschwor.
-Mach dir nichts draus, Marie,- hatte er gesagt, als sie die ständigen Falsch-verbunden-Anrufe nicht mehr ignorieren wollte; -es ist nichts Ernstes,- und aus seiner Aktentasche eine hübsche Jugendstilbrosche oder rote Handschuhe aus Ziegenleder für sie hervorgezogen.
-Mach dir nichts draus, Marie, ich werde auf dich warten,- hatte er gesagt, als er die Diagnose Krebs bekam.
"Ich hatte nie die Wahl", sagte sie, "und für ihn war immer alles einfach, ganz leicht, bis zuletzt.“
Sie bückte sich und zupfte, wie früher ein imaginäres Haar von seinem Revers, eine herbstrote Dahlie aus dem Allerheiligengesteck, warf sie zu Boden und wandte sich zum Gehen.
 

Karinina

Mitglied
Dahlie

Ach mein Gott, herziblatti, es ist zu schön, um wahr zu sein. Noch schöner als die Priemel, auch wenn es hier nur schwarz, oder besser herbstrot ist und der Humor nicht so offensichtlich. Das machst Du sehr gut, Wenn ich wüßte, wie es geht, würde ich Dir eine 10 geben, so weit fortgeschritten in den Bewertungen bin ich noch nicht. Bitte, fühl Dich 10 von mir bewertet!
Ganz liebe Grüße von Karin, die sich eins fühlt mir der Frau und genau das kennt...
 

herziblatti

Mitglied
Dahlie, herbstrot

Leicht aufgestützt auf den zierlichen Spazierstock, der mehr Hinweis auf ihr Alter denn notwendige Gehhilfe war, sagte sie zu ihrer Begleiterin: ”Früher, mit ihm, war es wärmer um die Zeit."
Die Herbstsonne war mild und tief, sie ließ die Blätter an Bäumen und auf den Wegen zwischen den Gräbern aufleuchten.
Er war der dritte Ehemann gewesen, ein heiterer, ja, ein leichtsinniger Mensch, im besten Wortsinn. Er konnte jeder Situation einen Vorzug abgewinnen.
-Mach dir nichts draus, Marie,- pflegte er zu sagen, -wir werden einen neuen Hund kaufen,- oder, -wir werden ein schöneres Haus bauen,- und wenn sie etwas ernst nehmen wollte, bettete er ihren Kopf in die leichte Einbuchtung zwischen Schlüsselbein und Schulter und ließ sie weinen, während er vergangene und kommende Freuden leise murmelnd beschwor.
-Mach dir nichts draus, Marie,- hatte er gesagt, als sie die ständigen Falsch-verbunden-Anrufe nicht mehr ignorieren wollte; -es ist nichts Ernstes,- und aus seiner Aktentasche eine hübsche Jugendstilbrosche oder rote Handschuhe aus Ziegenleder für sie hervorgezogen.
-Mach dir nichts draus, Marie, ich werde auf dich warten,- hatte er gesagt, als er die Diagnose Krebs bekam.
"Ich hatte nie die Wahl", sagte sie, "und für ihn war immer alles einfach, ganz leicht, bis zuletzt.“
Sie bückte sich und zupfte, wie früher ein imaginäres Haar von seinem Revers, eine herbstrote Dahlie aus dem Allerheiligengesteck, warf sie zu Boden und wandte sich zum Gehen.
 

Karinina

Mitglied
Dahlie

Das ist mir schon klar, denn so etwas kann man nur, und genau so , schreiben, wenn es nichts Erlebtes ist. Das ist ja das Sonderbare am guten Schreiben, dass das Nacherzählen vom Erlebten meist altbacken wirkt ( ich denke da an meine Geschichte "Per Anhalter" ). Hier ist es die Erfindung, die Du gemacht hast, und die ist Spitze und passt eben genau in manche Erfahrungen, die ein anderer , wie ich, gemacht hat, und deshalb wirkt es.
L.G. Karin
 

Paloma

Mitglied
Hallo herziblatti,

ich stelle gerade fest, ich mag deine Kurzprosa.
Hier eine kleine Geschichte, die eine offensichtlich lange/intensive Ehe widerspiegelt.

Zwei kleine Vorschläge hätte ich – viellicht magst du darüber nachdenken.

Er war der dritte Ehemann gewesen, ein heiterer, ja, ein leichtsinniger Mensch, im besten Wortsinn. Er konnte jeder Situation einen Vorzug abgewinnen.
Hier würde ich statt der Ehemann, ihr Ehemann schreiben, das fände ich persönlicher.

Und den letzten Satz würde ich nach dem Allerheiligengesteck beenden.

Liebe Grüße
Paloma
 

Vagant

Mitglied
Hallo, da braucht es keine weiteren Worte. Ein Taschentuch vielleicht, mehr nicht. Das ist einfach nur schön gewesen.
LG Vagant
 

