Das Frühstückchen

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Beluga

Mitglied
„ Ich verlasse dich!“
Alles ist wie immer perfekt. Der Tisch perfekt gedeckt, edles Porzellan, die Teekanne auf dem Stövchen, Alex mit einem schneeweißen Hemd. Die perfekt gebundene Krawatte in der Mitte des Hemdkragens.
„Warum?“
„Was heißt warum? Ich verlasse dich!“
„Warum!“
Mit einem leisen Klirren stellt Alex die Teetasse ab. Seine Linke zerknüllt langsam die Lokalseite der Tageszeitung.
„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast: warum!“
„Also warum?“
„Ja genau deshalb. Warum tust du dies, weshalb tust du das, wieso, wann, wo, warum. Immer nur Fragen und Rechenschaft abgeben. Du bist ein verdammter Korinthenkacker, ein pedantischer Beamtenarsch. Ich verlasse dich!“
„Warum?“
„Weil, weil, ach deine verfluchte selbstgerechte Ehrbarkeit kotzt mich an!“
„Warum?“
Mit der Rechten lockert Alex den Hemdkragen und den engen Binder.
„Du bist eine führende Autorität auf dem Gebiet des Narzissmus. Ich hasse dich!“
„Warum?“
„Weil du bis zur Unerträglichkeit vom deinem eigenen, eingebildeten Genie begeistert bist. Dabei bist du lediglich ein Hochpinkler, ein Gassenglänzer. Du hast die Gefühlswelt eines Spazierstocks! Ich verlasse dich!“
„Warum?“
„Ich habe einen anderen!“
Alex lockert die Krawatte, bis sie wie ein Schlabberlatz auf seiner Brust hängt.
„Warum?“
Mit einem Aufschrei ergreift Romy ihr Frühstücksmesser und stürzt sich auf ihn.
„Ich hasse dich, ich hasse dich,“ schreit sie wild aufheulend bis er ihr das Messer aus der Hand windet. Dann verlässt sie schluchzend den Raum.
„Warum nur immer beim Frühstück,“ fragt sich Alex als er seine Teetasse zitternd zum Mund führt.
 

Axel B

Mitglied
Hallo Doris,

ob beabsichtigt oder nicht, ich bin eine ganze Zeit lang davon ausgegangen, dass Alex verläßt und Romy verlassen wird. Als dann im Laufe der Geschichte in meinem Kopf Klarheit einkehrte, fand ich sie sogar noch besser. Beim zweiten lesen musste ich dann von Begin an schmunzeln, weil es soo aus dem Leben gegriffen ist.

Beste Grüße
Axel
 
Hallo Doris,

sehr vergnüglich – besonders das "Warum" mit dem Ausrufezeichen!
Hochpinkler und Gassenglänzer kannte ich noch nicht ;-)

Viele Grüße
Susanne
 
D

Denschie

Gast
hallo beluga,
mir gefällt diese szene sehr gut.
nur witzig ist sie meiner meinung nach nicht.

alex, der nach und nach seine perfektion aufgibt,
die krawatte und den hemdkragen lockert, sich in
der zeitung festkrallt - das alles zeigt, wie
sehr auch er emotional beteiligt ist und seinen
letzten rettungsanker darin sieht, zumindest verbal
der alte zu bleiben. sein "warum" ist anscheinend die
einzige reaktion, zu der er sich noch in der lage fühlt.
dazu im gegensatz die immer hysterischer werdende frau,
die schließlich sogar mit dem messer auf ihren mann
losgeht.
einen lustigen eindruck machen die beiden nicht.
der letzte selbstironische satz, den alex spricht,
der lässt schmunzeln. auch die schimpfworte, mit denen
sie ihren mann belegt, haben etwas amüsantes.
die aussage bleibt für mich dennoch bitter.

stilistisch gefallen mir die dialoge, oder eher monologe.
romys aussagen sind flüssig zu lesen. nicht gekünstelt.

