Daniel und der Maronenmann

Monika M.

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Daniel und der Maronenmann




Daniel saß auf fremden Treppenstufen und wartete. Eigentlich war heute ein Abend, auf den sich alle freuten. Doch für Daniel war es nur irgendein Abend, an dem er herumsaß und zu frieren begann. Dabei war heute der 24. Dezember.
Auf einmal ertönte ein leises Klingeln und riss Daniel aus seinen düsteren Gedanken. Ein alter Mann schob einen Wagen vor sich her, auf dem mit großen geschwungenen Buchstaben „Heiße Maronen“ stand.
Sofort begann Daniel in seinen Taschen zu suchen. Irgendwo mussten doch noch ein paar Mark sein. Doch er fand nichts. Seufzend sah er auf.
Der alte Mann war vor ihm stehen geblieben und wartete. Nun sah er den Blick des Jungen und lächelte.
„Magst du welche?“, fragte er.
Daniel schüttelte den Kopf. „Hab kein Geld mehr“, gab er zu und blickte auf seine Schuhspitzen. Er fühlte sich auf einmal sehr elend.
Es hatte alles damit begonnen, dass sein Vater seine Arbeit verloren hatte. Über ein Jahr war das nun schon her, und er konnte einfach keine neue Stelle finden. Seitdem mussten sie jede Mark zweimal umdrehen, und Daniels Taschengeld musste ziemlich oft gestrichen werden.
Der alte Mann sagte nichts weiter. Er nahm eine der kleinen Papiertüten und öffnete den Deckel seines Wagens. Die braunen Maronen lagen auf einem schwarzen Rost und wurden über der Glut von Kohlen geröstet. Mit geübten Fingern warf er sie in die Tüte und hielt sie dem Jungen hin.
„Hier“, sagte er, „weil heute Hl. Abend ist.“
Daniel starrte auf die Maronen und versuchte der Verlockung zu widerstehen. Er musste an seinen Vater denken, der wahrscheinlich immer noch auf dem nahen Markt wartete.
„Ich mag keine“, krächzte er.
Der alte Mann war verblüfft. Achselzuckend steckte er die kleine Tüte in seine Tasche und ließ sich ächzend neben Daniel auf der kalten Treppe nieder.
„Warum gehst du nicht nach Hause?“, fragte er und musterte das schmale Gesicht des Jungen. „Warten deine Eltern nicht auf dich? Heute ist doch Weihnachten.“
Daniel seufzte tief auf. „Und wenn schon“, murmelte er leise. „Ich bekomme eh keine richtigen Geschenke. Wir können uns das nicht leisten, verstehen sie.“ Und er dachte an all seine unerfüllbaren Wünsche, an das Computerspiel und das ferngesteuerte Auto und all die Dinge, die andere Jungen mit Sicherheit dieses Jahr bekamen. Bloß er eben nicht.
„Mein Vater hat keine Arbeit mehr“, platzte er heraus und schämte sich gleichzeitig.
Eigentlich hatten er und sein Vater heute gemeinsam einen Weihnachtsbaum holen wollen, doch als sie dann auf dem Markt angekommen waren, blieben sie einfach abseits stehen. Auf einmal begriff Daniel, dass sein Vater kein Geld mehr hatte. Er wollte abwarten, bis an irgendeinem Stand ein Baum übrig blieb. Vielleicht bekam er den dann geschenkt, auch wenn er wahrscheinlich recht kümmerlich sein würde.
Vorsichtig hatte sich Daniel umgesehen. Bei dem Gedanken, dass ihn hier irgendein Freund oder Klassenkamerad bemerken könnte, wurde ihm ganz flau im Magen. Heimlich stahl er sich zur Seite, und schließlich lief er schnell in eine Seitenstraße. So war er auf diesen Treppenstufen gelandet.
„Weißt du“, begann nun der alte Mann zu erzählen, „ich habe schon viele Weihnachtsfeste gefeiert. Einige sind mir besonders unvergesslich geworden. Wir besaßen damals nicht soviel wie heute, und an Geschenke für uns Kinder war gar nicht zu denken. Einmal bekam ich ein paar selbstgestrickte Handschuhe und ein anderes Mal einen bunten Schal. Ach ja, einmal lag ein richtiger Malkasten unter dem Baum, aber der war für alle zusammen. Wir mussten uns ihn durch drei teilen.“
Der alte Mann lächelte versunken bei der Erinnerung. „Aber all diese Feste sind mir unvergesslich geworden, nicht wegen der Geschenke, sondern weil wir sie mit Liebe feierten! Mit der Liebe, die nur eine Familie geben kann!“
Daniel schwieg. Er dachte über seine Eltern nach. Er konnte noch hören, wie vor einigen Tagen seine Mutter leise gesagt hatte: „Was für ein Fest wird das dieses Jahr.“ Doch sein Vater hatte sie in die Arme genommen und erwidert: „Es wird schon gehen. Wir haben doch uns, und das ist das Wichtigste!“
„Du solltest jetzt nach Hause gehen“, schlug der alte Mann vor und erhob sich steif.
Er nahm den Wagen wieder auf, die Glöckchen klingelten leise. Nach ein paar Schritten blieb er noch einmal stehen und griff in seine Tasche. Er nahm die Tüte mit den Maronen heraus.
„Habe ich ganz vergessen“, meinte er und hielt sie Daniel noch einmal hin. „Und denk daran, es ist die Liebe, die dieses Fest so besonders macht, nicht die Geschenke und all das andere Drumherum. Ich bin sicher, deine Eltern lieben dich! Wenn du ihnen nur ein bisschen dieser Liebe zurück geben kannst, dann wird dieser Abend zu einem wirklichen Fest werden.“
Der Klang der Glöckchen wurde schnell leiser und der alte Mann verschwand in einer anderen Straße. Daniel blieb alleine zurück. Die Maronen in seiner Hand waren noch immer warm.
Auf einmal hatte es der Junge sehr eilig. Die kleine Papiertüte hielt er fest in der Hand, die würde er mit seinem Vater teilen, während sie zusammen auf dem Markt warteten.
 

flammarion

Foren-Redakteur
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hallo, monika,

diese geschichte ist zum heulen schön. ein richtiges kapitel aus "unsere kleine Farm". kommt in meine sammlung und wird - mit deiner gütigen erlaubnis und so gott will - nächstes weihnachten vorgelesen. ganz lieb grüßt
 

Monika M.

Mitglied
Hallo und danke,

ich glaube, ich neige zu "rührseligen" Geschichten, seufz. Danke noch mal, so ein Lob baut doch richtig auf. Guten Rutsch.
Viele Grüße
Monika
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
und

ich liebe rührselige geschichten. also sei bitte recht produktiv, bei mir haste dankbare kundschaft. ganz lieb grüßt
 



 
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