Das Erwachen

pitti

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Krachen, splittern, kreischen. Als der Lärm verstummte, lag auf der Kreuzung ein Haufen Schrott. Das waren einmal zwei Autos. Auf der einen Seite kroch ein Mensch auf allen Vieren von der Unglücksstelle fort, auf der anderen Seite hing der leblose Körper eines Mannes aus dem Wrack. Etwas entfernt lag ein herausgeschleuderter, zerstörter Drahtkäfig. Ein Hund befreite sich gerade davon und ließ einige Stücke Fell an den verbogenen Gitterstäben zurück. Er humpelte er zu dem leblosen Mann und leckte ihm das Gesicht ab.

Ich fiel und fiel und fiel in eine bodenlose, körperlose Tiefe. Plötzlich erschütterte eine gewaltige Explosion das Universum. Das Fallen verlangsamte sich, nahm dann aber umso schneller zu. Aus einer anderen Galaxis hörte ich eine Stimme: „Dreihundert! Zurück vom Tisch!“ Dann wieder eine Detonation. Ein gewaltiger Motor begann in rhythmischen Stößen zu arbeiten. Das Fallen hörte auf, ich begann emporzuschweben. Eine andere Stimme sagte: „Wir haben ihn wieder.“ In einem Kreis goldglänzender Lichtkaskaden kam ich an.

„Mehr können wir im Moment nicht für ihren Mann tun, Frau Schulze“, informierte sie der Arzt mit berufsmäßiger Anteilnahme. Sie hatte sich von der Wartebank vor dem OP erhoben und war ihm ein paar Schritte entgegengegangen. „Die Wiederbelebung war erfolgreich. Er schläft jetzt. Das ist gut so, da können sich die Vitalfunktionen stabilisieren. Und Sie schlafen jetzt am besten auch ein bisschen. Wir rufen Sie an, wenn Sie Ihren Mann sehen können.“ „Danke, danke, Herr Doktor, für alles, was Sie für meinen Mann getan haben.“ Da ertönte der Pieper in der Brusttasche des Arztes. „Ich muss in die Notaufnahme, auf Wiedersehen, Frau Schulze!“

Als sich die Frau dem Auto näherte, richtete sich die Rottweilerhündin Anja erwartungsvoll auf und versuchte ihre Schnauze durch den Lüftungsspalt des Fensters zu schieben. Als sie sah, dass Frauchen allein kam, sank sie auf ihrem Platz zusammen. An Kopf und Rücken der Hündin waren Wunden mit flüssigem Pflaster eingesprüht, die rechte Vorderpfote trug einen dicken Verband über den eine Socke als Schuh gezogen war. Monika Schulze kraulte den dicken Kopf, während sich die Hündin an sie schmiegte. „Du hast schlecht auf Herrchen aufgepasst.“ Anja winselte. „Kannst ja nichts dafür, hast selbst was abbekommen“, und nun tropften die Tränen in das weiche Hundefell. Sachte und behutsam leckte Anja die Tränen vom Gesicht ihres Frauchens.

„Setzen Sie sich, Frau Schulze!“
„Warum kann ich nicht gleich zu meinen Mann, wieso wollen Sie mich vorher sprechen, Herr Doktor?“ Angst schwang in Monikas Stimme.
„Sie können sofort zu ihm, aber ...“
„Was aber?“
„Es ist ein Problem aufgetreten. Ihr Mann wacht nicht auf.“
„Wacht nicht auf? Was bedeutet das?“
„Es handelt sich um einen Funktionsausfall der Großhirnrinde bei erhaltener Funktion der lebenswichtigen Zentren des Gehirns, ein so genanntes Wachkoma. Das kommt als Folge von Reanimationen vor. Wenn Sie dann zu Ihren Mann gehen – und deshalb wollte ich vorher mit Ihnen sprechen – scheint es, als ob er wach ist. Die Augen sind geöffnet, der Blick jedoch geht ins Leere und er kann weder emotionalen Kontakt aufnehmen noch Aufforderungen befolgen.“
„Und wird mein Mann wieder aufwachen?“ Monika Schulze richtete sich halb auf und sah dem Arzt erwartungsvoll entgegen.
„Das lässt sich leider nicht vorhersagen. Bei etwa 20 Prozent der Patienten kehrt das Bewusstsein wieder, nach drei Monaten sind es allerdings nur noch 10 Prozent.“
Sie sank in sich zusammen.
„Frau Schulze,“, der Arzt fasste ihre Hände und hielt sie fest in den seinen, „Sie haben jetzt eine große Aufgabe. Wahrscheinlich können nur Sie ihren Mann ins Leben zurückholen. Wir tun alles medizinisch Notwendige, damit sein Körper keinen weiteren Schaden nimmt, aber für die Seele können wir wenig tun. Ein starker emotionaler Reiz, der den Kranken zurückholt, kann oft nur von den nächsten Angehörigen kommen. Besuchen Sie Ihren Mann so oft wie möglich. Da man nicht weiß, was er von der Umwelt wahrnimmt oder nicht, ist es wichtig, sich ihm aktiv zuzuwenden. Sprechen, Berühren und das Vorspielen bekannter Musik können das Aufwachen unterstützen.“
Monika Schulze richtete sich auf und befreite ihre Hände.
„Führen Sie mich zu ihm, mein Mann wird zu den 20 % gehören. Ich hole ihn ins Leben zurück!“

Ich steckte in einer zähflüssigen Masse. Sie umschloss mich von allen Seiten. Verzerrte Lichtimpulse und Geräuschfetzen erreichten mich. Ich wollte mich aus diesem klebrigen Gefängnis befreien. Was an Signalen zu mir drang, wollte ich deuten. Es gelang mir nicht. Ich versank wieder in Schwärze.

