Das Geheimnis der ewigen Jugend

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steinbox

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Während der Fahrt mit dem IC Deichgraf von Niebüll nach Köln hatte sie sich nun schon mehrere Stunden mit ihrem Gegenüber angeregt unterhalten. Er hatte so reichhaltig aus seinem Leben erzählt, dass er viel älter hätte sein müssen als er aussah.

„Sagen sie, wie alt sind sie denn.“
Er lächelte. „Ich bin vor vier Wochen 53 geworden.“
„Das kann nicht sein, sie sehen aus wie höchstens 30.“
„Vielen Dank.“
„Sie scherzen.“
„Es ist wirklich so.“
„Ich glaube es nicht.“
Er nahm seinen Ausweis aus seiner Brieftasche und reichte ihn ihr herüber.
Sie betrachtete ihn von allen Seiten und schüttelte den Kopf.
„Das ist unglaublich. Sie sehen so jung aus und ihrem Ausweis nach müssten sie 53 Jahre alt sein.“
„Tja, gut gehalten, nicht?“
„Wie kommt das? Besonders gesund scheinen sie ja ihren Schilderungen nach nicht gelebt zu haben.“
Er presste die Lippen aufeinander.
„Ich erzähle ihnen lieber eine Geschichte aus dem Tschad. Vor drei Jahren habe ich dort einmal einen Sokoro getroffen, der ....“
„Lenken sie doch nicht ab. Wie kommt es, dass sie so jung geblieben sind?“ unterbrach sie ihn.
Er schaute einen Augenblick aus dem Zugfenster, dann sagte er: „Na gut. Wenn sie unbedingt wollen. Das Geheimnis ist, ich leide an einer Krankheit. Sie nennt sich tripophyle Gerontoralis. Ich empfinde es zwar eher als einen Glücksfall, aber da mein Zustand durch Viren ausgelöst wurde ist es eine Krankheit.“
Sie schaute ihn sich noch genauer an und sagte:
„Eine Krankheit. Aha. Wann haben sie diese Krankheit denn bekommen? “
„Ich habe mich angesteckt, als ich 24 Jahre alt war.“
„Und seit dem sind sie nicht mehr gealtert?“
„Wie sie sehen.“
„Und innerlich?
„Meinen sie die Organe oder den Verstand?“
Er lachte.
„Die Organe.“
„Topfit. Ich habe sogar noch alle meine Zähne. Schauen sie mal.“
„Und sie haben sich angesteckt, sagen sie?“
"Ja."
"Wie denn?"
„Nun,“ er räusperte sich und schaute auf den Abteilboden. “Angeblich wird der Erreger beim Geschlechtsverkehr übertragen.“
Sie lachte schallend. Dann runzelte sie die Stirn.
„Das ist nicht ihr ernst.“
„Und sie stecken auch jemanden an, mit dem sie Verkehr haben?“
„Angeblich in 98% aller Fälle. Aber ich schütze mich natürlich immer. Ich weiß ja nicht ob jemand das will.“
„Was heißt denn ‚ob das einer will’? Das will jawohl jeder!“
„Um ehrlich zu sein ich gebe es nicht gerne weiter. Immerhin habe ich ein erträgliches Einkommen dadurch.“ Er strich sich über den Revers seines feinen Anzuges. „Die Pharmaindustrie bietet mir allein für eine Blutprobe mehrere tausend Euro. Aber je mehr Menschen diese Krankheit haben, desto geringer wird mein Marktwert.“
Sie öffnete ihre Bluse ein wenig und strich sich die Strümpfe glatt.
“Sagen sie, sie hätten nicht vielleicht Lust...?“
„Nein, ich habe keine Lust.“
„Ach kommen sie. Was ist denn schon dabei?“
Im Vorrübergehen blickte der Schaffner kurz in ihr Abteil.
„Das kann ich ihnen wohl sagen. Ich kenne sie überhaupt nicht und zu alt sind sie mir auch. Warum sollte ich also?“
„Vielleicht aus Barmherzigkeit? Ich bin jetzt schon 37. Schauen sie mich an. Die Zeit ist nicht spurlos an mir vorrübergegangen.“ Sie machte ein mitleiderregendes Gesicht.
Doch er blieb hart: „Ich sage: Nein!“
„Sie können mir doch nicht erst von der Unsterblichkeit erzählen und sie mir dann vorenthalten.“
„Sie haben mich dazu gedrängt es zu erzählen. Außerdem weiß niemand ob ich unsterblich bin. Ich altere halt nur nicht.“
„Ich gebe ihnen hinterher im Speisewagen auch ein Bier aus.“ Sie lächelte schelmisch und nickte in Richtung des Ganges.
„Sie haben ja wohl nicht mehr ale Tassen im Schrank! Meinen sie ich prostituiere mich für eine Dose Bier?“
„Nun gut. Entschuldigen sie bitte. Das war nur so dahingeplappert. Sagen wir, ich zahle ihnen 500,-- EURO. Das ist alles, was ich dabei habe. Was halten sie davon?“
„Andersherum, ich zahle ihnen 500,--Euro wenn ich es nicht tun muss. Was halten sie davon?“
„Gar nichts.“
„Reden wir einfach kein Wort mehr darüber.“
„Also gut. Ich zahle ihnen 5.000,-- Euro wenn sie in Münster mit zur Bank kommen. 600,-- kann ich ihnen jetzt schon geben. Das ist dann wirklich alles was ich bei mir habe. Aber dafür müssen wir es jetzt gleich hinter uns bringen.“
„Also gut. Abgemacht.“

Nachdem er das Geld verstaut hatte verschwanden sie gemeinsam für eine viertel Stunde auf der Zugtoilette.

„Ahhhh.“ Sagte sie, als sie wieder in ihrem Abteil waren und räkelte sich auf ihrem Sitz. „Ich fühle mich wie neugeboren. Meinen sie es wirkt schon?“
„Eigentlich nicht. Sie sollten sich aber lieber legen, damit das Sperma nicht auslauft. Noch einmal gebe ich mich nicht her.“
„Noch einmal könnte ich meine Ekelschwelle sowieso nicht überwinden. Sie hässlicher Erpel.“
„Ach, jetzt auf einmal.“
„Trotz der 53 Jahre immer noch so blauäugig? Ich habe jedenfalls was ich wollte.“
„Ich hätte es wissen müssen! Sie haben mich nur ausgenutzt!“ empörte er sich. „Sie sind ein schlechter Mensch.“
„Ja, aber jetzt bin ich ein unsterblich schlechter Mensch.“ Sie lachte laut und triumphierend. In Münster stieg sie mit einem Glücksgefühl aus, das sie noch nie in ihrem Leben so stark gefühlt hatte.

Und er?

Er zog sich, ebenfalls sehr gut gelaunt, Mantel und Schal an, nahm seinen Koffer, kaufte sich eine neue Fahrkarte und setzte sich in ein anderes Abteil, zu einer Frau, so um die vierzig und begann ihr reichhaltig aus seinem Leben zu erzählen.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
prust!

gratuliere zu der geschichte. zwar ahnte ich das ende schon, aber köstlich erzählt. mach mal so weiter! ganz lieb grüßt
 

soleil

Mitglied
Sehr gelungen

Hallo Steinbox,

herrlich geschrieben. Das ist mal eine neue Variante und ich habe mich köstlich amüsiert, auch wenn es absehbar wird, als er sich zu sehr "weigert".

Viele Grüße
Soleil
 



 
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