Das Geschenk

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Raniero

Textablader
Das Geschenk
Der Höhepunkt des Festes stand bevor, und eine merkwürdige Unruhe erfasste die zahlreichen Gäste im Saal.
Man feierte den sechzigsten Geburtstag eines Mannes, der aufgrund einiger persönlicher Marotten nicht bei allen Freunden und Bekannten gleichermaßen beliebt war, jedoch aufgrund dieser Macken für alle gleichermaßen derart interessant schien, dass es sich keiner der Geladenen auch nur im Traum einfallen ließ, diesem Ereignis fernzubleiben, schon allein aus Neugier und im Hinblick darauf, welch absurde Überraschungen der Jubilar dieses Mal parat hätte. Denn zu außergewöhnliche Ideen, spontanen oder geplanten Einfällen mit besonderen Überraschungseffekten, das musste man ihm lassen, war er allemal fähig, ob zum Wohl oder zum Nachteil der jeweiligen Betroffenen, sei allerdings dahingestellt.
Er selbst liebte Überraschungen, wenn sie nicht von ihm ausgingen, keineswegs und eine seiner größten Marotten bestand folglich darin, bei bevorstehenden Geburtstagsfeiern, speziell bei seinen eigenen, genau darüber informiert zu sein, welche Geschenke die Gäste mitbrächten, und dieses, wie er betonte, aus zwei Gründen: zum Ersten, weil dadurch vermieden würde, dass ein Geschenk mehrfach auf dem Gabentisch erschiene und zum Zweiten, damit er sich, wie er meinte, im Voraus darauf einstellen und seine Lob- und Dankesrede entsprechend planen könne. Diese Danksagung wiederum gelang ihm wirklich ausgezeichnet, ein jedes Mal, denn er war ein Redner vor dem Herrn, der eine ganze Abendgesellschaft praktisch allein unterhalten konnte, obgleich seine Rede nicht immer zum Vorteil eines jeden Teilnehmers ausfiel.
Die Geburtstagsgäste, denen diese ungewöhnliche Eigenschaft des Mannes schon seit langem bekannt war und von denen nicht wenige bereits einmal das Vergnügen hatten, das Opfer ihres Gastgebers bei einer seiner launigen Ausführung gewesen zu sein, hatten es sich daher zur Gewohnheit gemacht, im Vorfeld seine Ehefrau genau zu befragen, mit welchem Geschenk man ihn beglücken solle, um ja keinen Fehler zu begehen, der später unvermeidlich mit spitzer Zunge geahndet würde. Die Ehefrau selbst, eine Frau von ausgleichender Natur und fast als harmoniesüchtig zu bezeichnen - kein Wunder, bei solch einem Gatten - machte das Spiel, obwohl es ihr ein wenig lächerlich erschien, in vollem Umfang mit, konnte sie doch somit sicher sein, dass sie auf diese Art der ‚Entschärfungstaktik’ wie sie es nannte, die scharfe Zunge ihres Mannes einigermaßen im Zaum halten konnte.
So nahm sie denn die Liste mit den Geburtstagswünschen ihres Ehemannes und koordinierte diese weit vor dem eigentlichen Termin telefonisch ausführlich mit allen Gästen, damit diese Zeit genug hätten, die zugedachten Geschenkwünsche entsprechend umzusetzen. Das hatte bisher auch immer zur Zufriedenheit aller geklappt, und auf nichts freuten sich die Gäste sosehr, wie auf die Laudatio des Gastgebers, in welcher er mit teilweise galligen Worten die Bemühungen seiner Freunde hinsichtlich der Erfüllung seiner Wunschliste kommentierte.
Doch ausgerechnet dieses Mal, zum sechzigsten, gab es ein Problem besonderer Art, eine schwierige Nuss, zu knacken.
Das Geburtstagskind, welches unter anderem als Literaturliebhaber galt und auf dessen Wunschliste stets auch eine Reihe von Büchern zu finden war, hatte sich in der letzten Zeit ausgiebig mit der russischen Literatur beschäftigt und einem Autor aus diesem Land sein besonderes Interesse zugewandt:, nämlich keinem Geringeren als Fjodor Dostojewskij. Von diesem berühmten Schriftsteller hatte er nacheinander in kurzer Zeit fast alle Werke regelrecht verschlungen, von Schuld und Sühne über Die Gebrüder Karamasow bis hin zu dessen zahlreichen Kurzgeschichten. Ein einziges Werk jedoch fehlte noch in seiner Sammlung, und als er dieses Buch auf seine Geburtstagsliste setzte, stellte sich bei seiner Frau ein ungutes Gefühl ein.
Ebenso erging es den Gästen, die sich schon darüber wunderten, dass sie dieses Mal die Wunschliste relativ spät erhielten, doch als sie den Titel des Buches lasen, welches sich der Jubilar zur Vervollkommnung seiner Sammlung wünschte, hielten sie erschreckt den Atem an: Der Idiot von ebendiesem Fjodor Dostojewskij.
‚Das kann man doch nicht machen’, war die einhellige Meinung aller, ‚solch einem Zyniker eine solche Steilvorlage zu geben, indem man ihm ein Buch mit so einem Titel zum Geburtstag präsentiert, man stelle sich vor, wie er dieses ‚Geburtstagsgeschenk’ mit hämischen und bissigen Bemerkungen kommentieren wird; nein, jedem anderen, nur ihm nicht, ihm kann man ein Buch mit so einem Titel einfach nicht präsentieren.’
Hilfesuchend wandten sich die Geladenen an die Ehefrau des Jubilars und versuchten, diese zu überreden, ihrem Mann auf schonende Art diesen unmöglichen Wunsch auszureden, doch die arme Frau sah sich nicht dazu in der Lage.
„Ihr kennt doch meinen Mann“, rief sie verzweifelt, „was der sich einmal in den Kopf gesetzt hat, davon lässt er nicht mehr ab. Doch eines kann ich euch jetzt schon sagen“ fügte sie hinzu, und es klang wie eine Drohung, „wenn das verfluchte Buch nicht auf seinem Gabentisch liegt, dann garantiere ich für nichts mehr, dann haben wir alle darunter zu leiden, ihr wisst ja, wie weit er gehen kann, mit seinen Nickeligkeiten.“
Das war mehr als deutlich, und die Festgäste sahen sich vor die eindeutige Wahl gestellt, die da lautete, einer oder alle. Entweder einer von ihnen opferte sich und schenkte ihm das verfluchte Buch, mit der Konsequenz, sich allein den zynischen Kommentaren des Gastgebers aussetzen zu müssen, oder das Buch wurde von der Liste gestrichen, und alle mussten sich den Vorwurf der Feigheit gefallen lassen. Doch gesetzt den Fall, man wählte die erste Möglichkeit, fragten sich die Gäste verzweifelt, wer aus ihren Reihen zeigte sich bereit, sich zu opfern, sozusagen zum Gemeinwohl, wer die schwere Bürde auf sich nehmen, diesem Gastgeber den Idioten von Dostojewski zum sechzigsten darzubieten, da war Mut gefragt, der Mut eines Löwen.
Sollte man 'das Opferlamm' durch Losentscheid ermitteln? Oder gab es doch noch einen anderen Ausweg?
Frei nach dem Wahlspruch Und wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her beschloss die Geladenen, die Ehefrau des Jubilars noch einmal zu konsultieren, hinter dessen Rücken, versteht sich.
Diese erklärte sich auch nach einigem Zögern dazu bereit, und sie arrangierte ein Treffen in genau dem Restaurant, in dem später das Fest selbst stattfinden würde. Dieses Treffen nahm einige Stunden in Anspruch, Stunden intensivster Beratungen, doch zum Abschluss glaubte man schließlich, eine befriedigende Lösung hinsichtlich des Idioten von Dostojewskij gefunden zu haben und einigte sich einstimmig über das weitere Vorgehen. Gleichwohl gingen die Teilnehmer nach der Versammlung mit sehr gemischten Gefühlen, doch auch in spannungsvoller Erwartung auseinander.

