Darum Schweigen

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PBaum

Mitglied
„Darum Schweigen“

… meine Herren, meine Herren, nun beschweren Sie sich ja schon wieder, dass ich Ihrer Gesellschaft nichts zu berichten habe, keine spannende Geschichte aus meinem Leben vorzutragen gedenke! Also gut. Sie werden sicher verstehen, weshalb ich es vorziehe zu schweigen, wenn Sie merken, wie Unspektakulär dasjenige ist, was ich berichten kann. Setzen Sie sich also auf dieses Polstermöbel, ich werde sofort mit meinen Ausführungen beginnen.
Es war einer dieser typischen Ausgehabende, ein Wochenendabend. Vielleicht auch in der Woche, ich weiß es nicht mehr so genau, denn bei einer fortwährend unsteten Lebensführung kann jeder beliebige Abend zu einem Ausgehabend werden. Nun, im Ort fand eine Art Stadtfest oder Stadtteilfest statt (meine Herrschaften, das lässt darauf schließen, dass es wohl doch eher ein Wochenendabend gewesen sein muss; Sie müssen meine schlechte Erinnerungsgabe unbedingt entschuldigen!) Da mir also dieses Ereignis wenigstens ein bisschen Zerstreuung versprach, zog ich es in Erwägung, dort hinzugehen. Allerdings war der Tag ein wenig trübe und auch ich selbst kannte schon motiviertere Augenblicke. Ich entschloss mich daher, meine Entscheidung für oder wider das Ausgehen auch wirklich erst am Abend endgültig zu fällen. Nach einer frühabendlichen Lektüre (Dostojewski), die diesmal ausladend theoretisch ausfiel, wenngleich die philosophischen Aspekte wieder sehr interessant waren, raffte ich mich auf, um den Abend nun doch im Freien zu verbringen. Das besagte Fest fand ein wenig außerhalb statt und ich entschloss mich, einen Teil des Weges zu Fuß zu gehen (ein gutes Wegstück kann durch einen schönen Park bestritten werden) und den zweiten Teil dann mit der Straßenbahn zu fahren. Gedacht, getan! Über meinen Weg wüsste ich nichts Gesondertes zu berichten. Wohl ist es eine Marotte von mir, beim Gehen Musik zu hören und die Leute, die mir begegnen sehr genau zu mustern, mir anhand ihrer Physiognomie Gott weiß welche Gedanken zu machen, aber das ist ja nun nichts weiter Außergewöhnliches. Als ich also - es wird etwa acht Uhr gewesen sein - am Ziel angelangte, da wurde ich zunächst erst einmal enttäuscht, denn ob Sie‘s glauben oder nicht, ganze fünf Einheiten unserer geliebten wie gehassten Einheitswährung mussten für den Zutritt entrichtet werden. Für ein Stadtfest! Ich meine, andere Leute müssen dafür fünf Stunden arbeiten. Daher dachte ich sogleich für mich: Heimfahrt! Wie Sie wissen, war ich ohnedies nicht besonders motiviert gewesen. Da ich aber schon einige Zeit und Kraft in den Weg investiert hatte, entschied ich mich nach kurzem Hadern mit mir selbst, den Eintritt zu entrichten. Das Fest, inmitten eines dörflichen Ensembles alter hübscher, cremefarbener Häuser war schon reichlich gefüllt; Weinbuden mit Tropfen aus der Region, Häppchenstände und allerlei verschiedene Markttischchen mit Kunst und was weiß ich nicht allem, lockten die Massen in Bahnen. Hier und da erklang von kleinen Bühnen lustvoll Musik. Ich hatte schon zwei oder drei Tag zuvor mit einem alten Freund eine recht ordentliche Runde gedreht, nach der ich mir vorübergehend Abstinenz schwor, aber wegen des hohen Entrees wollte ich mir dann doch ein Gläschen Weingenuss gönnen. So schlenderte ich also mit meinem Glas durch die Massen, blickte in viele leere Gesichter, die gleichsam ihrer Leere durch mich durchsahen. Wenn man sich einige dieser öden, schlaffen Larven einmal genauer anschaut und in Gedanken versucht hinter ihre Existenz zu kommen, dann ist einem wirklich nur danach, in ihrer Mitte ein Weinglas zerschmetternd zu Boden zu werfen und in schallendes, höhnisches Gelächter auszubrechen. Mir jedenfalls war einen kurzen Augenblick entsprechend zumut.
Aber nun gut! Einige Buden am Straßenrand erregten durchaus mein Interesse; an einem „Kosakenstand“ (so die Aufschrift), gönnte ich mir schließlich ein nahrhaftes Borschtsch und gedachte Gogol, Tolstoi, Dostojewski, den ich soeben noch gelesen hatte, und meinetwegen auch Bulgakow. Oh, edle Literaten, wenn ihr mich so sehen könntet, was würdet ihr von mir schreiben, versteht ihr euch doch so trefflich auf Charakteristik! Nach meinem nahrhaften Mahl kehrte ich, um mein Weinglas des Pfandes wegen zurück zu schaffen, zum Hauptplatz der Festivität, einem hübschen kleinen Dorfanger, zurück. Auf der Bühne, die vorhin noch leer war, spielte nun ein Ensemble mit humoristisch-frohlockender Polka auf. Wirklich nicht schlecht, wie ich gestehen muss; selbst mir alten Stock ging das in die Beine (ich mag ja doch eher Musik zum Hinhören)! Ich platzierte mich ganz in der Nähe der Bühne und sah mir die Band genauer an. Der Sänger, zugleich Zerrwanst spielend und einen eigentümlichen Spaghetti-Bart tragend, die Haare mit Pomade angeklitscht, missfiel mir zunächst, da er mich an die widerlich schleimigen Conférenciers der 20er Jahre erinnerte. Dieser Eindruck währte jedoch nur einige Sekunden und kurz darauf gefiel mir seine spritzig-bissige humoreske Art dann doch außerordentlich gut. Soviel zur Physiognomie des ersten Eindrucks! Die Musik und die Kapelle gefielen mir also, der Teufel weiß warum, aber die hatten halt Esprit!