gleich zu anfang entsteht jedoch meiner meinung nach ein
kleiner bruch:
Alles ist wie immer perfekt. Der Tisch perfekt gedeckt, edles Porzellan, die Teekanne auf dem Stövchen, Alex mit einem schneeweißen Hemd. Die perfekt gebundene Krawatte in der Mitte des Hemdkragens.
dieser abschnitt soll wohl die atmosphäre, den ort der
handlung nahe bringen. diese aufgabe erfüllt er, aber aus
einer erzählperspektive heraus, die sonst in der story
nicht mehr vorkommt. im weiteren verlauf werden meinungen
per direkter rede oder geste vermittelt, hier benutzt
du jedoch wertungen ("perfekt") in der beschreibung.
das ist nur eine kleinigkeit, aber um den lesefluss
perfekt zu gestalten, wäre das eine stelle, an der du
noch feilen könntest.

viele grüße,
denschie
 

Beluga

Mitglied
Hallo Denschie,
danke für deine Beurteilung. Die Szene sollte eher bissig als witzig sein.
Die Einleitung sollte die Perfektion des Umfeldes demonstrieren.
Wie würdest du das rüber bringen?
Danke von Doris
 
D

Denschie

Gast
Hey,
ich versuch`s mal:

[strike]Alles ist wie immer perfekt.[/strike]
[blue]Der Satz muss hier gar nicht stehen, denn du schilderst
einen kurzen Ausschnitt. Wie die Leute ansonsten leben, ist nicht interessant in diesem Kontext. Der Leser lernt sie nur so weit kennen, wie es für diese Szene nötig ist. [/blue]
Der [strike]Tisch perfekt [/strike][blue]Frühstückstisch ist[/blue] gedeckt, edles Porzellan, die Teekanne auf dem Stövchen, Alex mit einem schneeweißen Hemd. Die [strike]perfekt[/strike] akkurat gebundene Krawatte in der Mitte des Hemdkragens.

Soweit der erste Vorschlag. Du könntest jedoch auch noch
weiter gehen und ihn auf einen Satz zusammen kürzen:
Sie sitzen um den gedeckten Frühstückstisch.

Für meinen Geschmack reicht dieser Satz aus, weil er alles
sagt, was wichtig ist. Dass Alex ein Perfektionist ist, erfahren wir im Dialog viel besser, als in der Erklärung.

Viele Grüße,
Denschie
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo Beluga,

und wenn du den Perfektionisten noch pointierter darstellen möchtest, könntest du das "zitternd" am Schluss ebenfalls streichen - das "immer beim Frühstück" impliziert, dass er diese Situation schon häufiger erlebt hat ...

Grüße von Zeder
 

majissa

Mitglied
Liebe Doris,

einerseits keine schlechte Idee, das Zittern wegzulassen. Irgendwie passts ja nicht zu einem Typen, der seine tobende Frau immer weiter mit seinem "Warum?" provoziert. Das setzt schon eine gewisse Kälte und Gelassenheit voraus. Andererseits könnte man es auch so verstehen, dass er sie inbrünstig hasst und am Ende vor unterdrückter Wut zittert. Es ist schwierig. Aber was ich eigentlich sagen wollte: Ich finde den Text klasse. Humorvoll, flüssig zu lesen und Lust auf mehr machend.

Lieben Gruß
Majissa
 
D

Denschie

Gast
Ich denke auch, dass das Zittern drin bleiben sollte.
Der Charakter braucht nicht gar so eindimensional
herüberkommen. Warum sollte er nicht zittern oder
unsicher sein? Nach Außen geben Menschen sich häufig
anders, als sie sich wirklich fühlen. Das kann auch in
einer solch kurzen Szene aufgezeigt werden. Gelungen,
wie ich schon sagte.
Denschie
 

Beluga

Mitglied
Danke Euch allen für Eure Meinung. Jeder, der noch nicht lange schreibt, ist froh wenn andere ungeschönt ihre Beurteilung abgeben. Das kann man von Freunden nämlich leider nie erwarten.
Danke von Doris
 



 
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