Der Abend war gekommen.
Wie üblich, hielt der Gastgeber zu Beginn eine seiner berühmten längeren Begrüßungsreden und eröffnete anschließend mit seiner Gemahlin mit einem stilvollen Walzer den Tanz. Nach weiteren Walzerklängen gesellten sich andere Tanzstile hinzu, und nach und nach füllte sich die Tanzfläche, bis fast alle der Geladenen ihre Beine zu den Rhythmen der Kapelle bewegten. Sodann folgte eine Pause, die der Jubilar zum Anlass nahm, das Büffet freizugeben, als Belohnung für die ersten körperlichen Anstrengungen, wie er hinzufügte. Dies ließen sich die Gäste nicht zweimal sagen und eilten in Scharen zu den delikaten Speisen, um gerüstet und gestärkt zu sein, für den eigentlichen Höhepunkt des Abends.
Im Anschluss daran folgten wiederum einige Tanzeinlagen der hervorragenden Musikkapelle, bevor man in der Tat zum Höhepunkt des Abends, der Präsentation der Geburtstagsgeschenke durch den Jubilar selbst, schritt.
Hierzu hatte man im Vordergrund des Saales auf einer etwas erhöhten Bühne, auf der auch die Musiker saßen, einen Tisch aufgestellt, der durch einen separaten Vorhang abgeteilt wurde.
Auf diesem Tisch wiederum hatte die Ehefrau wie in all den Jahren zuvor mithilfe einiger Bediensteten die Geschenke für ihren Mann, die ihr die Gäste beim Empfang überreichten – nicht ihm, er wollte sie vorher gar nicht sehen, er hatte ja seine Liste – deponiert.
Auf einen Wink der Gemahlin des Gastgebers spielte die Kapelle einen Tusch, und mit einer feierlichen Bewegung zog der Jubilar den Vorhang beiseite und
erstarrte.
Auf dem Tisch, auf dem sich in all den Jahren die Geschenke, hübsch und einfallsreich verpackt, nur so häuften, befand sich dieses Mal nur ein einziges Präsent; ein einsames Buch, und man hatte es mitten auf den Tisch gestellt, mit dem Cover nach vorne, auf dem weithin sichtbar der Titel des Werkes prangerte, welches dem Jubilar noch in seiner Sammlung fehlte.
Es herrschte Totenstille im Saal, manche vergaßen sogar, zu atmen, alle blickten gebannt auf den Gastgeber. Dieser löste sich langsam aus seiner starren Haltung und schritt auf den Tisch zu, auf seinem Gesicht zeigte sich ein diabolisches Lächeln.
„Ihr Idioten!“ schrie er mit unbändiger Freude und setzte sich auf den Tisch, den Gästen zugewandt.
Sodann nahm er das Buch zur Hand, gab den Musikern einen Wink, die Bühne zu verlassen und begann, laut vorzulesen, aus seinem Geburtstagsgeschenk. Er las langsam und akzentuiert, und gegen drei Uhr morgens war er noch längst nicht bis zur Mitte des Buches angelangt..
Viele der Gäste waren mittlerweile eingeschlafen, andere rauften sich verzweifelt die Haare; wiederum andere jedoch waren heilfroh, dass er sich nicht Die Dämonen von Dostojewskij zu seinem Jubeltag gewünscht hatte.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
aberwitzig.