Man verharrt ja selbst beim fesselndsten Konzerte mit seinem Blick nicht nur auf der Bühne, sondern blickt sich auch geflissentlich um; und dabei sah ich sie! Dieses schlanke Mädchen mit dem ausgesprochen feinen, zierlich geschnittenen Gesicht, frechen Haarschnitt und kecken Blick. Ihre Nase erinnerte mich übrigens grob an die meinige. Ihre Bewegungen waren flüssig und schwungvoll, hatten den gleichen Esprit wie die Musik selbst und waren irgendwie animierend. Den Spaß, den ihr diese Musik ernstlich bereitete merkte man ihr auch an. Kurzum, sie entzückte mich sofort umfassend; ihr inneres Befinden schien ohne Trug mit dem, was ich beim ersten Blick erfassen konnte, einherzugehen. Meine Blicke glitten also, wie Sie unschwer erraten können, nun des Öfteren in ihre Richtung und der Zufall wollte es, dass sich die Blicke trafen. Nur eine halbe Sekunde, wahrscheinlich sogar noch kürzer. Aber mitunter reicht diese unglaublich kurze Zeitspanne schon aus, um bei beiden Beteiligten ein positives Interesse zu erzeugen (einhergehend mit dieser bekannten verspielten Spannung). Und dann treffen sich die Blicke häufiger. Ich habe mich, meine Herrschaften, genau versichert, dass sie sich allein meinetwegen des Öfteren umwandte und Blicke in meine Richtung schickte. Sie täuschte vor, dass sie einen bloßen Blick in die graue Masse werfe, wobei sie sich um 180° drehte und sich dann ganz schnell in die Richtung, in der ich stand, zurückwandte, spürbar länger verharrte und kurz an meinen Augen festklebte, um sich dann wieder unauffällig der Bühne zu ergeben. Die bisweilen wirklich äußerst frivole Musik tat ihr übriges und steigerte die Lust und Intensität dieser Art der wortlosen Kommunikation, dass ich mir ein kindlich-bengelhaftes Grinsen gen Himmel oder Boden zuweilen nicht verkneifen konnte. Aber leider, leider gehen solche Momente auch einmal vorbei und diese angenehm gespannte Situation drohte mit Konzertende auch seinen Schluss zu finden. Meine Herren, was soll ich sagen? Ich wusste genau, dass dies auch wirklich das Ende meines kleinen Glücks war, denn wie und unter welchem Vorwand sollte ich sie denn anständig ansprechen (sie war auch in älterer weiblicher Begleitung: Tante, Mutter, Arbeitskollegin, ehemalige Nachbarin – ich weiß es nicht)? Aber warum? Ich hatte mich doch versichert, dass sie sich wirklich nur meinetwegen umdrehte und mir sehr interessiert in die Äuglein sah! Wie hätte ich nur auf sie zugehen sollen? Vielleicht hatte ich mir ja doch alles nur eingebildet? Ich gestehe meine Schwäche ein, bezeichnen Sie mich meinetwegen auch als feige, mir ist’s egal, so bin ich eben!
So verschwand sie also in der Menge. Ich stand an der anderen Seite des kleinen Platzes und musste, da in der Mitte Tische und Bänke standen, an die der Bühne gegenüberliegende Stirnseite des Dorfangers, um sie noch einmal zu sehen. Vielleicht hätte ich sie ja doch angesprochen! Ach nein, meine Herren, das wäre nicht passiert, ich gelobe es Ihnen! Vielleicht hatte ich auch kurzerhand die Hoffnung, dass sie mich anspricht, was weiß ich denn?
Natürlich hab ich sie nicht mehr gefunden und so verließ ich nach wenigen Minuten des beinahe unbewussten Suchens das Stadtfest um mich über die gusseiserne Brücke zum nächsten Straßenbahnhaltepunkt zu begeben. Und just, da sah ich sie doch, auf einem Drahtesel sitzend sich von ihrer Begleiterin verabschiedend. Natürlich auf der anderen Straßenseite der Brücke, getrennt von Geländern und Straße, sodass ich nicht ohne Weiteres hinüber konnte, um sie vielleicht doch irgendwie anzusprechen (Teufel, ich hätt es ja doch nicht gemacht). Dennoch beschleunigte ich meinen Schritt um sie auf der anderen Seite der Brücke zu erwischen, denn noch unterhielt sie sich mit ihrer Begleitung…………………………………
Sie fuhr mir davon, bevor ich die Mitte der Brücke erreichte. Nur ihr rotes Rücklicht und ihr Kleid betrachtend, rauschte das nächtliche Fußvolk an mir vorbei bis sie schließlich hinter einer Häuserecke verschwand. Ich machte mir meiner Gewohnheit nach wieder Musik an, den Schritt noch immer beschleunigt, und schwor mir, am nächsten Abend wieder dieses Stadtfest zu besuchen.
Meine Herren, so beende ich nun meine Ausführungen. Ich hoffe Sie können nun endlich verstehen, warum ich es vorziehe, vor Ihnen zu schweigen und stattdessen zuzuhören. Ich hätte wirklich nichts Besseres zu berichten, als dieses.