herziblatti

Mitglied
Dahlie, herbstrot

Leicht aufgestützt auf den zierlichen Spazierstock, der mehr Hinweis auf ihr Alter denn notwendige Gehhilfe war, sagte sie zu ihrer Begleiterin: ”Früher, mit ihm, war es wärmer um die Zeit."
Die Herbstsonne war mild und tief, sie ließ die Blätter an Bäumen und auf den Wegen zwischen den Gräbern aufleuchten.
Er war ihr dritter Ehemann gewesen, ein heiterer, ja, ein leichtsinniger Mensch, im besten Wortsinn. Er konnte jeder Situation einen Vorzug abgewinnen.
-Mach dir nichts draus, Marie,- pflegte er zu sagen, -wir werden einen neuen Hund kaufen,- oder, -wir werden ein schöneres Haus bauen,- und wenn sie etwas ernst nehmen wollte, bettete er ihren Kopf in die leichte Einbuchtung zwischen Schlüsselbein und Schulter und ließ sie weinen, während er vergangene und kommende Freuden leise murmelnd beschwor.
-Mach dir nichts draus, Marie,- hatte er gesagt, als sie die ständigen Falsch-verbunden-Anrufe nicht mehr ignorieren wollte; -es ist nichts Ernstes,- und aus seiner Aktentasche eine hübsche Jugendstilbrosche oder rote Handschuhe aus Ziegenleder für sie hervorgezogen.
-Mach dir nichts draus, Marie, ich werde auf dich warten,- hatte er gesagt, als er die Diagnose Krebs bekam.
"Ich hatte nie die Wahl", sagte sie, "und für ihn war immer alles einfach, ganz leicht, bis zuletzt.“
Sie bückte sich und zupfte, wie früher ein imaginäres Haar von seinem Revers, eine herbstrote Dahlie aus dem Allerheiligengesteck, warf sie zu Boden und wandte sich zum Gehen.
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Paloma, dankesehr, das 'ihr' habe ich gern genommen, den Schluss wegzulassen, das muss ich überdenken - sie ist wütend auf ihn, sie hat ihm nicht ganz verziehen...
LG - herziblatti
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Herziblatti,

eine einfühlsam geschilderte Szene lieferst Du hier.

In einer Kurzprosa muss jedes Wort stimmen, sagt man mir immer wieder, deshalb meine ich, man sollte vor allem Wortdoppelungen und Hilfsverben möglichst vermeiden.
Leicht aufgestützt auf den zierlichen Spazierstock, der mehr Hinweis auf ihr Alter denn notwendige Gehhilfe war, sagte sie zu ihrer Begleiterin: ”Früher, mit ihm, war es wärmer um die Zeit."
Die Herbstsonne war mild und tief
Hier fällt das dreimalige „war“ kurz hintereinander auf. Mein Vorschlag wäre, dass der Relativsatz zum Spazierstock ganz wegfällt, denn warum sollte die Prota ihn als „Hinweis auf ihr Alter“ benutzen?
Für den letzten Satz könnte ich mir vorstellen "Die milde Herbstsonne stand tief", denn eine Sonne kann nicht "tief sein".

Vom Optischen gefallen mir die Bindestriche vor der wörtlichen Rede nicht, zumal Du sie direkt an den ersten und letzten Buchstaben anklebst. Vielleicht könnte man diese Erinnerungssätze kursiv schreiben und dann auch das zweite und dritte „hatte er gesagt“ auslassen. Das würde dem Text ein wenig mehr Leichtigkeit geben.

Soweit meine Vorschläge, vielleicht kannst Du etwas davon gebrauchen.

Gruß Ciconia
 

Karinina

Mitglied
für Heriblatti

o bitte nicht den letzten Satz wegfallen lassen, der macht ja das Ganze erst zu dem, was es ist....
L.G. Karin
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Ciconia, danke sehr für die Verbesserungsvorschläge, ich muss noch studieren, was mir den Text nicht zu sehr verändert. Den Spazierstock als Requisite, das ist mir aus dem Bekanntenkreis geläufig :)
LG - herziblatti
 

herziblatti

Mitglied
Dahlie, herbstrot

Leicht aufgestützt auf den zierlichen Spazierstock, der mehr Hinweis auf ihr Alter denn notwendige Gehhilfe war, sagte sie zu ihrer Begleiterin: ”Früher, mit ihm, war es wärmer um die Zeit."
Die Herbstsonne war mild und tief, sie ließ die Blätter an Bäumen und auf den Wegen zwischen den Gräbern aufleuchten.
Er war ihr dritter Ehemann gewesen, ein heiterer, ja, ein leichtsinniger Mensch, im besten Wortsinn. Er konnte jeder Situation einen Vorzug abgewinnen.
-Mach dir nichts draus, Marie,- pflegte er zu sagen, -wir werden einen neuen Hund kaufen,- oder, -wir werden ein schöneres Haus bauen,- und wenn sie etwas ernst nehmen wollte, bettete er ihren Kopf in die leichte Einbuchtung zwischen Schlüsselbein und Schulter und ließ sie weinen, während er vergangene und kommende Freuden leise murmelnd beschwor.
-Mach dir nichts draus, Marie,- hatte er gesagt, als sie die ständigen Falsch-verbunden-Anrufe nicht mehr ignorieren wollte; -es ist nichts Ernstes,- und aus seiner Aktentasche eine hübsche Jugendstilbrosche oder rote Handschuhe aus Ziegenleder für sie hervorgezogen.
-Mach dir nichts draus, Marie, ich werde auf dich warten,- hatte er gesagt, als er die Diagnose Krebs bekam.
"Ich hatte nie die Wahl", sagte sie, "und für ihn war immer alles einfach, ganz leicht, bis zuletzt.“
Sie bückte sich und zupfte, wie früher ein imaginäres Haar von seinem Revers, eine herbstrote Dahlie aus dem Allerheiligengesteck, warf sie zu Boden und wandte sich zum Gehen.

© Heidi Merkel
 



 
Oben Unten