Das Flöz - Folge 3

Bio-Design

Mercola erschien in einem blauen Kleid mit knappem Bolero-Jäckchen und versprach nicht zu viel für den Abend. Der Saal war gut gefüllt, und sie schlugen den ein oder anderen Haken, um noch einen Platz zu ergattern. Sebastian zauberte zwei Kissen aus seinem Backpack und nun warteten sie auf den Beginn der Veranstaltung.

Ein grüninvalidiert Frühausgestiegener, es immer schon gewusst Habender, inzwischen haarkranzberaubter Landkreisabgeordneter aus Dortmund räusperte ins Mikro: „Meine Damen und Herren! Nachdem euronautische Biochemiker jahrelang in abgeschotteten Labors Experimente durchgeführt haben, in denen sie pipettoide Einspritzvorrichtungen in wuseliges, amöbiales Ambiente einstechen ließen, geraten die Versuche nun immer mehr in das Kreuzfeuer der Öffentlichkeit. Wo bleiben die Erfolge? Bisher konnte man nur wenige Gene genauer lokalisieren. Beachtlich aber sind die Experimente auch wegen der Höhe der Gelder, die da über den Gen-Tisch gingen, und der Menge in den Wind geschlagener Warnungen. Dazu haben wir heute den Biochemiker Günter Neuwirth eingeladen. Herr Neuwirth, was sagen Sie dazu?“

Neuwirth fühlte sich nicht sehr willkommen, und trotz seines tadellos sitzenden grünen Maßanzugs wirkte er zerknittert. Er musste auf der Hut sein. In Rednerkursen hatte man ihn geschult, bei Interviews Einsparungen als Verdienste, und Fernziele als Rechtfertigung für die Fördermittel zu verkaufen. Er war darauf trainiert, auf dem schmalen Grat der Verständnislosigkeit der breiten Masse, und dem Argwohn der Berufsethiker sicher zu schreiten. Mit samtener Theo-Lingen-Stimme setzte er vorsichtig an: „Die Eiweißstoffe, die Proteine, diese Grundbausteine der Materie, führen uns vor, was in den evolutionären Wandlungen der Zellforschung möglich geworden ist.“

„Was heißt, geworden ist?“, rief Mercola dazwischen und hieb mit dem Bleistift in die Luft. „Haben Sie schon Versuche durchgeführt, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß?“ Sebastian stieß ihr in die Rippen. Unverständig schaute Neuwirth in die Richtung der Ratsuchenden und zuckte die Schultern in bourbonischer Unschuld. „Wissen Sie, wir Wissenschaftler sind ja Chauvinisten.“ Ein Raunen ging durch den Saal. „Chauvinismus ist ja der Glaube an das Überleben der eigenen Rasse. Es ist uns gelungen, die Struktur der Peptiden zu entschlüsseln und sie gezielt an ihrer fatalen Disfunktion im Gehirn zu hindern.“ Und schulbubenhaft fügte er hinzu: „Na ja, so weit unsere Mittel das erlauben.“ „Verschleudert wird bei Ihnen nichts, höchstens verschüttelt!“, rief ein Mann dazwischen. Jetzt wurde Neuwirth lauter. „Die Firma BIO-Chem hat das Präparat Complexin designet. Dies gehört zu den modernsten Biobausteinmedikamenten auf dem Markt. Sie sind ein Turboantrieb für die Übermittlung von elektromagnetisch messbaren Impulsen der Neurotransmitter.“

Der Reporter des „Daily Bulshit’, ein von Agrarwirten besonders arg gebeuteltes Provinzblättchen aus Giessenhagen, war aufgesprungen . „Sie sind auch so ein Turboantrieb für die beschleunigte Durchführung von Experimenten, die noch nicht genehmigt sind! Sind Ihnen die ethischen Gefühle der Menschen einerlei?“ Neuwirth atmete tief durch. Mit dem Finger nach vorn stechend rief er: „Nein, aber die Zeit schreitet voran, und manchmal auch über die Köpfe derjenigen hinweg, die die Wissenschaft aufhalten wollen.“ Er drohte mit dem Finger Richtung Reporter: „Wir geben zu, dass die Feinstruktur des Erbgutes noch nicht entschlüsselt ist. Die Entwicklung der Wissendschaft geht rasant voran. Alles ist schneller geworden, das sehen Sie an Ihren PCs . Und bitte verstehen Sie, auch wir mussten unseren Takt erhöhen. Von den 30 Milliarden, die für die Forschung ausgegeben werden, gehen nur 1,85 Milliarden an die Gen-Technik. Und davon bekommen wir gerade mal 450 Millionen. Der Rest versickert in Taschen, über deren Abgründe wir uns keine Vorstellung machen. Wir jedenfalls arbeiten weiter, bis wir uns die Gene untertan gemacht haben!“