„Mutlos, Frau Schulze?“
„Ach, Herr Doktor! Soll man da nicht mutlos werden. Ich mache alles an Übungen und Anregungen was sie empfohlen haben und nichts hilft. Mein Mann liegt da wie ein Stück Holz.“
„Denken Sie nach, Frau Schulze. Vielleicht fällt Ihnen noch etwas ein, was einen starken Reiz auf Ihren Mann ausüben könnte.“
„Er hat sehr an Anja gehangen, ich könnte sie einmal mitbringen. Vielleicht reißt ihn das aus seinem Zustand.“
„Gut! Bringen Sie diese Anja morgen mit. Die Hauptsache, sie werden nicht auf sie eifersüchtig, wenn ihr Mann so an ihr hängt.“
„Ich werde doch nicht auf einen Hund eifersüchtig sein.“
„Einen Huuund? Ein Hund auf der Intensivstation! Das hat es noch nie gegeben.“
„Ich denke, ich sollte alles Menschenmögliche versuchen?“
„Ja, aber, hmm, wir können es einmal probieren. Stecken sie ihn unter die Jacke und bringen sie ihn unauffällig herein. Ich sorge dafür, dass Sie nicht gestört werden!
„Unter die Jacke geht leider nicht. Anja ist eine Rottweilerhündin und wiegt 40 kg.“
„Frau Schulze, sie bringen mich noch in Teufels Küche. Kommen Sie mit dem Hund über die Feuertreppe. Ich sorge dafür, dass die Tür offen ist.“
„Danke, danke, Herr Doktor! Mein Mann wird zu den 20 Prozent gehören, die wieder aufwachen. Ich vertraue fest auf Anja.“
„Vergessen Sie nicht, dass wir uns langsam aber sicher der Grenze nähern, wo es nur noch 10 Prozent sind.
„Anja wird es schaffen, sie ist doch sein Ein und Alles.“

Nun befand ich mich in einem wallenden, grauen Nebel. Wieder nahm ich Geräusche und Licht nur gedämpft war. Auf einmal drängte ein Geräusch alles andere beiseite. Es wurde hell und klar. Jetzt erkannte ich es. Es war das Bellen eines Hundes. Meine Arme und Beine konnte ich bewegen. Meine Hände spürten weiches, warmes Fell. Etwas Feuchtes, Raues wischte über mein Gesicht, wischte wieder und wieder und holte mich in die Wirklichkeit zurück.

Da schlug ich die Augen auf. Ich lag in einem Krankenhausbett. Anja hatte ihre Vorderpfoten auf den Rand gestellt und leckte mir das Gesicht ab. Die Welt und ich waren wieder eins.
 

Pali

Mitglied
Ich will jetzt mal ehrlich mit dir sein...

Die "Todeserinnerungen" (so nenn ich sie jetzt mal) sind gut, die haben Substanz, da steckt was dahinter. Leider (leider!) fällt der Rest der Geschichte dagegen ab, und das nicht zu tief.

Die Story an sich ist, wenn ich das mal sagen darf, Klischee. Zu oft schon gehört, gesehen, gelesen. Nun, das es eine Story schon mal vorher gab, das ist zwar unangenehm, aber das heißt noch lange nicht, dass sie schlecht ist. Kann man ja immer noch was draus machen. Du schaffst das leider nicht, und das liegt an zwei Gründen:

1) Der Hund. Den Hund als rettenden Anker einzusetzen ist eine wirklich schlechte Idee. Das wirkt wie eine Idee aus einer dieser RTL-"Weltpremieren" über Mütter, die als Nonnen verkleidet Drogen schmuggeln und dann in Prostitution geraten.
2) Die Dialoge. Die sind hölzern, wirken aufgesetzt, wenn nicht sogar: abgeschrieben.

Das klingt jetzt verdammt krass, aber ich mein's gut. Denn wenn man dir jetzt, am Anfang deiner künstlerischen Ambitionen, sagt, wie's ist, dann kannst du gezielt da ansetzen, wo's mangelt. Selbsterkentniss ist zwar der erste Weg zur Besserung, aber hey - sonst wären wir ja nicht Künstler geworden, oder? ;)
 

pitti

Mitglied
Antwort an Pali

Hallo Pali,
danke für deinen ehrlichen Kommentar. Deine Abneigung gegen den Hund als Retter kann ich als Hundefreund nicht ganz teilen, noch dazu da ich keine Privatsender gucken kann und mir also der Bezug fehlt. Dazu ist mir das Geld für die Kabelgebühr zu schade.
Deine Kritik an den Dialogen werde ich mir zu Herzen nehmen und sie noch einmal überarbeiten.
Herzliche Grüße!
pitti
 



 
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