ist die formulierung . . . sichtbar der Titel des Werkes prangerte . . . so gewollt? wäre ein zusätzlicher gag. normal wäre prangte.
lg
 
A

Arthrys

Gast
Mein Eindruck:

nette kleine Story. Jedoch zu viele Kommas, somit auch zu viele Endlossätze; zu sehr gestreckt, einige Wortwiederholungen und das kleine Unwörtchen "man" stören.
"In der Kürze liegt die Würze", irgend ein Wortgewaltiger hat das mal mit erhobenem Zeigefinger gesagt. Wie gesagt, etwas gerafft wäre die Story wirklich richtig gut, finde ich. Aber jeder emfindet das anders, denke ich.
Es grüßt dich
Arthrys
 

Raniero

Textablader
Hallo flammarion,
hallo Arthrys.

die Formulierung 'prangerte' war tatsächlich beabsichtigt, aber ich hätte sie in Anführungszeichen setzen können.
Zuviele Kommata finde ich nicht, doch insgesamt hätte man die Story vielleicht ein wenig kürzer gestalten können.
Warum ist man ein Unwörtchen? :)

Gruß Raniero
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
na,

man ist ein unwörtchen, weil es so leicht zu ersetzen ist, praktisch ein schummelwort, mit dem es sich gut um den heißen brei reden läßt. stell dir vor, du dürftest es nie mehr benutzen, wie direkt müsstest du dann werden!
lg
 
A

Arthrys

Gast
Fazit:

in form gebracht:
und fehlen dir die worte,
das kleine wörtchen "man" mit seiner undurchsichtigkeit
wird es schon richten.
die anderen in den unverstand getrieben,
hast du dir voller stolz
danach die händ' gerieben.
obwohl dein geistig größe
die vermeintlich' "geisteslosigkeit" der anderen
bei weitem überflügelt hat.
 



 
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