Das Flöz - Folge 6 - Alpha-Zustand

Alpha-Zustand


Sebastian und der Professor glitten in ihrem Grubenfahrzeug nahezu lautlos durch den Stollen. Sie hatten es Celestian getauft. Die Scheinwerfer bohrten sich in die Dunkelheit und flackernd brach sich das Licht ihrer am Helm befestigten Grubenlampen an den für diese Jahreszeit sehr schnell vorbeigleitenden Wänden und erzeugte eine gespenstische Szenerie.

Ein Ruckeln ging durch das Gefährt. Der Professor hatte verlangsamt. Er kontrollierte die Messanzeigen und tippte Daten ein. „Da schau!“, deutete er nach draußen.
In einem Seitenstollen fraß sich die automatisierte Kohle-Abbau-Fräse mit 40 cm/h in den Stein und warf die herausgebrochenen Felsbrocken auf die langen Förderbänder, die mit rüttelnder Monotonie das von Kohle durchsetzte Gesteinsmaterial nach oben schlabberten. „Wenn die mal reißen!“, flaxste Sebastian. Sie winkten dem an der Maschine stehenden Arbeiter ein Glück auf zu und nahmen dann wieder Fahrt auf.

„Wat grinsen wir denn so dreckig?“ fragte Sebastian. „Ich muss hier unten oft denken, dass unser Universum zu 90 % aus sogenannter dunkler Materie besteht.“ „Woher will man das wissen?“ stichelte Sebastian. Der Professor lächelte linkisch: „ Weißt du, die Grubenarbeiter wurden hier früher jeden Tag ans Kreuz der Materie gemartert, an den Urstoff, den Kohlen-Stoff . Das ist der zu Kohle gewordene Sonnenstrahl, der schwarze Diamant. Es ist aber gleichzeitig auch der legendäre Adamas, der Stein der Weisen“. Sebastian war in sich zusammengesunken: “Ich beginne zu begreifen, was Einstein mit: Materie ist geronnenes Lichtgemeint hat“, stöhnte er und hielt sich den Magen.

Der Professor hatte merklich beschleunigt. Der Celestian war ausgestattet wie eine Raumkapsel. Dort wo früher Drehkurbeln und Bremshebel saßen, glänzten nun elektronische Displays. Die große Kurbel hatte er aus nostalgischen Gründen an ihrem Platz belassen. Sie steuerte die Geschwindigkeit, die bei den High-Speed-Fahrten für gleichmäßiges Gleiten sorgte. Mit der Frühwarnanlage verbunden, war die gesamte Gleisstrecke auf der Monitor-Wand in der Kommando-Zentrale verfolgbar.

„Schau, was ich gefunden habe!“ Der Professor kramte ein paar kalkige Objekte aus der Tasche und zeigte sie Sebastian. „Wow, das sind ja, ...... laß mich schätzen: Also, präkambrisch mindestens!“ “Knapp vorbei, mein Freund, wenn auch nur um Eiszeitlänge. Es ist eine shrimpsverwandete, Amöben und Einzellervertilgungs-, bernsteinabstoßende, spiralig auswärtsgerollte Sandgoldedelmedusenstalaktitensumpfschnecke aus dem späten Paläozoikum.“ „Ah, verstehe, also aus der Zeit kurz nach dem Abklingen des Schlimmsten!“, regte sich Sebastian jetzt wieder.

Er hatte sich an die Geschwindigkeit gewöhnt. „Ich habe die Programme“, schnalzte er trocken. Der Professor hatte sich bisher gegen diesen Spökenkieker-Humbug-Firlefanz-Hanebüchenkram gewehrt. Aber es interessierte ihn nun doch, was die Kollegen vom Monroe-Institut an Ergebnissen aus den Forschungen über Gehirn-Wellen vorweisen konnten. „Gib schon her“, sagte der Professor, und öffnete einen Daten-Schlitz, schob die CD ein und schaltete den Celestian auf Automatik. Sebastian setzte ihm vorsichtig einen spacigen Brillen-Kopfhörer auf und schaltete das Brainmachine-Programm ein. Der Professor sah sich einer Flut von Lichtimpulsen ausgesetzt, und verwirrt lauschte er auf die trommelfellbombardierenden Akkustiksignale. Sebastian wusste, dass er jetzt gleich den Alpha-Zustand erreicht haben würde, einer leichten Trance, die knapp unterhalb des normalen Wachbewusstseins liegt, der Betha-Zustand genannt wurde. Der Omega-Zustand dagegen war etwas für Fortgeschrittene. Er ließ hinuntertauchen in eine scheintotenartige Tieftrance, die Kommunikation mit den Geistern ermöglichte.

Sanft war ein unmerkliches Schaudern durch den Wagen gelaufen. Der Professor bewegte die Lippen, und schrieb mit dem Zeigefinger in die Luft. Die unter der Brille vorbeigleitenden Muster veränderten sich nun von zackigen zu runden Formen. Trotz der Hitze, die durch handtellergroße Ventilatoren gemildert wurde, zog der Professor fröstelnd den Jackenkragen hoch. Dann hatte er langsam zu sprechen begonnen, während Sebastian auf Mitschneiden drückte.

"Ich sehe die Zentrale..... Fiberglasleitungen... blau.... rot..... grün und....... grellweiße Adern .... da...jetzt eine Turbulenz...jahaha... Beschleunigungsphase.... die Farbstränge.... formen sich zur DNA-Doppelhelix ... Farbspiralen,..... ah, wie schön......sie tanzen....ja....das solltest du sehen....in anmutigen Sequenzen tanzen sie die Zyklen der Jupitermonde nach!
Sebastian hörte mit den Armen hinterm Kopf zu.
„Die Topographie des Raumflugs........... dimensionale Erstreckung....... Surveyor.....Luna 10......Orbiter.... bemannt - beweibt -............ raumumweltet...... Sauerstoff umhüllt uns ........schützt vor Ultras aus dem Alölöaloo ..... Meteore verglühen ......abgefangen vom blauen Äther ...Dunst...... seismographisch eruptiv der Aufprall ..... da....der Mond .....ja, ich verstehe.....
Er wurde leiser und krümmt sich leicht zusammen. “Da, schau doch! Diese fünf runden Felsen im Meer der Ruhe...... und da...dazwischen .....aderartigen ausgetrockneten Flußbetten......die kleinen... runden Formen.... es sind.... Behausungen.....und die Großen ....sind .....ja natürlich .....wieso ist da noch niemand drauf gekommen.....es sind .......Energieverteiler!"

Der Professor verstummte und atmete ruhig. Das Programm war zu Ende. Sie räkelten sich und Sebastian reichte dem Professor einen Schluck aus seiner Thermoskanne. „Danke, mein Lieber. Das war ja wirklich interessant. Du hast doch nicht etwa mitgeschnitten?“ Sebastian grinste, „tja, nun weißt du, was in Sektor M&A läuft." „Sektor was...?“
„Ja im Sektor Meditation und Apokalypse gehört dieses Programm zur Grundausstattung“. "Na, da bin ich ja beruhigt", witzelte der Professor und deutete auf den Tee: „Na, was haben wir denn heute darinnen? Frusti-Tee mit Aufputsch-Versprechungen oder hermaphroditische, und dazu noch antiseptisch breitestwirkende Aufreißmittel?“
 



 
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