„Schönen Gruß von Dr. Frankenstein, der macht es bald auf Krankenschein“, rief ein hagerer Brillenträger. Die Meute lachte. Ein anderer rief: „Manipulierte Nukleotiden: zweiter Gang rechts!“ Ein dritter stimmte ein: „Gemeiner Muskelaufbau: zur Bar im Fitnessbereich.“
Neuwirth unterlief diese Sabotage der hechelnden Journaille, und versuchte nun eindringlich durch Zahlen zu beeindrucken: „Das Erbgut hat 150.000 Bauteile. Diese müssen Sie sich als kleine Fabriken vorstellen, die den Proteinen neue Formen der Zusammenarbeit beibringen. Zum Beispiel hat die INTER-CHEM bereits Blendschutz in Augenlider eingebaut! Oder den Befehl, der Zucker möge vom Organismus gut verarbeitet werden“

Der Anflug von Triumph auf seinem Gesicht wurde durch die Bemerkung eines zum Zeilenknecht degradierten Philosophen erstickt, der ihn Dummy der Gen-Industrie nannte und der blanken Geldgier bezichtigte. Neuwirth zog sich hinter die Behauptung zurück, nur mehr darüber wissen zu wollen, wie sich Eiweiße zueinander verhalten. Er wollte schließlich nicht mit Understatements nach Hause gehen. Seine Stimme hatte nun etwas Unnachgiebiges und der unverhohlene Anspruch der Biochemie sprudelte aus ihm heraus: „Wir wollen ganz vehement in die Zukunft eingreifen!“

„Passen Sie nur auf, dass Ihre eigenen Klone Sie nicht arbeitslos machen!“, witzelte ein frühreifer Rentner. Neuwirth lullte sein Publikum in den Gedanken ein, dass die menschliche Rasse ein kritisches Stadium erreicht habe. „Hey, unser biotope Chemiker wirkt ein wenig angeschlagen“, stieß Mercola jetzt zurück. „Warum ist sein Tonfall so weich geworden, wie ein lange im Wasser schwimmendes Ruder?“ Die von der erhitzten Mercola ausströmende Brise weicher Weiblichkeit ließ Sebastian einen Moment in zauberhafte Atolle abtauchen. Sie kniff seinen Arm: „Ha? Wo ist sein Schneid geblieben?“

Während die Reporter fleißig an Lap-Tops die Flat-Rate nutzten, formte sich in dem geschulten Gehirn des chromosomen Genökologen der nächste Gedanke: „Die Zauberlehrlinge der Moderne sind die mit Greifarmen versehenen Biocomputer, die unablässig Flüssigkeiten schütteln. Einhundertmillionen Zellen wollen am Leben erhalten werden, meine Herren!“ „Vorhin haben Sie 150.000 genannt. Sie widersprechen sich, Herr Neuwirth!“ rief der Student, der gleichzeitig Mercolas Fingernägel spürte.