Dresden, Juli 2009
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo,

ein herzliches Willkommen auf der Lupe und viel Spaß beim Lesen, Vorstellen von Texten und natürlich beim Kommentieren.

LG Franka
 
hallo PBaum

der protagonist in deinem text ist doch am erzählen, also unbedingt alle klammern aus dem text entfernen und die Sätze einfließen lassen, denn sie peppen auf.

sprachlich wirklich sehr gelungen, auch nur sehr wenige flüchtigkeitsfehler.

der inhalt- ich sags dir direkt- ich find in fade, da geschieht eigentlich nichts besonderes.

trotzdem habe ich es gerne gelesen, weil du mit den wörtern umzugehen weißt.

alles in allem - ein gelungenes erstlingwerk!

liebe grüße
gernot
 

PBaum

Mitglied
Hallo Gernot,
danke für deine Einschätzung zu meiner ersten kleinen "Schreibübung"! Das macht mir Mut, vielleicht mal etwas anzupacken, in dem der narrative Part stärker ausgeprägt ist als in dieser eher psychologischen Skizze.
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo Patrick,

die Länge Deines Textes in "Kurzprosa" hat mich erst mal abgeschreckt. Aber dann haben mich die Ausführungen Deines Protagonisten neugierig gemacht. Lange fragte ich mich, worauf er hinaus will...
Ich muss mich in diesem Fall dem Kommentar meines Vor"schreiber"s anschließen: Du verstehst es, mit Worten umzugehen! Deshalb auch meine Bewertung "Der Text ist ok". Mach weiter so! Sicher ist dann noch viel mehr rauszuholen!

Auch von mir ein herzliches Willkommen hier auf der Leselupe.
Haremdsame
 

nachts

Mitglied
Hallo PBaum

Sprachlich gefällt mir dein Text, es fließt (vielleicht klingt die eine oder andere Formulierung leicht überzogen - z.B Polstermöbel, fünf Einheiten)
zur Charakterstudie: So wie sich dein Prot darstellt, hätte er wahrscheinlich nicht darauf verzichtet, die philosophischen Aspekte seiner Lektüre etwas genauer zu umreißen.
Ich glaub, es ist ne Gradwanderung (in einer Kurzgeschichte) Handlung nur zu "erzeugen" um einen Charakter darzustellen (außer du nimmst eine manische, außergewöhliche - was immer ... Persönlichkeit)
Es kann, denk ich, passieren, dass die Geschichte/Handlung dann so dahin plätschert (das ging mir mit deinem Text ein bisschen so)
Umgekehrt braucht es, glaub ich - auf der Handlungsebene einen fundierten Charakter, damit sein Agieren plausibel erscheint - und alles an deinem Prot war - für mich - glaubwürdig und nachvollziebar. (Jetzt könnte er eigentlich mal was erleben)

Wenn du von den Gedanken zum Text was brauchen kannst, okay - ansonsten muß es dich nicht kümmern
LG Nachts
 



 
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