Neuwirth erhöhte jetzt die Eindringlichkeit seines Vortrags und er warf einen Projektor an. Unter dem sich dimmenden Licht des Saales wurde auf der Leinwand eine galaktoide Struktur erkennbar und als Zellmantel vorgestellt. „Und immer noch schauen die Wissenschaftler voller Faszination auf die bizarren Gesetze der Quantenmechanik.“ Bildwechsel: Ein DNA-Modell. Die Rauchwolken von Zigaretten und Pfeifen stiegen in das Licht des Projektors. „Die Nano-Maschinen sind der vorwärtsdrängende Schritt zur künstlichen Intelligenz.“ Ein junger Lokalschreiber rief: „Künstliches Leben! Geben Sie es doch zu. Sie wollen Gott spielen!“

Jetzt erst merkte Neuwirth, dass er sich weiter aus dem Fenster gelehnt hatte, als ihm irgend jemand je geraten hatte. Gleich kam auch der nächste Hieb vom Reporter des ‚Daily Bullshit’, der jetzt aufgesprungen war : „Und während jährlich 50 Millionen Schweine produziert werden, und in den engen Zuchtstätten darauf warten, sich gegenseitig ihre aggressiven Verhaltensweisen abzugewöhnen, kommt der Gehilfe des Doktor Mabuse ins Gehege und packt ein paar neue Präparate aus: Hormone, mikrowellengeprüft. Der Schweineflüsterer bewegt sich auf dem Hof wie zuhause“ Er schaute finster in Richtung Podium. „Der menschliche Zellhaufenverband trainiert schon gegen die mit dem Fleisch mitverzehrten Amphitamine. Allergisierenden Hautflechten breiten sich über Europa aus. Aber das juckt Sie ja nicht, Herr Neuwirth!“

„Hey, der geht ja ran“ lobte Sebastian und hielt Mercola eine Thermoskanne hin. Dabei berührte er ihre Hand. Der Wissenschaftler nahm sich das letzte Wort: „Wir werden auch die Allergien verstehen lernen. Aber unser Fernziel ist die künstliche Intelligenz. Ich danke Ihnen.“

Er ging rasch ab und die Journalisten rauften sich erst die Haare und dann zusammen, um in der Kantine noch einige SMS zu verschicken. „Wollen wir noch irgendwo hingehen“, fragte Sebastian. Sie legte das Leuchten in die hintere Ecke ihrer Augen und zuckte mit den Schultern. So kam es zu einem mittelschweren Besäufnis in der „Ampütte“, einer Essener Eckkneipe, die die Schließungszeiten regelmäßig amtlich unterlaufen durfte.

Sebastian bestellte zwei Gatzweiler und während Mercola aus Bierdeckeln ein Reihenhaus baute, sprudelte sein Plan auf den derben Biertisch. „Ich habe da eine Idee. Sie ist noch nicht ausgegoren, aber ich sehe es förmlich vor mir“, schmunzelte er.

Er erzählte von den stillgelegten Zechen und der Möglichkeit, dort unten einen gigantischen Vergnügungspark aufzubauen. „Warum erzählst du das nicht deinem Professor, er könnte vielleicht helfen“, sagte sie leichthin. „Meinst du?“ „Na klar, wenn einer deine Idee verstehen und umsetzen könnte, dann er.“

Nach vier Bieren waren sie näher zusammengerückt, und er hatte schon seinen Arm um sie gelegt und in ihren Haaren gewühlt. Doch schließlich wollte sie den Heimweg allein bestreiten. Und so fand er, das Weite suchend, nur die Enge der inneren Befangenheit.
 

Zefira

Mitglied
Hallo Doktor,
machst Du nicht mehr weiter?
Ich warte auf die Fortsetzung, ich will wissen, wie Sebastian sich die Finanzierung vorstellt!
Als Kritik habe ich bisher nur anzumerken, daß mir diese überkandidelte Wissenschaftlichkeit langsam zuviel wird. Wenn das nicht wirklich wichtig ist für die Geschichte, würde ich da mal ein bißchen stutzen. Bin gespannt.

Liebe Grüße,
Zefira
 
Hallo Zefira!
Ohne die Kommentare der User war ich schon sehr unsicher, ob ich weiter posten soll.
Du hast auf die überkandidelte Wissenschaftlichkeit hingewiesen. Nun, das war so etwas wie die Pflichtübung, mich in einen solchen Rahmen einzudenken - einer der Protagonisten ist nunmal Wissenschaftler - aber ich werde solche Passagen in Zukunft auf ein gesundes Maß zurechtstutzen. Aber jetzt, nach einem weiteren Mal Mutmachen von Deiner Seite arbeite ich fieberhaft an Folge 4, die zum Glück lockerer einherkommen wird. Grazie!
 



 
Oben Unten